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Dienstag, 28. April

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 28. Apr. 2020
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Mai 2020


In den frühen Nachrichten: Die Reproduktion ist wieder angestiegen, liegt jetzt bei 1.


Es regnet und regnet und regnet.

Als es mal kurz aufhört, erledige ich die Einkaufswünsche der Bewohner. Mich begleitet eine Bewohnerin, die eigentlich viel zu jung für ein Seniorenheim ist, aber aufgrund ihrer Erkrankung auf komplette Hilfe angewiesen ist, und furchtbar unter der Quarantäne leidet, so wird sie mit Schutz ausgestattet und darf ab dieser Woche jedesmal einen von uns, wenn wir einkaufen gehen, in ihrem E-Rolli begleiten. Als ich alles zusammen habe, behänge ich den Rolli komplett mit den ganzen Einkäufen, und auf ihrem Schoß hält sie noch ein Tablett mit diversen Topfpflanzen, die ich in die Kübel auf der Terrasse einpflanzen möchte. Sehr bunt und chaotisch, man sieht sie kaum noch, das sieht aus wie ein Packesel in einem exotischen Land.

Kaum wieder zuhause, fängt es wieder an zu regnen. Das wird immer doller, regnet wie bescheuert, deshalb beschließe ich in meinem Fahrradregencape die Kübel zu bepflanzen. Das gibt eine schöne Sauerei. Überall klebt feuchte Erde an mir, mein Cape ist völlig verschmutzt, das säubere ich mit einer Gießkanne, die ich über mein Cape ausschütte. Nachdem ich auch den Boden in der Cafeteria und die Küche von all dem feuchten Dreck, den ich reingetragen hatte, gereinigt habe, kommt die Sonne wieder raus.


Mit einigen Bewohnern verfasse ich noch ein paar Grußkarten an ihre Kinder, und werfe sie anschließend ein.

Irgendwann habe ich mir einen kleinen Schnitt am Mittelfinger zugefügt. Das merke ich erst dann, als ich mir das erstmal die Hände mit dem Desinfektionsmittel einreibe. Aua aua, meine Güte brennt das! Vergesse es wieder und schreie beim nächsten Desinfizieren erneut vor Schmerz. Passiert mit original noch dreimal bis Feierabend.


Da Tommy heute nicht kann, und ich Achim, unseren Lieblingsobdachlosen, treffe, verbringe ich meine Feierabend-Cappuccino-Zeit mit ihm. Er freut sich über den Kaffee, und meint, "Komm, lass uns da hin setzen."

„Wohin?“

„Na da!“ er zeigt auf die leeren Tische im Eiscafé.

„Geht nicht, Achim!“

„Wieso nicht, die sind doch alle frei?“

„Wegen Corona?“

„Was?“

„Wir dürfen uns hier nicht hinsetzen, wir müssen mit dem Kaffee weggehen. Sag mal, hast du das nicht mit bekommen?“

„Hab ich vergessen. Ist ja gut.“

Als Obdachloser durfte er ja schon vor Corona kaum irgendwo einkehren, wenn er dann mal eine Begleitung wie mich hat, dann genießt er das ja auch. Früher setzte er sich oft zu mir an den Tisch draussen vorm Settebello. Dass man jetzt seit Wochen nirgendwo einkehren darf, fällt ihm höchstwahrscheinlich gar nicht so auf.

Wir setzen uns auf eine Bank, ich schütte mein Portemonnaie aus und gebe ihm all mein Münzgeld, er will mir dafür eine seiner verknitterten Zeitungen geben, aber die Ausgabe habe ich schon. Er ist etwas bekifft, sucht verpeilt nach einem zwei Euro Stück, das er eben noch von einem Mann zugesteckt bekommen hat, findet es nicht, leert all sein 87 Taschen von seinen 4 Jacken, wird fuchsteufelswild, flucht lautstark, lässt sich gar nicht beruhigen. „Mensch, Achim, lass doch mal. Du findest das gleich bestimmt, du bist jetzt viel zu aufgeregt. Guck, deine Zigarette verqualmt doch.“

"Nix, Achim! Wo ist das Scheiß Zweieurostück. Verdammt nochmal. Ich habs doch hier rein gesteckt. Die brauche ich.“

„Okay, Achim, warte mal.“

Ich ziehe noch einen 5 Euro Schein aus meinem Portemonnaie, da lächelt er zahnlos: „Eieeiei, was seh ich da!“

„Schon gut, und die zwei Euro findest du bestimmt auch noch, du bist zu bekifft jetzt, zu durcheinander.“

„Ach, ich hab doch schon vor zwei Stunden geraucht. Da ist nix mehr. Ich muss ja noch zum Neumarkt, hol mir da Heroin.“

„Im Ernst? Reicht dir Kiffen nicht mehr? Scheiß Heroin!“

„Ich rauch das ja nur.“

Dann erzählt er mir, wie er seine Jugend in Amsterdam als Stricher verbracht hat, da war er heroinsüchtig, war Junkie, hatte es sich gespritzt. Er zeigt mir wie es ist auf Heroin zu sein, also, wenn man sich gerade einen Schuss gesetzt hat. Dazu verdreht er die Augen, und rutscht in Zeitlupe auf der Bank nach unten. Das macht er gut, ich muss lachen, kenne diese Szene, mit Christiane F. aus dem Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

Er lacht auch und meint, „Das ist der Horror. Voll zuviel. Ich rauch jetzt nur noch. Hab das Spritzen damals nach 6 Jahren von einem auf den anderen Tag aufgehört. Zack. Ende.“

Er wirft mir Kusshändchen zu und rückt näher.

„Stopp, Achim, Kontaktverbot!“

„Du hast auf jeden Fall einen gut bei mir.“ sagt er, als ich mich verabschiede.


Doku des Abends auf Netflix: Rachel Dolezal. Sehr verstörend. Eine Aktivistin, die sich jahrelang als Schwarze ausgegeben hat, dann kommt raus, dass sie eine Weiße ist, und sie sagt, sie fühle sich aber als Schwarze, ihre Identität sei die einer Schwarzen, sie prägt den Ausdruck „transracial“, im Sinne von „Transgender“, und erbost damit den Großteil der schwarzen Community, verliert ihre Jobs, erhält sogar Morddrohungen. Da muss ich morgen mit Tommy drüber reden. Ob es das wirklich gibt, transracial?


Statistik, 23:00 Uhr

159.431 Infizierte 6.215 Todesfälle 117.400 wieder gesund


ree



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