Sonntag, 29. März
- Mai Buko
- 29. März 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Mai 2020
Statistik: 8:30 Uhr
JHU 54.268 Infizierte 398 Todesfälle über 20.000 Todesfälle in Europa
RKI 48.582 Infizierte 325 Todesfälle
Heute habe ich einen von den besonders langen Diensten. Von 10:30 bis 19:00 Uhr. Ich werde mich aber um viertel vor ausloggen, damit ich sofort irgendwo, wahrscheinlich in der Wohngruppe Jasminweg, den Fernseher anmachen und die letzte Folge der Lindenstrasse gucken kann.
Ich liefer ab wie ein Pizzaboy, bin fast bei jedem Bewohner um zu schauen wie es geht. Bei manchen bleib ich länger, tröste und beruhige, mache Kleingruppen mit Gedächtnistraining, lasse mir Grußkarten an ihre Angehörige diktieren, finde heraus dass sich eine besonders unruhige und traurige Bewohnerin auf Mandala ausmalen einlässt, dies akkurat und mit einer Ruhe macht, dass sie sich dabei selber beruhigt, und sogar nachher witzige Dinge erzählt. Die zwar keinen Sinn ergeben, weil sie längst nicht mehr die richtigen Worte benutzt, aber an ihrer Mimik und ihrem Lachen merkt man, wie sie sich entspannt und sich wohlfühlt. Diese Erfahrung war die schönste für heute.
Die traurigste war, dem Ehemann der gestern verstorbenen Frau B. zu begegnen. Er räumt ihr Zimmer leer, und nickt nur geistesabwesend als ich ihm mein Beileid ausspreche.
Mein Bruder Werner hat Geburtstag, Papa und ich rufen ihn per WhatsApp Videocall an und gratulieren ihm. Obwohl Papa sich immer noch schwer tut, mit diesem neumodischen Gerät, und oft nicht checkt, dass das live ist, erkennt er seinen einzigen Sohn sofort, freut sich total über die beiden kleinen Mädchen, die um Werner rumwuseln und putzige Kleinkinder Geräusche machen.
Im Bastelzimmer schneide ich aus den gespendeten Stoffresten Quadrate zurecht, und bastel 5 Masken für meine Kollegen. Der Stoff stinkt so ekelhaft, den muss ich erst mal morgen früh in die Wäscherei geben.
Meret wird es heute nicht schaffen, mir die Masken von Asli zu bringen. Vielleicht morgen.
Feierabend. Lindenstrasse. Nach den wahnsinnig spektakulären letzten drei, vier Folgen, die krass spannend, und die Folge, als Mutter Beimer im Koma lag, herrlich psychedelisch war, auch mit eingefügten Corona-Blabla in den Nachrichten, die im Hintergrund aus einem Radio dudelten, und einem „Hoffentlich, kein Corona!“ das Murat Dağdelen äussert, als er nicht im Bild ist, weil ihm jemand ins Gesicht hustet, ist die allerletzte Folge kein Feuerwerk, weder inhaltlich noch dramaturgisch, aber was soll da denn jetzt noch mit Spannung und Twists gearbeitet werden, es ist die Letzte. Und weil es die Letzte ist, kommen mir beim rührenden Abspann, den treuen Zuschauern wird gedankt, im Hintergrund applaudiert offenbar die ganze Crew, dann laufen die Namen runter vom kompletten Ensemble, dem ganzen Team, natürlich doch noch die Tränen.
Der 18jährige Hauswirtschaftsjobber, der das Abendbrot gemacht hatte, und nun die Küche aufräumt, wundert sich, stellt Fragen, die nur ein 18jähriger stellen kann, was mir aber die Chance gibt, zu erklären, warum die Lindenstrasse trotz ihrer Spießigkeit, ihrer deutschen TV-Optik (die fand der Junge besonders ulkig), ein großes Stück Pop-Kultur darstellt, der ich 34 Jahre lang verfallen war.
Ich hatte schon geplant mir auf dem Rückweg, zur Feier des Tages, ein Gericht bei "Massimo" zu gönnen. Telefonisch bestellt hatte ich "Pasta con Funghi Tartufati". Hörte sich festlich und edel an. War dann leider doch enttäuschend, die Pasta bestand aus zwei verschiedenen Nudelarten, wobei die dickere Variante der Spaghetti leider zu al dente war, die Sauce war klebrig, die Pilze geschmacklos, und nur ein zu blasser Hauch von Trüffel.
Statistik: 22:00 Uhr:
JHU 58.247 Infizierte 455 Todesfälle

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