Dienstag, 16. Februar 2021
- Mai Buko
- 16. Feb. 2021
- 7 Min. Lesezeit
It's springtime Babies!
Gibt's doch gar nicht, von Minusgraden schlagartig auf 13 Grad heute!
Da freut sich meine Hüfte.
Wie alle alte Menschen die unter Gicht, Rheuma oder -neudeutsch- Arthrose leiden, quäle auch ich mich besonders unter krassen Wetterveränderungen.
Die Nacht war mal wieder ein Alptraum. Höchstens 4 Stunden Schlaf, und kurz vorm Aufwachen geträumt, die Pflegeleitung der ersten Etage hätte mich angerufen, ich soll schnell kommen, mein Vater läge in den letzten Zügen.
Als ich wach wurde, war mir erst nicht klar, ob das jetzt wirklich geschehen ist.
Den ganzen Tag humpele ich immer wieder zwischendurch. Aber was soll's, ich gewöhne mich langsam an all diese Gebrechen.
Nützt ja alles nichts, wie meine Bewohner richtig sagen. An ihnen sehe ich ja, was mir noch alles bevorsteht. Rollator, Rollstuhl, Schmerzen hier, Schmerzen da, Fentanylpflaster und Angstlöser.
Vieles war einem ein Leben lang nicht klar, plötzlich bemerkt man dieses und jenes, das eine schockt mehr als das andere, deswegen möchte ich jetzt mal ein sehr unschönes Thema anschneiden, damit alle noch viel jüngere Leserinnen nicht genauso geschockt reagieren wie ich, als mir klar wurde, ohjeh, das kann ja wohl nicht wahr sein, das ist der Anfang vom Ende!
Es geht um, sagen wir mal, optische Veränderungen.
Dass man irgendwann nicht mehr so leicht abnimmt wie noch in jüngeren Jahren ist allgemein bekannt, die Figur ändert sich also, auch dass die Haut altert weiß man, irgendwann hat man Falten, ich meine jetzt nicht diese sympathischen Lachfalten, sondern solche knitterigen am Hals.
Das ist schlimm, aber das Thema das ich jetzt speziell ansprechen möchte, übertrifft das alles, das hatte ich vorher noch nicht auf dem Schirm, habe nie irgendetwas darüber gelesen oder gehört.
Ich ahne auch weshalb, weil es so unfassbar demütigend ist, und mir es auch unheimlich schwer fällt da jetzt offen drüber zu reden.
Es geht um Körperbehaarung.
Körperbehaarung ist mir schon von jeher ein Gräuel.
Ich mag auch keine Männer, die übermäßig behaart sind. Diese heißegeliebten sogenannten „Bärchen“ in der Schwulenszene mag ich gerne mal kitzeln oder mit ihnen lecker was kochen, aber optisch sind sie das Gegenteil von dem, was ich attraktiv finde.
Frauen und Körperbehaarung geht gar nicht. Das war schon in der Antike klar, Achsel- und Beinhaare werden seit Menschengedenken schnellstens entfernt.
Ich gebe zu, nachdem der letzte Sommer vorbei war, hörte ich auf sie per Wachs oder Klinge zu beseitigen. Das war aus einer Scheiß-Corona,-ist -doch-alles-egal-Laune heraus. Und dann gefiel es mir, mich diesbezüglich ein wenig verwahrlosen zu lassen.
Es gab Typen, die sich aus dem selben Grund einen Bart wachsen ließen.
Auch wenn Marie meine Verweigerung sofort als cooles emanzipatorisches Statement feierte, musste ich sie enttäuschen und ihr erklären, dass es sich um reine Faulheit handelt, sobald es wieder wärmer wird, ist Schluss damit.
Als mein Kopfhaar langsam ergraute, färbte ich mir den Ansatz immer wieder in meiner natürlichen Haarfarbe nach. Das war anstrengend und eine never ending story, fast alle zwei Wochen konnte man da nachlegen, also ließ ich sie einfach mal rauswachsen, die grauen Haare, um zu sehen und zu hoffen, vielleicht sieht das ja ganz gut aus, und ich werde nur noch meliert rumlaufen.
Das dauerte seine Zeit, aber ich war geduldig, damals hatte ich auch nicht ganz so lange Haare, und nach einem neuen Haarschnitt, einem "Bob", war ich irgendwann natürlich ergraut.
Es machte mich zwar erheblich älter, aber es sah gar nicht so schlimm aus, ich hatte sogar wunderschöne reinweiße Strähnen an den Schläfen.
