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Montag, 27. Juli

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 27. Juli 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Der Klempner kam am Donnerstag und reinigte mit schwerem Gerät die Betonverstopfung im Küchenabflussrohr ohne dass ich wieder in existenzielle Nöte geriet.

Auf der Arbeit hatte ich dann mit einer anderen Art von Beton zu tun. Der Boden, den ich für die Neubepflanzung umgraben musste, war genauso hart, das Bearbeiten mit Schaufel und anderen mir nicht bekannten Geräten trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Und auf den Nacken und den Rücken und die Hände und die Beine und wo man sonst noch so schwitzen kann. Es war ja auch endlich der Hochsommer eingekehrt, die Sonne knallte unerbittlich. Gott sei Dank half mir der liebe Herr W.


In der Cafeteria steht eine Kaffeemaschine, die wir Mitarbeiter benutzen, eine sogenannte „Kaffee-Pad-Maschine“. Die frischen und gebrauchten Pads lassen wir meist daneben liegen, weil irgendwer sich ja doch gleich den nächsten macht. Damit ist jetzt Schluss. Frau A., 96 Jahre alt, die es erst kürzlich dran gegeben hat, nach ihrer Mutter zu fragen, macht sich oft mit ihrem Rollator auf den Weg in die Küche der Cafeteria, im Glauben, das sei ihre Küche, bedient sie sich an Getränken und an allem was da so rumfliegt, mal Kekse, Melonenstücke, Kirschen, Erdnussflips, und eben jetzt die Pads. Das fiel auf, als sie sich wieder im Foyer ans Fenster setzte und plötzlich derbe anfing zu husten. Die vermeintlichen Kekse, die sie sich unter den Nagel riss, wir aus ihrem Mund pulten, stellten sich als unsere Kaffeepads raus, die wir nun im Hochschrank verstecken müssen, da kommt sie bestimmt nicht ran.


Zweimal ging ich diese Woche aus essen, beide Male eine reine Enttäuschung. Am Donnerstag „persisch und mediterran“ mit Clarita im unsäglichen „Oxim“ (jetzt wissen wir weshalb da immer sämtliche Tische frei bleiben, obwohl ganz Köln ausgebucht und besetzt ist), und am Samstag mit den Kindern italienisch in dem Restaurant von Davids Freund Vito, darüber sage ich jetzt auch nichts, ich möchte niemanden verletzen, aber es war dazu auch noch unangemessen kostspielig.


Am Freitag, meinem letzten Arbeitstag vor meinem einwöchigen Urlaub, kauften wir also tonnenweise gelbe Blumen, Gräser und Kräuter ein, die wir später einpflanzten. Mein Konzept ging auf, farbig, aber nicht bunt, Vielfalt aber nicht überladen, Inseln statt Reihen, lieber zart als hausbacken.

Das Einpflanzen stellte sich als so richtig körperlich anstrengend heraus, denn der Boden war immer noch zu hart, das ewige Bücken und das Schleppen der Säcke voll Muttererde und Rindenmulch fühlten sich bei über 30° Grad unmenschlich an. Anouk half mir am Schluß die Lücken mit dem merkwürdigen Rindenmulch zu bestreuen, dafür mussten wir barfuß durch die frisch bewässerte Bodenmatsche trampeln.

Alle fanden es am Ende toll, von den Bewohnern bis hin zur Heimleitung, alle waren ausnahmslos begeistert.

Ich duschte anschließend zum erstenmal bei uns im Keller in der Damenumkleide, wobei ich nicht nur die Nasszelle sondern auch noch den ganzen Vorraum unter Wasser setzte. Das war aber echt nicht meine Schuld, sondern der blöden Architektur zu verdanken.


Der Muskelkater setzte schon kurz nach Feierabend ein, ich konnte jetzt weder meine Arme heben noch anständig laufen. Als ich Tommy im Hörnchen von meinen Schmerzen aller Art erzähle, würgt er mich ab:

„Ach, herrje, jammere mich nicht voll, erzähl das deinem Blog!“

Zuhause schlaf ich schon am späten Nachmittag ein, raffe mich aber nochmal auf, weil Meret und Gregor um halb zehn noch ins Sette geradelt kamen und uns, Tommy und mich, treffen wollten. Die Anzeichen, dass ich Tommy nerve, häufen sich, seine Anspielungen sind spitz, seine Kommentare böse, und mein Gejammer kann er schon mal gar nicht ab.

