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Sonntag, 1.November

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 1. Nov. 2020
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Nov. 2020

Mittwoch Vormittag gerate ich mit meiner „Lieblingskollegin“ Feist aneinander.

Nachdem sie mich zuerst ignorierte wenn ich sie ansprach, als ob sie mich nicht hört, was ich durchaus bei ihr schon gewohnt bin, mich dann aber danach sogar mitten im Satz stehen ließ und einfach ging, frage ich sie etwas später in ruhigem Ton als ich sie allein im Büro antreffe, ob es nicht möglich wäre, dass wir doch bitte respektvoll miteinander kommunizieren, da rastet sie aus, und meint:

“Respekt? Vor dir habe ich keinen Respekt!“

Geht raus und knallt die Glastür zu.

Ich hab keine Ahnung was mit ihr los ist, was ich verbrochen haben könnte, aber ich zittere, so eine Art miteinander umzugehen, so einen Ton, so eine Aussage, so eine Verachtung habe ich noch nicht erlebt.

Mir bleibt nichts anderes übrig, ich muss damit zur Heimleitung gehen, auch wenn sie es wieder als „Kindergarten“ einstufen und sie schwer nerven wird, aber ich kann das nicht einfach so stehen lassen.

Eine Zusammenarbeit ist so unmöglich, ich weiß echt nicht weiter.

Die Heimleiterin hört sich alles an, holt dann auch die Kollegin dazu, erklärt, dass sie Respektlosigkeit nicht in ihrem Haus duldet, bietet der Kollegin Hilfsbrücken an, um von diesem „Kein-Respekt“-Ding zurückrudern zu können, sich auf gegenseitige Antipathie zu einigen, bei der man aber durchaus professionell und respektvoll miteinander umgehen könne, doch sie nimmt sie nicht an. Sie redet sich stattdessen um Kopf und Kragen, ich werde dabei immer ruhiger, als ich höre, was sie mir vorwirft, weil das so hanebüchen und dumm ist, dass kein Mensch mehr ihren unverschämten Fehlinterpretationen folgen kann. Beim besten Willen nicht, und den hat die Heimleiterin die ganze Zeit, versucht neutral zu vermitteln, aber es hat wirklich keinen Zweck.

Als unsere Chefin die Kollegin zum fünften Mal fragt, wohin die Reise denn nun gehen soll, was die Kollegin denn nun denke wie es weitergehen soll, zuckt sie die Achseln, und sagt, dass sie es nicht weiß und darüber nachdenken muss. Damit endet das Gespräch. Bin wirklich gespannt, ob sie aus dieser Nummer wieder rauskommt, oder ob sie sich endlich eine andere Stelle sucht.


Am Nachmittag meldet sich das Gesundheitsamt bei uns, bei der Testung am Montag wurde bei einem Mitarbeiter ein „schwach positives“ Ergebnis festgestellt.

Der muss sofort das Haus verlassen, lässt wirklich alles stehen und liegen um zuhause in Quarantäne zu gehen.

Wir witzeln danach noch, dass es ausgerechnet ihn getroffen hat, er, der die Maske sozusagen im Gesicht festgetackert hat, der so ängstlich ist, weil er er selber Risikoperson ist, da er durch einen Herzinfarkt vorbelastet ist, und alles bis hin zu Einkäufen nach 8 Uhr morgens meidet.

Wir sind uns alle im Klaren, dass er es nicht hat, er hat ja nichtmal Symptome.


Abends schaue ich mir die komplette Pressekonferenz mit Merkel, Müller und Söder an. Bund und Länder verordnen einen zweiten Lockdown an, der für den ganzen November gilt. Nicht alles wird geschlossen, so wie im März, aber alles was mit Freizeitaktivitäten zu tun hat, wird schließen müssen, dazu gehört unter anderem auch die Gastronomie.

