Dienstag, 21. Juli
- Mai Buko
- 21. Juli 2020
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Juli 2020
Fortbildungen gehören nicht so zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Aber wir müssen einmal pro Jahr mindestens eine machen. Ich such mir dann immer im Katalog irgendein Thema aus, sowas wie „Männer und Demenz“, „Palliative Care“, „Humor in der Pflege“, „Ganzheitliches Gedächtnistraining“, „Basale Stimulation“, „Herausforderndes Verhalten“, „Depression oder Demenz?“, eigentlich hört sich das auch ganz interessant an, aber leider sind die Seminare dann meist doch etwas flach, und ich als Klugscheißerin mach mir da außer den jeweiligen Dozenten nicht gerade Freunde.
Das Mittagessen in diesem Bildungswerk ist allerdings immer hervorragend, das Einzige, auf das ich mich jedesmal freue.
Aber Gruppenspiele, Vorträge und Powerpoint-Präsentationen sind nervig, im schlimmsten Fall einschläfernd.
Diesmal geht es um „Vertiefungstage“ unserer ursprünglichen Ausbildung.
Die Ausbildung ist ehrlich gesagt auch ein Hohn. Man erhält ein kleines Grundwissen, bekommt nach ca. drei Monaten so einen Schein, die erworbene Qualifikation erlaubt einem in diesem schlecht bezahlten Beruf als „Betreuungsassistent“ arbeiten zu dürfen.
Jeder Depp schafft diese Prüfung, deshalb sind halt auch viele Deppen in dieser Branche anzutreffen.
Dieses Grundwissen ist natürlich wichtig, aber elementarer sind die Skills, die man von haus aus mitbringt, die man nicht lernen kann.
Als erstes natürlich Empathie, dann Flexibilität, Improvisationsvermögen, Kommunikationsfähigkeit in jede Richtung, Gelassenheit, Beobachtungsgabe, keine Berührungsängste mit Wahnsinn, Schmerz, Trauer und Tod und eine allumfassende Menschenliebe.
Es gibt dann leider keine Möglichkeiten mehr sich weiter zu qualifizieren, um in bessere Gehaltsklassen aufzusteigen. Die Fluktuation ist dementsprechend hoch. Entweder weil sich der Betreuungsassistent dann doch als zu ungeeignet herausstellt und gehen muss, oder weil er doch nicht doof ist, und sich ausbeuten lässt für ein Minigehalt, und die Stelle wieder aufgibt, um entweder woanders sein Glück zu versuchen oder ganz was anderes anfängt.
Und dann gibt es noch die Leute wie mich, durch verschlungene Lebenswege hierhin gespülte Idealisten, die überrascht wurden von der Beglückung durch diese vielfältigen Tätigkeiten und der Sinnhaftigkeit dieses Jobs, dass sie es in Kauf nehmen fortan in bescheidenen Verhältnissen zu leben, weil die Zufriedenheit über das was man tut so viel mehr Seelenheil gibt als ein gedecktes Konto.
Montag und Dienstag also Seminar, unter Corona- Bedingungen, jeder sitzt allein an einem Zweier Tisch, wenn man sich von seinem Platz wegbewegt sofort die Maske auf, keine Singspiele, keine Berührungen, welch Wohltat, die Dozentin ist ganz sympathisch und ich schaffe es jedesmal pünktlich da zu sein und nicht einzuschlafen.
Die Erschöpfung vom Wochenende schleppe ich noch bis Freitag mit zur Arbeit, Samstag habe ich frei, den verschlafe ich komplett obwohl draussen Badewetter ist, Sonntag wieder einen Mammut-Tag von 8 Uhr morgens bis halb 5, ich hab das Gefühl, dass ich am Stock gehe.
Nieselregen zwischendurch, dem ich ein Lied widme, während ich im Regencape zur Arbeit fahre:
„Nieselregen, du alte Sau, keiner sieht dich, aber jeder spürt dich, wenn du dich mit deinen unsichtbaren Tropfen auf meine Kleidung schleichst. Ich hasse dich du blöde Kuh, alles ist jetzt schon klamm, das ist ekelhaft, du bist so überflüssig wie man nur sein kann, keiner mag dich, du bist völlig unerwünscht, hau ab!“
Wenn es warm ist, mag ich eigentlich Nieselregen, dann sind es so zarte Berührungen auf der Haut, ganz weich im Gesicht, auf den Armen und Beinen und ich strecke mich ihm entgegen, aber das sag ich ihm jetzt natürlich nicht, weil er grade nervt.
Mir begegnet zwar keiner, aber ich schäme mich trotzdem ein bisschen, weil eventuell doch jemand hören kann, wie ich mein Lied singe, das ich italienischen Schlagern aus den Siebzigern nachempfunden habe.