Meret jedoch massiert mir wieder ungefragt und wie nebenbei eine wenig die Schultern, eine Wohltat, ich könnte so dahinschmelzen, sie soll nie mehr aufhören. Das macht sie manchmal, wenn sie genau spürt, dass das jetzt unfassbar schön für mich wäre.

I love her.


Am Samstag überrascht uns, meine Kinder und mich, meine Nichte Milena damit, dass sie schwanger ist, schickt Ultraschallbilder von dem kleinen Alien. Das ist wundervoll, denn sie hatten es schon länger versucht, jetzt endlich hat es geklappt, sie ist ein der 13. Woche.


Am Sonntag fangen meine Ohrenschmerzen an. Als ob sich ein Fremdkörper in meinen rechten Gehörgang genistet hat, und führt auch augenblicklich zu teilweisem Taubheitsgefühl. Und zwar in zweierlei Hinsicht, einmal als Hörschädigung, also alles klingt dumpf, als auch taub im Sinne von betäubt, gefühllos.

Mein Urlaub fängt ja prima an, endet womöglich in einer Mittelohrentzündung. Ist ja klar, vor diesem Urlaub hatte ich schon lange den größten Horror, weil ich die freien Tage für alles Mögliche nutzen wollte, alle Dinge, die ich noch erledigen wollte oder musste, standen auf einer 10 Meter langen Liste, die es abzuhaken gilt, darunter das Allerschlimmste: entmisten. Kein Wunder, dass mir mein Körper hysterisch auf eine neue Art signalisiert, dass ich das im Grunde alles gar nicht will.


Für meinen ersten Urlaubstag hatte ich vor Wochen ja schon den Termin beim Zahnarzt gemacht, damit er mir meine Goldfüllungen durch zahnfarbenes Zeug ersetzt.

Das Wetter war anfangs unbeständig, als ich mich letztendlich in die Bahn setzte, war ich viel zu warm angezogen, so dass sich in der stickigen Bahn bald große Angst entwickelte hier gleich zu kollabieren.

Da ich ohne weitere Zwischenfälle zu früh dort ankam, durchsuchte ich die Hauptstrasse nach irgendwelchen Läden, in denen ich mir ein sommerliches Billigteil kaufen konnte, oder meinetwegen auch notgedrungen etwas Teures, Hauptsache, ich kann mir dieses langärmelige T-Shirt vom Leib reißen, die Rückfahrt werde ich nicht ohne Ohnmacht überstehen.

Da gab es aber nichts, nicht das Geringste.

Der übliche Oma-Laden, den es in solchen alten Dörfern gibt, mit schrecklichen, völlig überteuerten Röcken, Blusen, Halstüchern und Unterhemden für 40 Euro im Schaufenster, die ich bereit gewesen wäre zu zahlen, hatte Betriebsferien. Nur Rossmann konnte mir wenigstens mit Flipflops für 3,99 € etwas helfen. Die dampfenden Turnschuhe steckte ich in meine Handtasche.

In der Praxis war es angenehm kühl und ich genoß noch naiv und nichtsahnend die Wartezeit auf dem Behandlungsstuhl.

Als er dann kam, stellte sich als Erstes raus, dass ich mindestens zwei Termine brauche, da er heute nur den rechten Zahn machen kann. Das hatte ich mir anders vorgestellt, wollte in einem Rutsch die beiden Glanzlichter in meinem Mund verschwinden lassen. Also nagut, dann komme ich halt nochmal.

Eine Betäubungsspritze lehnte ich gelassen ab, da ich beim letzen Mal, als mein abgebrochener Zahn restauriert wurde, ja auch ohne auskam. Ausserdem ist meine rechte Seite ja e ein wenig von dem Ohrenspektakel benebelt. Nach drei Zuckungen in den ersten Sekunden meinte der Zahnarzt: „Wir betäuben dann mal besser, ich hab ja noch gar nicht richtig angefangen.“

Er setzte mir gefühlt 30 Injektionen, das tat nicht weh, ich spürte sie nicht einmal, aber die verschiedenen Stellen die er anvisierte waren zahlreich.

Ich rechnete schon damit, dass sich jetzt alles verzögert, normalerweise spritzen die ja, dann muss man ellenlang warten, weil im anderen Zimmer derweil der nächsten Patient bearbeitet wird, dann kommt er wieder rein und erkundigt sich, ob es schon taub ist, natürlich ist es schon längst taub, und dann erst legt er eventuell los.

