Sonntag, 14. Februar 2021
- Mai Buko
- 14. Feb. 2021
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni 2021
Valentinstag
Um 14:30 Uhr möchte sich Tommy mit mir auf seiner Lieblingsbank in der Nähe des Forums treffen, weil da angeblich die Sonne am schönsten hin scheint.
Da ich noch in meinem Kiosk ein Paket abgeben muss, und mit einem Rentner aneinander gerate, der sich völlig unnötig über mich aufregt, weil ich mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig bin, aber stehend (weil ich schon ahnte, dass er mich anblöken würde), er mich aber dennoch anraunzt:
„Sie gehören hier ja auch gar nicht hin!“
und ich erwidere:
„Sie aber auch nicht!“
und es mich sofort ärgerte, dass ich so schwach reagiert hatte, und nicht mindestens ein „Verzeihung Herr Blockwart!“ hinzugefügt hatte, kam ich etwas zu spät.
Aber ich hatte mir eh vorgenommen, es nicht mehr so genau zu nehmen mit der Pünktlichkeit, weil wir uns ja immer auf die Minute genau verabreden, und meistens Tommy 2-10 Minuten zu spät kommt, und ich es nicht ab kann sinnlos wartend rum zu stehen, und mir nun stattdessen lieber seine Beschimpfungen anhöre, wenn ich dann eben zu spät komme.
„Zehn Minuten! Das sollte ich mir mal erlauben!“
begrüßt er mich und kündigt an, dass er die Bank besetzen wollte und ich den Kaffee holen soll. Als ich eintrete fällt mir das Kaffeesahnedöschen-Gate ein, und ich bin mir sicher, dass Tommy deswegen auf der Bank sitzt und ich dran bin mit Kaffee holen.
Na warte, Burschi.
Als ich mit den beiden Kaffees zurückkomme, packt er gerade die Berliner aus, die er heute morgen für uns bei Merzenich geholt hatte, erzähle ich ihm sofort, dass mich der Barista direkt gefragt hat, ob wir das mit der Milch auf dem Spieß gewesen sind, und ich es zugegeben hab, aber gesagt hab, er wäre es gewesen.
„Wie bitte, geht’s noch?“
„Das ging nicht anders, ich konnte nicht lügen, als er mich so direkt darauf ansprach.“
„Du hast aber gelogen! Du hast gesagt, ich sei das gewesen! Das ist ein Lüge!“
Ich lache,
„Ja, aber das passte doch gut, weil du ja nicht dabei warst. Ich konnte nicht die Sache an sich abstreiten. Da konnte ich nicht lügen. Da war es das Einfachste, es auf dich zu schieben.“
„Das glaub ich jetzt nicht!“
Ich lache die ganze Zeit.
„Du hast gelogen! Die ganze Geschichte ist erlogen. Du hast nichts gesagt. Keiner hat was gesagt.“
„Doch! Tut mir leid. Aber er hat auch gelacht. Er fand es also gar nicht so schlimm. Und Luigi (der Besitzer) saß auch in seiner Ecke und hat das gehört, und er hat auch nichts gesagt, ich soll dich sogar grüßen!“
„Waaas? Jetzt denkt Luigi auch, ich hätte das gemacht?“
„Ja, aber er fand es ja offensichtlich nicht schlimm. Sonst hätte er doch was gesagt.“
„Ich kann das nicht glauben, du bist so eine hinterhältige Person. Ich geh da gleich hin und kläre die Sache mal auf.“
„Ja, mach doch. Komm, er fand es nicht schlimm, sehr wahrscheinlich halten sie dich jetzt für einen Funny Boy.“
“Ich will aber nicht für einen Funny Boy gehalten werden. Ich will mir das immer noch selbst aussuchen, wer wann über mich lacht.“
„Na, komm schon. Ist doch nicht so schlimm!“
„Ich fass es nicht. Du bist unmöglich. Das solltest du mal in deinem Blog schreiben, wie hinterrücks du da vorgegangen bist!“
„Das werde ich tun, versprochen!“
„Oder ich werde mal einen Beitrag schreiben, und mal ein paar Sachen richtig stellen!“
„Ja, bitte, das wünsche ich mir eh schon die ganze Zeit. 'Tommy schlägt zurück!'“
Der Telefoniertyp hat sich auch schon wieder in unsere Nähe gestellt und quatscht laut in sein Handy.