Die Gespräche mit Tommy nach Feierabend werden immer träger:
„Da ist wieder der Pissmann!“
„Wo?“
„Da!“
„Echt?“
Ich erkenne ihn nie, doch Tommy sieht ihn andauernd, den Mann, der damals auf unserer Corona-Wiese in Sichtweite döste, dann umständlich seinen Pimmel rausholte und im Liegen neben sich pinkelte.
„Evil-Rocko ist auch schon wieder am Start!“
„Ach Gott, der nervt!“
(Der Mann, der Rocko Schamoni auf eine schlimme Art ähnlich sieht und das Gegenteil von Rocko verkörpert, taucht andauernd da auf, wo Tommy und ich gerade sitzen, egal ob im Café oder Restaurant, egal ob in der Südstadt oder auf der Aachener Straße.)
„Ich könnte jedem, der seine Maske unter der Nase trägt in die Fresse hauen.“
„Ja, bescheuert.“
„Ich meine, ich könnte jedesmal demjenigen in die Fresse hauen, der seine Maske so trägt. Ich kann mich da nicht dran gewöhnen, ich krieg jedesmal die Wut, wenn ich so einen sehe. Ich werde kein bisschen milder. Obwohl ja gefühlt jeder dritte so rumläuft. Bin ich krank?“
„Ja.“
Achim kommt vorbei, unser Lieblingspenner.
„Hallo Beate!“
Tommy lacht sofort los.
Ich: „Hallo Achim, alles klar?“
Achim: „Ja, was soll sein. Wieder Feierabend?“
Ich: „Ja.“
Tommy: “Und weißt du wie Beate in Wirklichkeit heißt?“
Achim (zuckt die Schultern): „Nee, egal.“
Ich: „Eben.“
Achim: „Hast du ne Zigarette?“
Ich: „Hier.“
Auf der Arbeit wird es auch in dieser Woche nicht viel leichter. Der Wahnsninn geht um.
Unser Liebespärchen trennt sich dreimal am Tag, die Frau wird jetzt sogar gewalttätig und schlägt den armen unschuldigen Mann, der ihr immer wieder verzeiht. Wir müssen uns da unbedingt was überlegen.
Frau Z. ist immer wieder empört, zieht jeden Moment bei uns aus, weil sie die Nase voll hat, und unbedingt zu ihrer Mutter muss, ihre Strasse ist ja völlig kaputt, ausgebombt.
Herr L. ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde, er hat einfach keine Lust mehr, dem kann ich nichts entgegen setzen und verstehe ihn in seiner Situation nur zu gut, weise ihn nur darauf hin, dass Sterbehilfe hier in Deutschland verboten ist, und ich ihm echt nicht helfen kann.
Ich glaube zwar nicht, dass ich das könnte, wenn es in Deutschland erlaubt wäre, aber nachvollziehen kann ich das allemal.
Die voll orientierte Frau P. verscherzt es sich durch ihre schnoddrige böse Art mit jedem, nicht nur mit den Kollegen, jetzt auch noch mit Mitbewohnern. Heute hat sie sich mal wieder die Hauswirtschaftskollegin, die für die Wäsche zuständig ist, vorgenommen, macht sie fertig, weil ihre private Bettwäsche nicht ordentlich gebügelt wurde. Dabei steht es ihr frei unsere Hausbettwäsche zu benutzen, die geplättet und gestärkt von einer Aussenfirma geliefert wird.
Frau K. und Frau N. landen immer wieder im Aufzug, gelangen in Wohnbereiche, die sie nicht kennen, was ihre Fluchtgedanken noch bestärkt.
Angehörige sind ungeduldig und begeben sich unerlaubt, also ohne dass wir die Temperatur messen und das Kurzscreening durchführen konnten auf die Zimmer ihrer Eltern.
Krankheitsfälle unter den Pflegern häufen sich, viele, die dann übernehmen, sind überlastet, stänkern daraufhin rum, oder fallen dann auch krankheitsbedingt aus.
Haushaltskräfte fallen auch aus, wir vom sozialen Dienst springen andauernd für die Prozedur des Mittagessens ein, also Menüs verteilen, alle bei Laune halten, die Küche anschließend wieder aufräumen, die Spülmaschine füllen, die Tische für den Nachmittagskaffee eindecken.
Die Stimmung ist etwas angespannt, deswegen ist es schön sich bald einem neuen Projekt zu widmen: ich werde bei der Bepflanzung vom Hochbeet und an ein paar Stellen neben dem Haus aktiv eingespannt, darf die Pflanzen aussuchen, mit dem Hausmeister zum Gartencenter fahren und shoppen gehen, und muss aber auch mit Herrn W., dem lieben Bewohner, der mir öfters Blumen ins Fahrradkörbchen legt, die Umgraberei und das Einpflanzen übernehmen. Heute hat er mir übrigens wieder eine Rose ins Körbchen gelegt.
