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Sonntag, 5. April

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 5. Apr. 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Mai 2020

Feinstes Wetter, es soll an die 20 Grad heute werden. Normalerweise versetzt mich sowas in Euphorie, aber meine Stimmung ist aufgrund meiner generellen Sinnkrise immer noch im Keller.

Gleich will ich los, mit dem Fahrrad ins belgische Viertel fahren, um Sunia und Meret kurz zu besuchen.

Nur noch schnell auf’s Klo, dann kann’s los gehen.

Da ruft mich Fritz an, der liebe ältere Herr, dessen Frau ich mal über die Freiwilligen-Begleitagentur betreut habe, die vor 3 Jahren verstorben ist, aber die Freundschaft mit ihm weiterging. Ich hatte über einen langen Zeitraum in meiner Freizeit seine handschriftliche Biografie, Jahrgang 1930, abgetippt, das war anstrengend, aber total interessant. Es war total verblüffend, was er für ein phänomenales Gedächtnis hat. Er wusste noch genau, dass es an einem Sonntag im Juli 1942 regnete, wie seine Nachbarn hießen, welches Kleid seine Frau bei der Taufe seines Erstgeborenen trug, welche Fragen bei seiner Abschlussprüfung gestellt wurden usw. Ich hatte einzelne Fakten, zum Beispiel an welchem Wochentag ein bestimmtes Fussballspiel 1953 wie endete, via Google überprüft. Er hatte immer recht. Fritz ist wirklich ein toller Mann, liebenswürdig und schlau. Politisch schon immer auf der richtigen Seite.

Also gehe ich dran, und denke mir, das werde ich schon schaffen, gehe halt nach diesem Telefonat auf Toilette.

Wir erkundigen uns gegenseitig, wie sich Corona auf das Leben auswirkt, und als wir so plaudern wird der Druck immer stärker. Ich versuche das Gespräch allmählich zu beenden, da fällt ihm doch noch was ein, und plötzlich merke ich, es geht nichts mehr, ich renne mit Telefon aufs Klo, aber zu spät, ich mache mir voll in die Hose. Gleichzeitig lächle ich, und bin weiter freundlich und witzig zu Fritz, der natürlich nichts merken soll, dabei bin ich innerlich schon total weinerlich, verzweifelt und beschämt.

Na toll, jetzt kann ich erstmal alles wieder sauber machen, die Klamotten mit der Hand vorwaschen, duschen gehen und Sunia anrufen, dass ich mich etwas verspäte, "mit ist was dazwischen gekommen", weil ich eigentlich schon längst auf dem Weg zu ihr sein wollte.

Die Freude ihr mein Geburtstagsgeschenk nachzureichen (vier weitere Fotografien von Annemarie Schwarzenbach), wich einer genervten Null-Bock-Stimmung.

In die Hose zu machen ist so das Allerletzte. Seit ich den Reizdarm habe, ist mir das schon ein paar mal passiert, noch öfter beinah, also mit fast in die Hose machen. Das führt zu Panikattacken, wenn ich mit diesem Druck weit entfernt von einer Toilette bin, und zu Schämeskapaden, wenn es auf der Arbeit geschieht, ich es mal wieder gerade noch so geschafft habe, und anschließend jemand auf die Toilette geht. Ekelhaft!


Mit Sunia auf dem Mäuerchen vor ihrer Haustür in der Sonne gesessen, dazu gab es Kaffee und Kuchen. Im Hinterkopf die Angst, es könnte gleich wieder durchfallmäßig losgehen. Aber dann kann ich ja schnell auf ihr Klo rasen.

Anschließend noch zu Meret, die in der Nähe wohnt, aber da werde ich schon nervös. Ausser ihr ist noch Gregor da, der die Pflanzen im Vorgärtchen wässert, dann kommt noch Willy zu uns an den langen Biertisch. Zwei Nachbarn, die das Haus verlassen, fangen ein Gespräch mit Gregor an, das ist mir alles zu viel, obwohl alle einigermaßen Abstand halten. Mir ist mein Ausflug von der Südstadt hierhin ja schon zu gewagt vorgekommen, trotz meiner Schutzmaske, und meinem Abstand zu allen. Die Angst sich anzustecken, und den Virus in unser Heim zu bringen ist einfach überdimensional groß.

Ausserdem meldet sich Tommy schon und drängt, wo ich bleibe, er will mit mir auf unsere Corona-Wiese.

Übliche Lagebesprechung, am Rand der Wiese liegt ein schlafender Obdachloser, die Hitze ist groß, die Vögel zwitschern, Geräusche von den Balkonen ringsum, fühlt sich schon ein bisschen wie Sommer an.


In den Tagesthemen berichten sie davon, dass Queen Elizabeth eine Ansprache an ihr Volk hält, und sie bittet durchzuhalten. Das ist erst das vierte Mal, in ihrer 70jährigen Amtszeit als Königin, dass sie sich mit einer Rede an ihre Untergebenen wendet.

Statistik 23:00 Uhr

100.024 Infizierte 1.576 Todesfälle


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