top of page

Sonntag, 15. März

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 15. März 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Mai 2020

Weiterhin Halsweh, aber nützt ja alles nix. Muss los zur Arbeit.

Erster Arbeitstag im geschlossenen Haus.

Es müssen immer wieder die Bewohner informiert werden, da sie es entweder immer noch nicht verstanden oder schon wieder vergessen haben, dass erst mal kein Besuch kommen wird.

Aber sie akzeptieren es dann auch erstaunlich gut. Diese Generation nimmt von oben angeordnete Anweisungen unfassbar schnell an.

Das konnte ich schon im letzten Jahr, bei den drei Evakuierungen aufgrund einiger Weltkrieg-Bombenfunde in unserer Nähe, feststellen. Egal, ob dement oder noch orientiert, alle fügen sich sofort solchen offiziellen Anordnungen.

Diese "Untergebenheit" kommt mir jetzt zugute. Frau S. zum Beispiel muss man normalerweise mit viel Geschick jeden Mittag davon überzeugen, dass sie doch bitte zum Essen kommt, da sie sich stets weigert, auf ihrem Zimmer bleibt und erklärt:

“Nein, ich kann nicht mit Ihnen essen, mein Mann kommt doch gleich, der bringt Essen mit, und ich esse mit ihm!“

Natürlich kommt der arme alte Mann nicht zum Essen zu ihr, er besucht sie nur jeden Nachmittag. Mit rationalen Erklärungen kommt man bei ihr aber nicht weit, deshalb lüge ich sie manchmal an und sage ihr, ihr Mann hätte eben angerufen, er bringe heute kein Essen, sie solle ruhig mit uns essen.

Aber jetzt kann ich sagen, „Ihr Mann darf ja im Moment nicht hierher kommen, wir stehen sozusagen unter Quarantäne, da gibt es einen Virus Blabla, zum Schutz Blabla, deshalb können sie mit uns essen!“

„Ach so, ja gut“, sie steht auf, „was gibt es denn zu essen?“


Unser Bewohner J., so alt wie ich, geistig und körperlich behindert, weint, als ich ihn in seinem Zimmer besuche. Normalerweise händige ich ihm am Wochenende die Veranstaltungspläne für die kommende Woche aus, die er dann eifrig im ganzen Haus verteilt. Auf diese Aufgabe freute er sich immer sehr, und er füllt sie so gewissenhaft aus, wie es ihm möglich ist.

Dabei können schon mal Kaffeeflecken oder Verknitterungen auf den Plänen entstehen, denn er darf erst ab Sonntag nachmittag die alten abhängen, und je länger er die Zettel in seiner Obhut hat, umso demolierter sehen sie dann aus. Aber das macht natürlich nichts. Er ist so stolz auf diesen Job.

Jetzt weint er und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, er will umarmt werden. Ich gehe einen Schritt zurück und sage ihm, dass wir besser Abstand halten. Da weint er noch mehr, und fragt, ob er denn jetzt auch diesen Virus hat, und ob er bald sterben muss.

Ich beruhige ihn, erkläre, lüge dabei sogar ein bisschen, dass selbst wenn er den Virus hätte, es für ihn gar nicht so schlimm wäre, es fühle sich an wie eine Erkältung, wenn überhaupt, und dass all diese Maßnahmen gar nicht für ihn oder mich und meine Kollegen gelten, sondern als Schutz für die älteren Leute hier dienen, wie Grete, Dieter, Hilde usw., die tatsächlich daran sterben könnten.

„Ach so, verstehe“, er schaut mich erleichtert an, fragt noch nach ein paar Details und ob es nicht besser wäre, wenn er nicht mehr in die Behindertenwerkstatt zur Arbeit gehen würde. Ich gebe ihm Recht, aber das könne ich nicht entscheiden. Er bekomme bestimmt Bescheid, wenn es so sein sollte. Er ist wirklich beruhigt, und freut sich über die Essenspläne der nächsten Woche, die er sofort aufhängen gehen kann.


Es ist herrliches Sonnenwetter, Sunia ruft an, in der Hoffnung, dass ich frei habe, sie ist gleich in der Südstadt, wir könnten draußen einen Kaffee trinken gehen. Da ich arbeite, lade ich sie zum Kaffee in unsere Raucherecke ein, ich habe heute einen langen Dienst, also Anspruch auf eine Pause, die könnte ich dann mit ihr verbringen.

Sie kommt als gerade Schichtwechsel bei den Pflegern ist. Ich kann ihr dann jedesmal erklären, wer wer ist, denn ich erzähle ja manchmal von meinen Leuten, jetzt hat sie ein Bild. Sie taucht richtig ein wenig ein in unsere Welt, verfolgt die Gespräche unter uns Kollegen in der Raucherecke. Wenn die dann gehen, kommentiere ich das alles nochmal, das ist sehr kurzweilig und lenkt mich hervorragend von dem Stress da drinnen ab, denn man kann wirklich keine zwei Meter gehen, ohne dass jemand Unterstützung braucht.


Im Netz gehen Videos rum, auf denen man sieht, wie manche Italiener gestern Abend auf ihren Balkonen als Dank für die Leute, die in systemrelevanten Jobs arbeiten, singen oder Musik machen. In Spanien wird vor den Krankenhäusern dem Hilfspersonal applaudiert. Mir kommen die Tränen. Die Menschen können so mitfühlend sein. Toll.


Nach Dienstschluss treffe ich mich mit Tommy im Sette. Er erzählt mir von einer Heuschreckenplage in Afrika, die sehr wahrscheinlich schwere Auswirkungen haben wird, aber dass jetzt alle in dem Coronakrisenwahnsinn, mit all den Petitionen und Aufrufen, so etwas nicht wirklich auf dem Schirm haben. Silvio zeigt uns auf seinem

iPhone Videos aus Bari, in denen angeblich amerikanische Panzer verladen werden, er vermutet, dass da noch ein viel größeres Ding läuft als die jetzige Corona Pandemie, und befürchtet, es könne zu einem dritten Weltkrieg kommen. Genug Horror. Ich geh nach Hause.


Bei den heutigen Tipps in der Tagesschau für den täglichen Umgang miteinander werden 2 Meter Abstand empfohlen. Und natürlich immer wieder gesagt, dass Hamsterkäufe völlig unnötig seien.


Abends telefonier ich mit Carina, sie erzählt, bei ihr in Berlin liefen überall Polizisten rum, eben haben ein paar auf den Café Terrassen die Abstände der Tische kontrolliert.


Mechthild schickt eine Mail, das Yoga Studio ist ab sofort geschlossen.


Mit meinem Mundwinkel stimmt was nicht, er ist nicht eingerissen, aber da sind Bläschen oder so, ich kann den Mund nicht gut öffnen, weil es dann reißen würde, ich schneide mir meinen Apfel dann halt in kleine Schnitze. Aber was soll das denn jetzt schon wieder?


Mein Reizdarm ist so reizend und lässt mich in kurzen Abständen immer wieder zum Klo rennen.


Statistik 23:00 Uhr

4.838 Infizierte 12 Todesfälle


ree




Comments


Abo-Formular

Vielen Dank!

  • Facebook
  • Instagram

©2020 Corona Tagebuch. Erstellt mit Wix.com

bottom of page