Es läuft also alles wieder darauf hinaus, dass Tommy und ich wieder unseren Coffee to go auf unserer Coronawiese zu uns nehmen werden.


Am nächsten Tag, also am Donnerstag, witzeln wir nicht mehr, weil ja eigentlich die Gefahr besteht, dass der Mitarbeiter vielleicht tatsächlich positiv ist, und nicht nur er in Gefahr ist, sondern auch unsere Bewohner und Mitarbeiter. Wir recherchieren also mit ihm telefonisch und auch im Dokumentationsprogramm, mit wem er alles Kontakt hatte. Gott sei Dank war er erst seit 3 Tagen wieder aus dem Urlaub zurück, das ist also überschaubar. Wir kommen auf circa zwanzig Bewohner, zu denen er einen etwas näheren Kontakt hatte, und ungefähr neun Kollegen, zu denen auch ich gehöre. Wir werden jetzt alle als Kontaktpersonen der Kategorie II dem Gesundheitsamt gemeldet, mit FFP 2 Masken und Kitteln ausgerüstet, in denen wir ab sofort arbeiten, die betreffenden Bewohner und deren Angehörige informiert, die Bewohner werden gebeten auf ihren Zimmern zu bleiben und auch die Mahlzeiten auf ihren Zimmern einzunehmen. Die Orientierten maulen und beschweren sich, die demenziell Veränderten nicken, bleiben aber natürlich nicht auf den Zimmern, werden immer wieder zurück gebracht. Das passiert zwar alles in Ruhe und wir bleiben besonnen, aber die Belastung ist spürbar und die Angst von jedem, vor allem von der Heimleiterin ist laut und unüberhörbar, obwohl es eigentlich jetzt durch die ganzen Isolationen ziemlich still geworden ist. Eine nervliche Anspannung, ein Generaltest zu dem höchst gefürchteten Fall, dass wir jetzt auch Corona im Haus haben, wie so manch anderes Seniorenheim.

Wir sind zwar immer noch optimistisch, dass der „schwach-positive“ Mitarbeiter sehr wahrscheinlich negativ ist, wie bei Herrn V. dem Sohn eines Bewohners, der auch zuerst „schwach-positiv“ getestet wurde, wir deshalb seinen Vater isolierten, bis klar war, dass er doch negativ war.

Ich versteh das Ganze natürlich nicht wirklich. Was soll das „schwach“? Eine geringe Anzahl von Viren. Ja aber reichen die nicht? Wieso kann man dann etwas später negativ sein? Sind das ganz normal falsche Ergebnisse, die ja auch vorkommen können?

Auf jeden Fall besteht ja die Möglichkeit, dass es trotzdem positiv ist, und man ansteckend ist, sonst würde sich das Gesundheitsamt ja nicht bei einem melden.

Am Montag werden wir, also die zwanzig Bewohner und wir neun Mitarbeiter erneut getestet. Mittwoch wissen wir höchstwahrscheinlich mehr.


Tommy treffe ich später auch in FFP2 Maske, die ich ab jetzt auch privat trage, im Forum.

Wir diskutieren die Pressekonferenz von Merkel, und Tommy ist jetzt auch d'accord und versteht die Notwendigkeit dieser harten Massnahme, so weh es jetzt wieder u.a. den sowieso armen Schweinen in der Kulturbranche tut.

Wir überlegen wie lange das wohl jetzt so weiter geht. Zweiter Lockdown im November. Dritter Lockdown im Februar. Und wann wohl ein Impfstoff gefunden und eingesetzt werden kann. Wir werden dabei aber immer alberner.

„Auf jeden Fall werde ich noch vor dir geimpft, weil ich ja in einem Pflegeheim arbeite und systemrelevant bin.“ trumpfe ich auf.

