Sonntag, 4. Oktober
- Mai Buko
- 4. Okt. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Gestern gab es ein Jubiläum das deutschlandweit gefeiert wurde: 30 Jahre „Tag der deutschen Einheit“.
Trump hat am Donnerstag bekannt gegeben, dass er Covid 19 positiv ist, hat „milde Symptome“ und wurde „vorsorglich“ am Freitag in ein Krankenhaus gebracht.
Sturmtief Alex verwüstet Orte in Südfrankreich und Italien.
Madrid ist aufgrund der außer Kontrolle geratenen Corona-Neuinfektionen komplett abgeriegelt.
In Belarus haben wieder 100.000 gegen Lukaschenko protestiert.
In Köln wurde gestern eine selbstgebastelte Bombe in einem abgestellten Zug im Deutzer Betriebsbahnhof gefunden und als ungefährlich eingestuft.
Ausserdem widmete sich gestern eine Hundertschaft am Zülpicherplatz dutzenden sich prügelnden Fussballidioten, Fans von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln. Kommendes Wochenende werden anlässlich der wegen Corona ausgefallenen und dann nachgeholten Christopher Street Day Feiern auf der Zoo- und Deutzer-Brücke 250 Regenbogenflaggen gehisst.
Das zum Zeitgeschehen.
In meinem persönlichen Kosmos bemerke ich, dass ein schleichender Wandel statt gefunden hat. Plötzlich wird mir bewusst, etwas ist nun grundlegend anders.
Es ist eindeutig. Ich merke es an sämtlichen Zeichen:
Meine Fenster sind nicht mehr rund um die Uhr sperrangelweit geöffnet, sondern nur noch auf Kipp.
Das Sommerplumeau hab ich ausgewechselt gegen ein dickeres, und selbst damit fror ich letzte Nacht ein wenig.
Mein ausgeblichenes Fußkettchen mit den Glöckchen ist abgelegt, es drückte unangenehm unter den Strümpfen und den halbhohen Schuhen.
Die Flipflops und Sandalen sind in der Kiste, die Stiefel und Boots herausgekramt.
Heute zum ersten mal Stiefel getragen. Seit zwei Wochen schon Leggings an den Beinen. Einmal schon Handschuhe angezogen (aber eigentlich nur weil sie so albern sind, da drin versteckte Dioden leuchten abwechselnd in verschiedenen Farben).
Ich setze mich jetzt auf Decken, die die Cafés wieder auslegen.
Die Heizung hab ich in der Wohnung auch schon das ein oder andere Mal angeworfen.
Die Wäsche braucht wieder viel länger zum Trocknen.
Duschen, beziehungsweise das Frieren danach und das notgedrungene Föhnen der Haare, eine Qual.
Pantoffeln wieder an.
Schal umgeworfen.
Vogelgezwitscher wird seltener. Bald werden bestimmt wieder diese wunderschönen Vogel-Formationen zu sehen sein, von den ganzen Gänsen und Kranichen die sich aus dem Staub machen.
Weihnachtsgebäck ganz normal in den Supermärkten.
Zum erstmal Spekulatius gekauft.
Kürbisse gehen mir jetzt schon auf die Nerven.
Ich hab Lust auf Wirsing, Rosenkohl, ach eigentlich alle Kohlarten. Und Nüsse.
Weil bei meiner Zimmerpflanze, eine Strahlenaralie (Gold Capella), die ca. 1500 Blätter weder durch Staubwedel noch durch Wasserbesprühungen von ihrem jahrelang eingebranntem Staubbelag befreit werden konnten, widmete ich mich gestern einer akribischen Feinarbeit mit Wonne: dem Abwischen jedes einzelnen Blättchens mittels feuchtem Tuch.
Mit einem feuchten Schwämmchen hockte ich mich danach vor einen Heizkörper und scheuerte zwischen den einzelnen Rippen.
Wenn mein Videoschnittprogramm noch funktionieren würde, würde ich mich dem nun ganz hingeben, dem hundertstelsekundengenauen Auseinanderfiddeln und Zuschneiden der Sequenzen.
Zu solch meditativen Beschäftigungen zieht es mich momentan.
Die Tage werden kürzer, vor ein paar Tagen fast im Dunkeln aufgestanden.
Regen, Regen und nochmal Regen.
Klamm und unbehaglich.
Grau.
Sonnenstrahlen werden zärtlich betrachtet und übermäßig gefeiert, Verweilorte nur noch in der Sonne aufgesucht. Ansonsten mit Kapuze vorm Eiscafé unter der Markise sitzen und dem Regen zuschauen.
Denn es ist passiert: der Sommer ist vorbei!
Ein bisschen erleichtert, weil es nie mehr in den nächsten Monaten zu diesen Hitzekatastrophen kommen kann, ich also weniger Anlass habe um panisch zu werden, aber auch wehmütig, weil Sonne und kleiderarme Luftigkeit schon sehr erheiternd waren.
Erleichternd auch dass die Bikinifigur, zu der es dieses Jahr mal wieder nicht gereicht hat, nun keine Rolle mehr spielt.
Ich überlege mir schon einfache Bastelarbeiten, die ich in den kommenden Monaten mit den Bewohnern machen kann, oder wann ich das Seniorenhaus auf Herbst umdekorieren soll.
Haben wir unten genügend Decken, die wir den Rollstuhl-Bewohnern auf den Schoß legen können, wenn wir mit ihnen draussen spazieren fahren?
Ich muss mein Rücklicht reparieren lassen, weil es bald soweit sein wird, dass ich im Dunkeln nachhause fahre.
Wird mein aktueller Tagesrhythmus so bleiben, und ich kann weiter früh aufstehen, oder werde ich müder und müder und schaffe es morgens nicht mehr aus dem Bett, wenn es doch da draußen sowieso noch dunkel ist?
Kriege ich jetzt endlich meine unspezifische Schwindel-Übelkeit-Erkrankung in den Griff?
Ein klassischer Sonntagnachmittag halt, eigentlich träge, runtergefahren wie der Rest der Stadt, weil nichts los ist und die Geschäfte geschlossen sind, trotzdem gleichzeitig dieser unerklärliche Drang zuhause noch wichtige Dinge zu erledigen, aber nicht wissen was eigentlich, weil es viel zu viel gibt, um das ich mich jetzt kümmern könnte, was aber alles enorm anstrengend wäre, hektisches Aufräumen, eine Waschmaschine anschmeißen, das Klo putzen und Haare waschen, bevor morgen mein Arbeitsalltag beginnt, nach zwei Wochen Abstinenz, davon anderthalb Wochen krank geschrieben.
Aber tatsächlich ist heute der erste Tag, an dem mir noch nicht ein einziges Mal schwindelig wurde.

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