Ich schau Tommy an:
„20 Euro?“
„Ob der mit Tablet-Man* telefoniert?“ fragt Tommy.
(*Tablet-Man ist der Irre, der manchmal mit einem Tablett rumläuft, oft barfuß, meistens schreiend, allerdings von öffentlichen Telefonzellen aus, damit es so aussieht als telefoniere er, er nimmt den Hörer und schreit wütend seine Hasstiraden raus.)
„Kann sein.“
„Du ziehst einfach alle Irren an.“
„Ja, sieht man an dir.“
„Nein, alle außer mir.“
„Du bist mein Regulativ.“
„Füg doch den Untertitel „Wo ich bin, da sind die Irren“ in deinen Blog."
„Ich glaube, das ist allgemein bekannt. Man merkt eh beim Lesen, dass ich nur mit Irren zu tun habe.“
„Kannst du jedenfalls verwenden. So gut bin ich zu dir.“
„Aber wer hat dir heute den ersten Valentinstags-Gruß geschickt?“
„Jerome.“
„Das stimmt nicht! Ich war das! War das nicht ein süßes Gif?“
„Ja, aber hast du noch gelesen, was ich zu deinen Gifs, die danach noch kamen, geschrieben hab?“
„Ja: 'Du bist mehr der aggressive Gif-Typ, ich eher der Meister der feinen und hintersinnigen Narrativen'. Aber da musste ich leider kotzen.“
„Ich wusste, dass du schon allein bei deinem Lieblings-Wort 'Narrativ' an die Decke gehen würdest.“
Tommy grinst stolz.
Dann kamen wir auf einen Post zu sprechen, den Tommy gestern nacht abgesetzt hatte, einen Text von seinem Lieblings-Corona-Beurteiler Dirk Specht, ob ich den gelesen hätte. Ja, hatte ich, und bemerkte eher so nebenbei, dass mich an diesem kilometerlangen Text erstaunte, dass sich Dirk Specht am Schluss zum Team #nocovid bekannte, obwohl sich seine Ausführungen für mich so anhörten, als würde es auf #zerocovid hinauslaufen.
Tommy meinte jedoch, darum ging es doch gar nicht.
„Es geht schließlich um das Ziel, egal ob zero oder no covid. Das haben auch manche Zero-Aktivisten in den Kommentaren fehlinterpretiert und rumgestänkert.“
„Vielleicht fühlten sie sich brüskiert, weil er Position bezog, nämlich zu no.covid.“
„Aber das hat er doch gar nicht, und darum geht’s doch auch nicht.“
Der Text wurde rausgeholt, einige Stellen vorgelesen, die sowohl mich als auch Tommy in unseren Argumentationen bestätigten.
Ab da stritten wir uns stundenlang, rekapitulierten noch mal den Ablauf unserer Diskussion, den jeder von uns leicht anders wahrnahm. Da lief etwas gehörig schief. Es ist immer wieder erstaunlich wie man aneinander vorbeireden kann, weil es nur um Nuancen geht, was der eine meint, aber der andere hört, und wie schnell dass dann auch noch von einer sachlichen zu einer persönlichen Auseinandersetzung wird. Irgendwann fühlte ich mich tatsächlich persönlich angegriffen, ich würde unser Gespräch so rekonstruieren wie es gerade passt, und Begriffe, die bei mir fielen, hätten jetzt plötzlich keine Bedeutung mehr, weil ich sie jetzt als nicht relevant bezeichne, aber seine Worte würden auf die Waagschale gelegt usw.
Wir waren laut geworden, die letzten Sätze drehten sich nur noch im Kreis, wir hatten beide keinen Bock mehr auf diese Diskussion, es war eh alles gesagt.