„Aber eigentlich wäre es sinnvoller mich zuerst zu impfen, weil ich der Geilste bin.“

„Stimmt, du hast Recht, das wäre eigentlich viel sinnvoller, wenn man erst diese ganzen Spreader wie dich impfen würde. Die, die andauernd unterwegs sind.“

„Genau, man muss halt die nehmen, die anhand der Einlogdaten am meisten rumgekommen sind. Und da werde ich gewinnen.“

„Eben. Kein Event ohne Tommy, jung, alt, links- oder rechtsrheinisch, Fussball aktiv, passiv, Veranstaltungen drinnen, draussen. Du bist echt rumgekommen.“

„Alle social-bubbles die es gibt.“

Tja, noch lachen wir, aber die Einschläge kommen immer näher.


Marie ist überglücklich, da sie jetzt doch mit ihrer besten Freundin Loulou die Wohnung bekommen hat, bei der sie zuerst abgelehnt wurden. Es ist wie ein Wunder. Ab Sonntag können sie dann in Ruhe nach und nach in eine echt hübsche Wohnung in Nippes ziehen, die mit ihren 54 Quadratmetern plus Balkon für 850 Euro warm hier in Köln echt zu den Schnäppchen zählt.


Am Freitag treffe ich mich mit Pipi im Hörnchen, meiner lieben Freundin, die ich mittlerweile viel zu selten sehe. Da wir uns als Geschwister bezeichnen, ist sie auch die Tante von Marie und David, die sie häufiger sieht als mich, da ich ja die Südstadt so gut wie nie verlasse. Und Tommy ist dann quasi ihr Schwager, wie wir noch mal betonen, als er später zu uns stößt.

Wir lachen uns nochmal kaputt, als ich das Gespräch wiederhole, dass ich vor circa zwei Jahren mit Pipi hatte. Da hat sie aus dem Arbeitstag ihres Mannes erzählt, wie er mit einem Riesenhammer brachial die Knochen seiner Patienten zertrümmern muss, bevor er ihnen eine künstliche Hüfte einsetzt. Er ist orthopädischer Chirurg, und er soll auch mein Operateur werden, wenn ich mich frühestens nächstes Jahr für eine OP entscheide.

Der Mann meines Vertrauens. Und Hauptsache ich bekomme dann ein Einzelzimmer.


In den Supermärkten muss man jetzt beim Betreten wieder Einkaufswagen nehmen, und die sind limitiert. Das sorgt natürlich wieder für kilometerlange Schlangen vor der Tür.

Und handgemalte Schilder am Eingang wieviel Klopapierpakete, Nudeln und Konserven man hier kaufen darf.


Gestern habe ich ein Software-Update an meinem Handy vorgenommen, weil ich dachte dann würde die Corona-Warn-App besser funktionieren, da bei denen immer noch nicht mein Testergebnis vorliegt, obwohl ich ja schon weiß, dass ich negativ war, sonst hätte mich das Gesundheitsamt am Mittwoch ja auch rausgefischt. Aber leider funktioniert diese Scheiß-App immer noch nicht. Ausser 4 Begegnungen mit niedrigem Risiko zeigt sie mir nichts an.

Meine Kalender App ist jetzt auch völlig neu strukturiert und ich blicke nicht mehr durch. Das ist so nervenaufreibend! Ich hatte mich jetzt endlich an diese Telefon-Funktion gewöhnt, und meinen Moleskine-Kalender seit diesem Jahr gar nicht mehr benutzt.

Aber mit dieser Aufteilung komme ich nicht klar, erkenne nicht wann ich welche Termine habe, sehe überhaupt keine Termine mehr, alle weg, und bin wieder aufgeschmissen.

Dafür gibt es jetzt neue Features, darunter eine Übersetzer App, die ein herrlicher Spaß ist. Ich lasse auf chinesisch, französisch und englisch folgenden Text sprechen.

„Ich bin Tommy und habe den größten Penis der Welt. Wo lang geht es zum Bahnhof?“


Serientipp auf Joyn: "The good place"

Damit kann man schön den Lockdown, der morgen losgeht, rumkriegen.



ree


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