Hier ging es aber sofort weiter und ich spürte keine Taubheit. Ich spürte aber auch keinen Schmerz, oder nur ganz selten, als er nach all den Einstichen sofort anfing schlimme Geräusche zu produzieren.

Das war schon interessant, was es heute doch für moderne Methoden gibt, die Einstiche spürt man nicht, und die Betäubung auch nicht. Großartig!

Allerdings war das ununterbrochene Mundaufreißen recht unangenehm, dazu noch die ganzen Geräte im Mund, die Hände von ihm und seiner Assistentin auch noch da irgendwo am rummachen, mal wurde eine Lippe eingequetscht, mal ein Mundwinkel, dann aber wurde alles getoppt durch die Schmerzen und die Angst, dass meine in die Länge gezogenen Lippen, die so zum Zerreissen gespannt waren, dass sie jeden Moment platzen und beiden das Gesicht voll Blut spritzen würden.

Sie hatten ja beide diese Plastikmasken vorm Gesicht, das hätte sie wohl nicht weiter gestört, und sie machten seelenruhig weiter.

Verbal bemerkbar machen konnte ich mich natürlich auch nicht, weil ja in meinem Mund gearbeitet wurde. Manchmal versuchte ich mit meiner Hand die eine oder andere Hand der beiden Sadisten, den Speichelsauger, den Meißel oder den Bohrer weg zu schlagen, aber das half nur für eine Sekunde, dann machten sie weiter mit ihrer mitleidlosen Tour.

Der Zahnarzt war förmlich sauer, da sich mein Zahn unter der Goldhaube als total desaströs herausstellte, und er jetzt echt schuften musste. Er stöhnte öfters entnervt, während sich in meinen Augen Tränen sammelten. Als er nach zig Stunden darum bat, mal auf so ein Farbblättchen zu beißen, konnte ich das kaum, da ich mittlerweile eine regelrechte Maulsperre hatte. Als er endlich fertig und zufrieden war, ich sabbernd und stöhnend meinen Mund umspülte, meinte er: „Das war nicht nur für Sie anstrengend!“

Mann, jetzt macht er mir auch noch Vorwürfe. Ich komme nie wieder hierhin.

Es war eine wirklich grauenhafte Sitzung, schmerzhaft und vor Allem: völlig unnötig! Aus rein ästhetischen Gründen hatte ich mich dieser Folter ausgesetzt. Meine Güte, wie doof bin ich eigentlich.

Nachdem ich für den nächsten Morgen einen neuen Termin für den anderen Zahn ausgemacht hatte, jetzt muss ich ja auch den anderen machen, wie blöd sieht das denn sonst aus, und auf dem Weg zur Bahnhaltestelle war, machte ich ein Foto von meinem geöffnetem Mund und betrachtete den behandelten Zahn.

Ein Prachtexemplar!

Das muss man schon sagen. Da war ein wundervoller nagelneuer Backenzahn entstanden, mit allen natürlichen Wölbungen, tadellos.

Also gut, der Zahnarzt kann was, das sieht echt super aus, wie ein komplett neuer Zahn, man sieht gar nicht die Übergänge zu meiner Restzahnruine. Und diese Betäubung war auch spitze, ich verspüre keine Lähmung in Zunge oder Lippen, ich kann sofort rauchen. Nur mit essen soll ich noch was warten.

Zuhause angekommen lässt die Betäubung, die ich ja angeblich gar nicht spürte, nach.

Ohmann!

Mein ganzes Gesicht fühlt sich geschwollen an, grün und blau müsste das aussehen, als hätte mich jemand derbe verprügelt, der neue Zahn steht derart unter Spannung, droht jeden Moment zu zerplatzen, alle Zähne über und neben ihm, schmerzen wie nichts Gutes, das Zahnfleisch muss offen daliegen und wie ein Schwein bluten, aber man sieht nichts, meine Kieferknochen sind sehr wahrscheinlich alle zerbrochen, ich kann kaum sprechen, geschweige denn etwas essen. Sowas habe ich noch nicht erlebt.

Josek, der diese Prozedur vor zwei Wochen hinter sich gebracht hat, antwortet auf meine Nachfrage, ob das normal sei, oder ich jetzt besser in die Notambulanz muss, und wie lange das wohl dauert, dass es bei ihm seit zwei Wochen nur unmerklich schmerzfreier geworden ist, und er seitdem auf Ibuprofen ist. Ich sterbe.



ree


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