Da schwiegen wir einen Moment, und weil mich unsere laut gewordene Unterhaltung an das irre Pärchen gestern im Aldi erinnerte, erzählte ich davon, wie sie, eigentlich wie wir, andauernd streiten mit dem einzigen Unterschied, dass die beiden wirkliche Irre sind, und sich deswegen nicht etwa diskret miteinander unterhalten können, sondern nur richtig laut, teilweise sich anbrüllen und gestern zum Beispiel lautstark darüber stritten ob Bierdosen nun umweltschädlich sind oder nicht. Egal wo ich im Aldi gerade war, ich konnte sie hören, es war eigentlich ganz lustig, und ich schaute mich immer um, ob ich andere Käufer zu einem verschworenen gemeinsamen Grinsen ermuntern konnte, sind die nicht wirklich funny? Aber niemand lächelte mir zurück, also ließ ich es. Ich wollte nicht als die dritte Irre hier im Aldi missverstanden werden.
Die beiden begegnen mir andauernd, sie sind Stammkunden sowohl im Sette als auch im Forum, und sie setzen sich seit Corona, genau wie Tommy und ich, gerne auf eine der Bänke, die in der Nähe stehen. Manchmal saßen sie uns sogar direkt gegenüber.
Vor zwei Jahren ist sie mir, damals war sie offenbar noch Single, schon mehrmals aufgefallen, weil sie jedesmal ziemlich neurotisch vorm Sette saß und las, aber sich nicht wirklich auf ihr Buch konzentrierte sondern immer wieder nervös um sich rum schaute, und checkte, was so los war, teilweise leise mit sich selber sprechend. Ich nahm an, dass sie einer der Patienten der gegenüberliegenden Tagesklinik sei, denn von da kamen häufig mal merkwürdige Menschen zum Kaffee trinken vorbei.
Einmal waren im Sommer alle Tische des Eiscafés besetzt, nur an ihrem Tisch waren noch zwei Stühle frei, da fragte ich sie, ob ich mich da hin setzen dürfe. Widerwillig rückte sie ihre Handtasche etwas auf Seite, was bedeuten sollte, na gut, ausnahmsweise.
Aber es war ihr nicht geheuer. Sie las zwar wieder in ihrem Buch, oder tat so, aber sie hatte eine CD als Lesezeichen, die sie nun öfter anschaute um mich versteckt zu beobachten, oder sie nutzte die CD, damit die Sonne sich darin spiegelte und mich damit blendete.
Ich ließ mich aber von ihren nervösen Verrenkungen nicht vertreiben, bis sie irgendwann aufgab, zahlte und unter schimpfendem Gemurmel ging.
Mit dem Gemurmel ist es jedenfalls vorbei seit sie mit diesem anderen Irren zusammen ist. Denn sie sind immer, wirklich immer, sehr laut. Beide wirken meist schlecht gelaunt, motzen hörbar über Sitznachbarn im Café, lästern über so merkwürdige Bestellungen wie „Ein Cappuccino, aber mit Hafermilch, bitte.“ Und wenn sie nicht zwischendurch mal lachen, oder sie seinen Arm streicheln würde, dann könnte man meinen, das sind Geschwister, die sich offenbar hassen.
Erinnert das etwa an wen?
Als es zu kalt wurde, trennten Tommy und ich uns wieder gutgelaunt, doch ich vergaß ihn aufzuklären, dass ich gelogen hatte, dass das Kaffeegate-Gespräch im Forum frei erfunden war.
Und er vergaß meine neue Frisur, einen Zopfkranz um den Kopf, wie ein liebes Nazi-Mädchen, zu bemerken.
PS. Gerade als ich diesen Beitrag hier schreibe, kommt eine Nachricht über die Chatfunktion:"Hau ab"
Von einem unbekannten Leser, den mir die Seite als Visitor 1763 anzeigt.
Ich antworte und schreibe: "warum?".
Als nichts kommt, schiebe ich noch ein "Schieß los" hinterher.
Dann erklärt mir Visitor 1763, dass er (oder sie) manchmal mit der Maus auf dieses Chatfunktion Icon gerät, und sich damit das Chatfenster öffnet und er (oder sie) nicht weiter lesen kann, und wenn das nicht aufhört er (oder sie) hier weg ist.
Ich kann das leider nicht ändern, und entschuldige mich. Dann kommt nichts mehr.
Das ist irgendwie gruselig, da es sich offenbar um eine Person handelt, die mich nicht kennt, und ich immer davon ausgehe, dass die meisten Leute, die das hier lesen, wissen, wer Tommy ist und wer ich bin. Ich würde nur zu gern wissen wer Visitor 1763 ist, und wie es ihn (oder sie) hier hin verschlagen hat.
Comments