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Sonntag, 13. Dezember

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 13. Dez. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Dez. 2020

Die drei Weihnachtsfeiern konnte ich durch einen genialen Schachzug, nämlich der Ankündigung, dass das echt too much für mich ist, auf nur noch zwei reduzieren.

Aber die beiden Tage reichten schon um meinen Stresspegel bedenklich zu erhöhen, weil die ganze Organisiererei und auch die Planung und Ausführung der dazugehörigen Dekorationen auf allen sechs Wohnbereichen für die drei Tage echt sehr anstrengend waren und der Gleichmut oder die Faulheit meiner direkten Kollegen mich in den Wahnsinn trieb.


Gott sei Dank trafen Tommy und ich in dieser Zeit endlich mal wieder auf Achim.

Er sah gut aus, war gesellig, so plauderten wir ein wenig.

Er kommt mit seinen Einnahmen trotz der geschlossenen Lokale gut hin, um an sein Gras und Heroin zu kommen.

„Die Leute geben momentan echt viel!“ sagt er anerkennend.

Auch ich hatte ihm sofort, vor lauter Freude ihn lebend wieder zu sehen, 10 Euro in die Hand gedrückt.

Tommy interessiert sich für seinen Heroinverbrauch.

„Ich rauch das ja nur!“

„Also Crack oder was?“

„Crack? Ja, hab ich schon mal gehört. Aber ich bin nicht süchtig.“

„Du rauchst das nicht täglich?“

„Doch, natürlich! Nee, das geht nicht, einmal nen Tag ausfallen lassen, nee, das ist voll anstrengend. Lieber nicht.“


Coronamäßig geht es dramatisch weiter, 23.679 neu gemeldete Corona-Infizierte, das ist aktuell der Höchststand, Merkel hält eine emotionale Rede mit der Bitte endlich einheitlich für einen härteren Lockdown zu stimmen.

Der Verfassungsschutz beobachtet jetzt zentrale Figuren der Querdenker-Bewegung, da diese Organisation mittlerweile ganz offensichtlich von Reichsbürgern und Rechtsextremen durchsetzt ist, sich die Querdenker aber nicht davon distanzieren.


Tommy wird über die Weihnachtstage zu seinen Eltern in den Schwarzwald fahren, einen Test will er vorher auf gar keinen Fall machen, weil er erhebliche Angst davor hat, unter anderem durch meine bestialischen Beschreibungen, deshalb versucht er eine 10tägige Quarantäne vorher anzuberaumen, womit er sich aber auch schwer tut, weil er die dann eigentlich schon in 2 Tagen beginnen muss.


Die Glühweintouren sind jetzt vollends verboten. Alkohol to go darf generell nur noch bis 15 Uhr ausgegeben werden.


Meine „Lieblingskollegin“ hat es durch ihr heuchlerisches Verhalten und ihre Anbiederei geschafft, dass die Heimleiterin sie wieder ganz normal behandelt, sie macht sogar wieder Scherze mit ihr. Wenn ich zufällig Zeugin eines solchen Moments werde, schaut mich die Kollegin triumphierend von der Seite an, ob ich es auch wirklich mitbekomme, was sie wieder für einen guten Stand hat.

Und ja, dass sie es geschafft hat, belastet mich, ich fühle mich dadurch gedemütigt, mein Bauch reagiert augenblicklich mit Krämpfen, zuhause dann wieder dieser andauernde Durchfall.


Auf der Arbeit holen wir die Einwilligung von Angehörigen oder den Bewohnern selbst ein, sofern sie dies noch entscheiden können, ob sie einer Impfung zustimmen, da die Ärzte nun genaue Anzahlen von Impfdosen benötigen. Auch wir Mitarbeiter können anonym einen Impfwunsch oder eine Ablehnung abgeben.


Einmal muss Anouk frühzeitig die Arbeit verlassen, weil auf der Beerdigung, auf der sie vor ein paar Tagen war, ein Corona-Positiver gemeldet wurde. Kurze Aufregung, sie hat natürlich Angst, aber wenige Stunden später hat sie schon ein negatives Testergebnis.

Als sie nicht da ist, übernehme ich unbewusst ihre entspannte Art mit unschönen und frustrierenden Situationen umzugehen, an mir gleiten all die Provokation der Lieblingskollegin und der Hauswirtschaftshexe ab, ich kann sogar Adele beruhigen, ihr Ratschläge geben, wie sie damit jetzt besser umgehen kann, wenn die Eine oder die Andere blöde Kommentare abgibt. So wie sonst Anouk mich beruhigen kann, mir wieder Klarheit und Boden unter den Füßen zurück gibt, wirke ich besänftigend auf Adele.

Ein schönes Gefühl. Ich komme mir vor wie Buddha.


Mit diesem gelassenen Empfinden ertrage ich auch Zen-mäßig die Viertelstunde Wartezeit im Regen auf Tommy, da er sich verspätet, weil er noch mit einem Interview beschäftigt war, das er einem Podcaster gab, der die Kölner Clubkultur beleuchtet.


