Montag, 6. April
- Mai Buko
- 6. Apr. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Mai 2020
Statistik 9:00 Uhr
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Wundervolles Wetter, und es soll die Woche so bleiben. Zum ersten Mal dieses Jahr gehe ich ohne Söckchen raus.
Sobald ich auf der Arbeit ankomme, kündige ich der Heimleitung an, dass ich gleich wieder losfahre und Osterzeug bei Aldi kaufen werde. Also 80 Eier, die ich kochen und bemalen will, für jeden Bewohner eins. Eierfarbe, Ostersüßigkeiten, Servietten, Mitteldecken für die Esstische, kleine Küken usw. Sie nickt es ab, vertraut mir da bedingungslos. 130 Euro gebe ich aus. Das geht doch, wenn man das runter rechnet auf 80 Bewohner, sind es keine zwei Euro pro Person, und dieser winzige Betrag lässt über die Ostertage etwas Freude aufkommen.
Die Eier koche ich in der Küche im Keller. Am Ende gehen nur sechs kaputt, oder bekommen Risse, das ist gut, da habe ich die letzten Jahre schon mehr verhunzt.
Die Schutzmasken von den verschiedenen Spendern, die ich jetzt verwalte, sind so hübsch, ich hab sie voll als modisches Accessoire akzeptiert, suche mir für jeden Tag ein anderes Design aus, so dass es gut zu meinem restlichen Outfit passt.
Die besten sind immer noch von Massimos Mama.
Diese Masken werde ich in jedem Fall noch nach Corona tragen, wann immer es ein bisschen Sinn macht. Bei Husten und Schnupfen, oder bei Pollenalarm, als Fliegenschutz beim Fahrradfahren, mir werden bestimmt noch mehr Anlässe einfallen.
Mein Kopf ist voller Mehlwürmer. Die krabbeln eng aneinander in meinem Gehirn, ein wuseliges Durcheinander, eine einzige, sich bewegende Masse, bei der man kein einzelnes Würmchen zu fassen kriegt. Jeder Wurm ist eine Information oder eine Aufgabe.
Ich hab das Gefühl, ich muss mir andauernd alles notieren, ich kann mir das alles nicht mehr merken. Das mach ich auch zwischendurch, wenn ich dazu komme, mache Notizen auf meinem Din A4 Block, der auf meinem Schreibtisch liegt.
Viele Würmchen sind Selbstläufer, werden intuitiv gelöst, nacheinander, all die kleinen und großen Wünsche der Bewohner, die man sofort erledigen kann. Aber da gibt es noch Organisatorisches, das man besprechen muss, Zwischenfragen, Rückmeldungen, ich muss delegieren, umsetzen, da sein, zuhören, Wasser verteilen, Rollstuhl in den Schatten schieben, Spülmaschine in der Cafeteria ein- oder ausräumen, Pflanzen gießen, verblühte Blumen entsorgen, Masken annehmen, waschen lassen, verwalten, therapeutische Angebote ausdenken, oder alte immer wieder anwenden, beruhigen, ermuntern, erheitern, Streit schlichten, Vertrauen aufbauen, Ostern vorbereiten, Materialien suchen, dokumentieren, zum Geburtstag gratulieren, Mails beantworten, zurückrufen, springbereit sein, jeden Moment.
Die beiden Neueinzüge dürfen jetzt doch getestet werden. Anscheinend hat das Gesundheitsamt, oder wer auch immer diese Entscheidungen trifft, ein Einsehen.
Abends bin ich ziemlich gerädert, zur Belohnung möchte ich mir was gönnen. Beginne einen chat mit Josek, der mich beraten soll, was ich mir für ein feines Gesichtswasser leisten soll. Er schießt sofort los: Aber Weleda lehne ich ab, zu altbacken. Dr. Hauschka, naja, ähnlich.
Ich will was elegantes, überteuertes. Da schlägt Josek Aesop vor. Ok, das google ich direkt mal. Hui, 44,90 € für ein Wässerchen. Das ist aber echt viel. Ok, heute habe ich 40 Euro auf meine Guthabenkarte überwiesen bekommen, für meine sechsjährige Betriebszugehörigkeit. Ich spare doch schon die ganze Zeit, da ich ja ausser Lebensmittel und Zigaretten kaum für etwas Geld ausgebe. Mein Laster „Essen gehen“ existiert ja praktisch nicht mehr.
Der Rom Kurzurlaub an meinem Geburtstag im Mai ist gecancelt. Reisen werden eh für längere Zeit nicht möglich sein.
Da kann ich ja auch bei der Königin aller Labels nachgucken. Meiner ewigen Lieblingsmarke, von der ich mir auch einmal im Jahr einen Lippenstift leiste: CHANEL.
Josek stimmt mir unbedingt zu, und als ich auf die Chanelseite gehe, finde ich ein Gesichtswasser, das ist sogar noch günstiger als das von Aesop. Und da ich mir die Lieferkosten sparen möchte, die bei Bestellungen für unter 50 Euro anfallen, bestelle ich mir glatt noch ein Körperspray aus der Coco Mademoiselle Reihe dazu. Als ich die Bezahlung per PayPal veranlasse, bin ich in Höchstform, ich zittere vor Aufregung und debiler Freude.
In den Nachrichten: Boris Johnson ist ja infiziert, musste heute ins Krankenhaus.
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