So komplett weiß finde ich nämlich toll, und liebe es bei meinen Bewohnerinnen, wenn sie es zulassen, in ihren weißen Haaren zu wühlen, sie zu kämmen und zu liebkosen.
Aber ich wurde einfach nicht überall weiß, bei mir blieben nur die Schläfensträhnen weiß, meine restlichen Haare waren durchsetzt von weißen, silbernen und grauen Haaren, und ergaben insgesamt ein langweiliges meliertes Grau.
Dazu kam, dass meine ergrauten Haare überhaupt nicht mehr glänzten. Sie sahen stumpf aus und fühlten sich auch so an.
Ich färbte sie deswegen bald wieder, und irgendwann verließ mich auch dabei wieder die Lust und ich begann einzelne Strähnen bunt zu färben, pink, lila, blau, türkis, orange, alles durcheinander, Hauptsache künstlich, die Farbe hielt besonders gut auf den weißen und grauen Haaren, bis ich nach mehreren Jahren Experimentieren bei „Midnight Blue“ hängenblieb. Also nicht mehr bunt sondern nur noch blau.
Was jetzt seit zwei Jahren auch mein Erkennungsmerkmal bei den dementen Bewohnern ist, und meistens für viel Freude und Gesprächsstoff sorgt.
Eigentlich hat mich mein Friseur und Zen-Meister Wolfgang darauf gebracht, ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, dass Blau mir stehen könnte, ich mag Blau eigentlich nicht mal besonders. Aber auf meinen Haaren, mit all seinen unterschiedlichen Farbnuancen gingen all meine Grautöne eine wundervolle Symbiose mit diesem Blau ein.
Wenn die Farbe mit der Zeit verblasst und rauswächst, ist das überhaupt nicht mehr schlimm, sie ist immer noch schön, graublau, und meine weißen Strähnen, die die Farbe als bestes aufnehmen und anfangs knallig strahlen, werden nach einer Zeit wieder weiß mit einem hellblauen Schimmer, ich mag das. Da ist immer was los. Immer anders und irgendwie natürlich. Ich färbe jetzt nur noch alle viertel Jahre, was auszuhalten ist. Denn die Haare selbst zu färben ist, wie Haarewaschen an sich, echt anstrengend, nur tausendmal schlimmer.
Aber ehrlich gesagt, wollte ich darauf gar nicht so genau eingehen.
Das ist reine Ablenkung. Ist ja kein Makel, auf den ich hingewiesen hab, es ist eigentlich sogar ein guter Vorschlag für den Umgang mit einem halbschweren Alterungsphänomen.
Das ist lediglich ein Verdrängungsmechanismus, weil ich gar nicht darüber reden will.
Über dieses Ekelhafte, nicht Aussprechbare.
Zwei grauenhafte Zustände, die sich bei mir durchs Altern eingestellt haben.
Vor denen ich warnen wollte. Falls es vielleicht doch einmal die eine oder andere Frau betrifft. Dann können sie sagen, ich habe das mal gehört, dass so etwas vorkommen kann, jetzt habe ich auch dieses Leid. Ich wollte Klartext sprechen, ungeschönt die Wahrheit verkünden, ich wollte mich outen.
Also erstens: Nasenhaare.
Oh Gott, jetzt ist es raus.
So wie in meinem Kopfhaar und auch in meinen Augenbrauen einzelne weiße Haare sichtbar sind, so sprießen jetzt seit geraumer Zeit auch in der Nase weiße Haare!
Das Schlimme daran ist, dass sie nun einzeln in der dunklen Höhle, in denen die schwarzen Nasenhaare ja optisch verschwinden, plötzlich förmlich herausleuchten.
Die muss ich zupfen, was höllisch weh tut, aber es muss sein, denn wenn ich wieder eins entdecke, also nahe am Nasenloch, dann werde ich verrückt, ich würde auch bei einem schwarzen Haar verrückt, das sich da raus stibitzt, aber ein weißes Haar ist ungleich katastrophaler, es strahlt da ganz unbekümmert wie grelle Neonreklame und zieht alle Blicke auf sich. Vermutlich.
Also ich könnte, wenn ich bei jemanden ein weißes Nasenhaar entdecke, nicht mehr woanders hinschauen, ich würde ganz nervös werden, mich nicht mehr auf die Unterhaltung konzentrieren, ich wäre fix und fertig.
Okay, das war das eine. Puh. Ächz.
Und nun das andere Furchtbare, das erst durchs Alter bei mir anfing:
Ich kann nicht!
Ich kann es einfach nicht über mich bringen.
Es ist so peinlich.
Wahrscheinlich bin ich die einzige Frau auf der ganzen Welt, bei der das so ist.