Ein neuer Schritt im Skandal um Kardinal Woelki wird in den Tagesthemen angesprochen, nämlich dass Woelki sich heute an den Pabst gewandt hat, der bitte prüfen soll „um die gegen mich erhobenen kirchenrechtlichen Vorwürfe zu klären“

Woelki hatte es nämlich unterlassen einen Fall schwerer sexualisierter Gewalt durch einen befreundeten Düsseldorfer Priester in den 1970er Jahren aufzuklären. Ausserdem hatte er ein Gutachten bei einer Kanzlei zum Umgang des Erzbistums mit dem Missbrauchsskandal in Auftrag gegeben, stoppte dann aber die Veröffentlichung mit der Begründung „gravierender methodischer Fehler“ und gab ein weiteres Gutachten in Auftrag, was dann im März 21 veröffentlicht werden soll. Und noch viel mehr ungeheuerliches und undurchsichtiges Zeug, so dass das Zentralkomittee der deutschen Katholiken und weitere kirchliche Organisationen sowie prominente Bischöfe das Verhalten Woelkis scharf verurteilten und sofortigeTransparenz forderten.

Er aber bleibt völlig unberührt, gibt keine Fehler zu, sitzt es stoisch aus, bittet um Geduld, im März käme ja das neue Gutachten, ansonsten soll es der Heilige Vater doch richten.


Am Samstag fahre ich über die Überführung der Severinsbrücke und höre lautes Autohupen. Ich fahre an die Brüstung und sehe unter mir einen nicht enden wollenden Autokorso der über die Brücke in meine Richtung fährt. Fahnen hängen aus den Fenstern, Plakate werden hochgehalten, ich brauche eine Zeit bis ich verstehe um was es den Demonstranten überhaupt geht. Es sind Inder, die sich mit den Bauern ihres Landes solidarisieren, denn eine große Veränderung in der Agrarpolitik Indiens steht bevor, die dafür sorgt dass Millionen Bauern nicht mehr von ihren Erträgen leben können und sterben werden.

Ich winke den Autoinsassen, will dadurch meine Solidarität zeigen, sie winken lächelnd zurück. Neben mir stehen andere Schaulustige und schauen sich das laute Spektakel an. Teilweise fallen bescheuerte Kommentare:

„Geht doch nachhause, in euer Land, da habt ihr eure Freiheit.“

„Halt die Fresse!“ raune ich so einem Arschloch zu, hab aber gleichzeitig Angst, dass mich der Asi hier angreift. Er ignoriert mich Buddha sei Dank und geht weiter.

Die schönen bunten Kleider der Frauen und Kinder leuchten durch die Scheiben und aufgerollten Autodächer, Turbanmänner mit Bärten winken, es geht nur langsam weiter, der Blickkontakt zu den einzelnen Leuten da in den Autos ist sehr deep und berührt mich enorm. Ich forme zum erstenmal in meinem Leben ernstgemeint ein Herz aus meinen beiden Händen, worauf auch sie Herzen zurück schicken. Ich bin absolut bewegt, kann mich kaum lösen, andauernd kommen mir die Tränen vor Verbundenheit mit diesen fremden Menschen, die für ihre Landsleute demonstrieren.

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker, sagte angeblich mal Che Guevara, hier jedenfalls kann ich diese Zärtlichkeit in jeder Körperzelle spüren, mir ist ganz heiß. Heulend berichte ich Tommy davon als wir uns am Severinskirchplatz zum Kaffee treffen.


Für nächste Woche Mittwoch wird dann doch ein großer Lockdown bekannt gegeben, ich wundere mich, dass nicht schon Montag alles dicht gemacht wird, an den beiden noch offenen Tagen wird es doch bestimmt aufgrund der hastigen Weihnachtseinkäufe wieder zu mehr gefährlichen Kontakten kommen. Besuche in Heimen sind weiterhin gestattet, Schnelltest für Besucher sollen dann auch ab nächster Woche in den Heimen durchgeführt werden. Oje, das wird stressig, ich sehe das schon kommen.

Silvesterzeug darf nicht verkauft werden, Böllern verboten, wie herrlich.


Heute am Sonntag treffe ich kurz eine Berliner Freundin, die zu einem Seminar in Köln war und mich unbedingt wenigstens kurz sehen möchte. Eigentlich möchte ich niemanden treffen, schon gar nicht jemanden der mit dem Zug angereist ist und mit 15 anderen zwei Tage an einem Seminar teilgenommen hat, aber sie freut sich so, also stelle ich mich mit Abstand zu ihr vor's Forum, trinke Cappuccino, und wir tauschen in der halben Stunde vor ihrer Abfahrt schnell die neuesten Infos aus. Tommy kommt dann noch dazu, die beiden kennen sich auch, das ist noch schöner für sie, zwei Fliegen mit einer Klappe.

Als sie zum Taxistand geht, um zum Bahnhof zu fahren, packt Tommy seine Tupperdosen aus.

Das Eiscafé Forum schließt nämlich heute abend und hat uns eingeladen die Restbestände mitzunehmen, bevor sie weggeschmissen werden.

Er bekommt zwei Dosen voll Eis, eine für mich, komplett nur mit „Concertina“ gefüllt, und ein Tablettchen mit Tiramisu ist auch noch für ihn drin.



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