Gestern kam um viertel vor 9 der Klempner zu mir nach Hause.
Irgendwas stimmt mit meinem Abflussrohr in der Küche nicht. Bestimmt schon seit einem Jahr fließt Spülwasser in die Waschmaschine, und Waschmaschinenwasser ins Spülbecken. Das stehende Wasser in der Waschtrommel bemerke ich erst nicht, dann stinkt es und ich lasse die Maschine abpumpen. Täglich. Alle möglichen Tipps aus dem Internet habe ich schon befolgt, Soda, Backpulver, Natron, Essig, und natürlich hab ich auch schon alle gängigen Rohreinigerprodukte durch. Ein Bekannter hat dann mal mit einer Spirale, die ich unter erheblicher Kraftanstrengung drehen musste, während er unter dem Waschbecken lag, und dieses Teil justierte, auch keinen Erfolg erzielt.
Der Klempner schimpft mich deswegen aus, das hätte alles verschlimmert, weil da jetzt irgendwo eine Verstopfung ist, so hart wie Beton.
Das ist schon demütigend, aber so richtig schlimm wird es, als ich nach dem Frühstück, das ich aus Platzgründen nicht in der Küche zu mir nehme, sondern nebenan in meinem Wohnschlafarbeitszimmer, dringend auf Toilette muss.
Das Bad geht bei mir von der Küche ab, wurde wohl mal vor Jahrzehnten davon abgetrennt.
Ich kann mich jetzt auf gar keinen Fall in 50 cm Entfernung von diesem Mann, nur durch diese Pappwand getrennt, auf’s Klo setzen. Niemals. Eher sterbe ich.
Schweißperlen sammeln sich auf meiner Stirn, weil ich echt nicht weiß, was ich tun soll.
Hier in meinem Zimmer bin ich ja durch ein dicke Wand von ihm getrennt, die Türe ist verschlossen, er würde nichts mitkriegen. Von was auch immer.
Ich muss halt vermeiden in die Hose zu machen.
Dann die geniale Idee: ich rufe meine Nachbarin, auf deren Katze ich regelmäßig aufpasse, an, aber sie geht nicht dran. Oh Mann. Direkt nochmal anrufen. Nichts.
Vielleicht ist sie schon arbeiten. Oder macht sie nicht Homeoffice? Vielleicht schläft sie noch. Ich gehe runter, mit ihrem Wohnungsschlüssel, klingele dreimal, nichts.
Ich hatte schon mal ein Ausweichproblem, da hat sie hat mir erlaubt, wann immer ich will, in ihre Wohnung zu gehen.
Ich schließe also ihre Tür auf, und sehe, dass der Schlüssel von innen steckt. Herrje, sie ist da. Und schläft noch, ich kann unmöglich jetzt einfach hier rein gehen.
Also wieder hoch in meine Wohnung, hallo da bin ich wieder.
Im Zimmer schaue ich mich um, den neuen Trolley aus Hamburg hab ich noch nicht in den Keller gebracht, der steht da blöd rum, und ist das einzige Behältnis, das ich missbrauchen könnte.
Mein Gott, das kann doch nicht wahr sein.
Mir wird heiß und kalt, lange kann ich nicht mehr einhalten. Was macht der überhaupt so lange da?
Mein Telefon klingelt, es ist die Nachbarin. Ja klar kann ich runterkommen.
Mein Gott, wie sehr kann einen der Anblick einer Toilette in Verzückung bringen, und sei sie noch so sehr mit Katzenhaaren beschmiert.
Das ist dann alles noch mal so grade gut gegangen.
Hätte ich echt in den Trolley gemacht? Wirklich?
Ich kann es echt nicht sagen, die Verzweiflung treibt einen manchmal zu komischen Lösungen.
Der Klempner, der von meinen Nöten nicht das Geringste mitbekommen hat, gibt auf, da sei nichts zu machen, er müsse nochmal vorbeikommen, mit härteren Maschinen, Materialien, um diesen Betonklotz, den ich ja verbrochen habe, zu zerstören.
Ich seufze, erstens wegen der erheblichen Kosten, die da auf mich zukommen werden und zweitens weil sich das ganze Spiel am Donnerstag wiederholen wird, er kommt dann um halb 9.
Als er weg ist, bitte ich meine Nachbarin per SMS für Donnerstag um Kackasyl, sie antwortet mir, dass mir ihr Klo ab ab 9:30 ganz allein gehört, aber ich auch gerne vorher kommen kann, wenn es eilt. Puh!

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