Sonntag, 12. Juli
- Mai Buko
- 12. Juli 2020
- 3 Min. Lesezeit
Ich wache so circa jede halbe Stunde auf und frage mich selbst, ob es mir jetzt besser geht. Um halb 9 kann ich diese Frage eindeutig mit „Ja“ beantworten.
Erschöpft, schwach, ja klar, aber keine Übelkeit mehr, kein Schüttelfrost, kein kalter Schweiß auf der Stirn, ich hab mir wohl doch keinen Virus eingefangen.
Gott sei Dank!
Junge, Junge, was war das denn?
Ich hab tierisch Durst und auch schon ein wenig Hunger.
Was mach ich denn jetzt bloß, irgendwie ist mein Plan von gestern doch voll blöd. Erst um kurz vor 12 frühstücken! Wie doof!
Ich muss ja jetzt auch meine Medikamente einnehmen, meine Flohsamenschalen in den Joghurt rühren, danach noch ordentlich trinken. Das klappt doch alles vorne und hinten nicht. Und wenn ich jetzt wieder so weit zur langen Reihe gehe, dann schaffe ich es womöglich nicht rechtzeitig zurück um auf’s Klo zu gehen.
Hach, ist das schon wieder anstrengend, und das obwohl ich doch jetzt so schwach bin und am liebsten tatsächlich im Bett bleiben würde, mit Frühstück Delivery und frisch gepresstem Karrottensaft, zwei Liter am besten.
So denke ich von links nach rechts, komme auf keinen grünen Zweig und bleib einfach unschlüssig im Bett liegen.
Kurz nach zehn meldet sich überraschend Gisa, sie hatte eine schlechte Nacht, mit Kreislaufproblemen, Kotzgefühlen und ist ziemlich gerädert, aber ich könnte ja mein Zeug zum Bahnhof bringen, da Brötchen und Milch im Edeka kaufen und zu ihr zum frühstücken kommen.
Das ist wie ein Gottes Geschenk.
Endlich ein Plan. Und dann auch noch so praktisch, keine Panik vor plötzlichen Klobedürfnissen, alles was man braucht am Start, und wir können uns gegenseitig bedauern.
Gisa frühstückt dann nur einen Smoothie, während ich mir das köstlichste Baguette seit Menschengedenken in kleinen Abschnitten mit Marmelade bestreiche und literweise Apfelsaft und Kaffee trinke. Wir kommen einfach nicht dahinter, was uns hat so dermaßen zusammenbrechen lassen. Das einzige gemeinsame, das wir konsumiert haben, war dieser braune Sambuca. Aber kann dieser Winzling wirklich solche Katastrophen auslösen? Gisa tendiert dann auch mehr zu psychosomatischen Ursachen. Eigentlich ist es dann auch egal, weil wir beide froh sind, diese Nacht hinter uns gebracht zu haben.
Ich bin so glücklich, dass ich meine letzten Stunden in Sicherheit bei Gisa verbringen konnte, und alles so lecker und gemütlich war, dass ich frohen Mutes gegen 13 Uhr in den Zug steige.
Auf dem Bahnsteig fiel mir schon unangenehm so eine Horde „lustiger Männer“ um die 50 auf. Nicht so richtig asi, aber doch aufdringlich in ihrer bekackten Heiterkeit.
Die nehmen dann auch noch die beiden Tische vor mir und alle Sitzreihen drumherum in Beschlag, sind unverkennbar aus Köln, was mir unendlich peinlich ist, keiner hat eine Maske auf, dafür aber eine Pulle Bier in der Hand und jederzeit zu einem Scherz oder dummen Spruch bereit. Sie quatschen alle Leute in ihrer Nähe an, sind ja sooo kontaktfreudig, rheinische Frohnaturen, dass manche Mitreisenden das auch noch voll nett finden. Ich rutsche tiefer in meinen Sitz, ziehe mir die Maske bis fast über die Augen, vermeide Blickkontakt, auf keinen Fall sollen die mich mit einbeziehen in ihr fröhliches Getue, ich bin viel zu schwach mich gegen die zu wehren, und freundlich will ich auch nicht sein.
Die meiste Zeit schließe ich die Augen, schrecke aber ungefähr 8.000 mal auf, weil ich offenbar in so einen Sekundenschlaf abdrifte, mir das selbst im Schlaf zu gefährlich vorkommt und mich mein innerer Wachdienst dann immer auf höchster Alarmstufe, also mit galoppierendem Herzrasen, hochschrecken lässt.
Nach vier elenden Stunden bin ich endlich um halb 6 in Köln, und treffe mich sogar noch mit Sunia, die sich kurz vor meiner Ankunft meldete und gerne noch was mit mir trinken wollte, im Café im Stollwerck. Und wir gehen tatsächlich danach noch eine Kleinigkeit essen, nützt ja alles nichts. Kochen schaffe ich nicht, und Hunger habe ich ja auch schon wieder. Um 22 Uhr falle ich ins Bett und schlafe bis der Wecker um halb 8 klingelt.

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