Außer vielleicht bei der Kollegin aus der Pflege, die tatsächlich einen wirklichen Bartwuchs hat und sich richtig rasieren muss. Mit Bartstoppeln und allem. Die Arme.
Okay, das hab ich nicht. Es könnte also noch schlimmer sein, ich kann froh sein, dass es sich bei mir nur um...
Herrjeh!
Oh Gott!
...um Haare auf dem dicken Zeh und auf dem Mittel- und Zeigefinger handelt.
Ja.
So ist es.
Da wachsen wahrhaftig um die 5 Haare auf jedem dicken Onkel, und jeweils zwei bis drei auf den Fingern, die ich natürlich sofort wegzupfe, sobald ich sie entdecke.
Ich frage mich, was soll das?
Warum wachsen einem nach Jahrzehnten glatter Haut plötzlich Haare an ausgerechnet diesen Stellen?
Das ist Männersache, und schon schlimm genug, dass die sich damit rumplagen.
Aber denen ist das sehr wahrscheinlich egal. Die haben ja eh viel mehr Haare überall.
Außer auf dem Kopf. Da fallen den meisten von ihnen schon früh die Haare aus.
Ich dagegen war schon mein Leben lang gesegnet mit dichtem tonnenschwerem Kopfhaar und spärlicher Restkörperbehaarung. Ich hab Freundinnen, die haben Haare auf den Oberschenkeln, oder bis zum Bauchnabel, an den Armen, im Nacken oder auf dem Rücken. Das hab ich, Gott sei Dank, bis heute nicht.
Meine Güte, so ein Outing ist schon krass. Mir klopft das Herz bis zum Hals.
Aber es ist mein Tagebuch. Ich will und muss ehrlich sein.
Ein Glück kenne ich meine Leser persönlich. Bis auf Visitor 1763.
Es gibt bestimmt noch mehr Unbekannte, wenn ich manchmal sehe wieviele Menschen hier einzelne Beiträge lesen.
Naja, die Aufrufe bleiben im zweistelligen Bereich, überschaubar, also alles gut.
Hauptsache meine zukünftigen Enkel verstehen mich, wenn sie das hier im Jahr 2043 lesen. Oder, falls ich doch keine Enkel bekomme, mein Großneffe Felipe. Wenn er mit Mitte zwanzig bei seiner Ahnenforschung auf mich stößt.
Und nun zu etwas Erfreulichem:
Heute wäre normalerweise der Veedelszoch, der Karnevalsumzug des Viertels in dem unser Seniorenheim steht, gewesen. Jedes Jahr um 11 vor 11 geht er los, und wir karren, falls es nicht aus Kübeln regnet, so viele Bewohner wie möglich an den Strassenrand und kommen meist mit Unmengen an Kamelle, Pralinen und Strüßje wieder zurück.
Weil es ja dieses Jahr ausfiel, hatten wir uns aus Kartons Wagen gebastelt, sie waren bunt bemalt und einen bemalten wir wie einen orangefarbenen AWB-Wagen, den sich Anouk als Schlusslicht umhängen wollte. Dazu hatten wir Schilder auf denen „Bützje“ stand, die wir den Bewohnern ans Gesicht halten wollten, da wir ja keine echten Küsschen verteilen dürfen, wir hatten Kamelle in Umhängebeuteln und (nachdem ich heute morgen die 80 vorbestellten Strüßje im Blumenladen abholen wollte, der Laden aber geschlossen hatte, ohne mich darüber zu informieren, ich wutentbrannt noch schnell alle Tulpen- und Rosen-Sträuße im Rewe aufkaufte) Strüßje, die wir in einem Zoch durchs Haus verteilten. Sogar Orden haben wir gefertigt, Malte und Anouk hatten das Layout übernommen, Malte malte (hahaha) einen lachenden Coronavirus mit Karnevalsmützchen, die Orden sind zum Weinen schön geworden.
Die Heimleitung überreichte dann jedem einzelnen Bewohner einen dieser Orden. Das war so lustig, wie wir mit Perücken und in Kostümen, mit Karnevalsmusik aus dem Ghettoblaster, Rasseln, Tambourin und viel Elan zu Acht durch die Wohnbereiche zogen und die Bewohner bespaßten.
Wir haben ja sechs Wohnbereiche, nach dem ersten waren wir schon ziemlich aus der Puste, nach dem zweiten mussten wir uns beim Strüßje und Kamelle verteilen zügeln, als wir komplett durch waren, waren wir heiser und durchnässt. Aber es hat sich gelohnt.



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