Montag, 4. Mai
- Mai Buko
- 4. Mai 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Mai 2020
Leider ist es immer noch kühl, wenn auch die Sonne scheint, wenigstens soll es heute nicht regnen.
Im Dienst geht es hauptsächlich darum wieder an der Aktion „Stift und Papier“ zu arbeiten. Es sind nämlich, wie erwartet, weitere Briefe für die Bewohner angekommen. Ich muss ja erst noch die von Freitag transkribieren und abschicken, bevor ich mich der restlichen und der neuen Post widmen kann. Ich verteile also noch ein paar Briefe an Massimo und Kollegin Feist. Für die Kollegin ist das eine Herausforderung, ich weiß, aber wir schaffen es sonst nicht. Heinrich ist in Urlaub, Adele hat sich für heute krank gemeldet, Herbert plan ich erst gar nicht ein, weil er dafür absolut kein Händchen hat. Das stinkt wiederum Kollegin Zeitz, die ihn unbedingt auch dabei haben will, „der Gerechtigkeit wegen“, aber ich hab keinen Bock mit ihr zu diskutieren, deshalb tu ich so, als hätte ich ihn eingeplant, und wende mich beschäftigt anderen Dingen zu.
Massimo verfasst seinen ersten Antwortbrief mit Herrn L., unseren Frauenheld, der zutiefst deprimiert ist, weil er, als er vor einem Jahr auf eigenen Wunsch hier einzog, richtig um einen Platz bei uns gekämpft hat, mit der Erwartung ankam, hier eine Frau für sich zu finden. Tatsächlich bändelte anfangs noch Fr. St. mit ihm an, aber sie wurde immer gehetzter und vergesslicher, so dass diese Liebe bald ihr Ende fand. Deshalb sitzt Herr L. oft nur seine Zeit ab, im Foyer oder im Garten, benutzt seine Hörgeräte nicht, weil er gar keinen Bock auf Unterhaltungen hat, macht missmutige Bemerkungen über sein Leben, lässt sich aber auch auf keine Angebote von uns ein.
Zuerst wollte er auch nicht auf diesen liebenswürdigen Brief antworten, doch Massimo überredete ihn, also diktierte er ihm, dass er sich sehr schwach fühle, am liebsten verschwinden würde, aber ihm das ja nicht zustehen würde, einfach so zu verschwinden, er hätte aber nichts mehr auf dieser Welt verloren, er sende noch einen netten Gruß, denn sehen würden sie sich wahrscheinlich nicht mehr.
Traurig, aber das ist auch eine Wahrheit, mit der muss seine neue Brieffreundin wohl klarkommen.
Es gibt sowieso meist nur zwei Vorstellungen, die die Leute haben, die ansonsten nichts mit Seniorenheimen zu tun haben, entweder dass es total schrecklich ist, die Menschen da lieblos behandelt werden, eh nur dahin vegetieren und auf ihren Tod warten oder dass die Bewohner noch total selbstständig sind, an Aktionen teilnehmen, sich klar ausdrücken können und noch alle Fähigkeiten haben, die man so braucht, zum essen, trinken, lesen, schreiben, sprechen, laufen, basteln, erinnern.
Beides stimmt nicht. Es ist auch keine Mischung von beidem. Es ist viel komplexer.
Die Leute, die da diese Briefe schreiben, gehen auf jeden Fall von voller Vitalität aus, denken, die Senioren wüssten was mit „Homeoffice“ gemeint ist, oder dass sie orientiert sind über die Corona-Situation. Die Briefe sind allesamt extrem lieb und rührend, trotzdem muss ich immer wieder etwas „übersetzen“, oder auslassen.
Am Nachmittag hole ich mit Massimo fünf Bewohnerinnen zusammen in die Cafeteria und lasse da den gestreamten Gottesdienst laufen, den der Pfarrer uns per Stick brachte. Ich wollte es ja schön auf unsere Leinwand beamen, aber das Bild war zu schlecht, und der Ton ging gar nicht, also dann doch über den ziemlich großen Fernseher, der an der Wand hängt.
Ich muss so lachen, weil sie das irgendwann am frühen Abend in der Kirche aufgenommen haben, und mitten in der Predigt fangen die Glocken an zu läuten, so laut, dass man ihn kaum noch versteht, und auch ziemlich lang. Das war bestimmt das 18:00 Uhr Geläute.
Als er die Neuzugänge dieses Jahr bei uns namentlich begrüßt, stupse ich aufgeregt Frau Sch. an,
„Haben Sie gehört, er hat Ihren Namen gesagt!“
„Ja, habe ich vernommen.“
Dafür, dass sie sehr fromm ist, und mehrmals am Tag laut betet, zum Ärger ihrer Tischnachbarn, empfinde ich sie hier als sehr cool, und bin etwas enttäuscht, dass sie sich nicht sichtlich freut.
Frau Z. hab ich einfach mit zum Gottesdienst genommen, obwohl sie sonst nie daran interessiert war, damit ich sie im Blick habe. Sie ist seit Tagen ganz durcheinander, will immer abhauen, braucht noch ihre Schwester zum Packen, denn sie zieht hier wieder aus, will wieder nach Hause. Sie schiebt sich dann im Rollstuhl zum Aufzug, meist noch im Nachthemd, das sie den Tag über anlassen wollte, fährt runter zur Rezeption und bittet da um Kartons, und um Helfer, denn sie schafft das alleine ja gar nicht. Ihre Mutter sei schließlich schon tot, und ihr Vater liegt auch schon lange auf dem Friedhof.
Der Gottesdienst lenkt sie hervorragend ab, als ob wir gemeinsam eine Samstagabend-Show mit Peter Frankenfeld gucken, anschließend sagt sie, dass das mal ganz schön war, eine gelungene Abwechslung, und freut sich, dass ich mit ihr wieder hoch in die Wohnküche fahre und ihre eine Tasse Kaffee einschenke. Alle 5 Minuten fragt sie mich, ob ich morgen auch wieder da bin. Sie weiß, dass mein Vater hier lebt und erkundigt sich immer ob er gut gegessen oder getrunken hat, die Süße!
Malte hat heute Geburtstag, er hat Urlaub, in einer Pause nehmen Herbert und ich über snapchat ein Video auf, und singen ihm mit Hasenohren ein Ständchen.
Meine Knie schmerzen ohne Ende. ich kann Treppen nur noch rauf humpeln.
Heute treffe ich Tommy am neu eröffneten Van Dyck Kaffeeladen auf der Severinstrasse, unser Lieblingskaffee, endlich auch in der Südstadt. Mit den mintfarbenen Leihbechern gehen wir zum Severinskirchplatz und finden eine schöne Bank in der Sonne. Von da haben wir einen guten Blick auf all die Leute, da ist mords was los. Tommy ist ganz aufgeregt, muss gleich wieder gehen, da heute „six pianos“ gestreamt wird, dafür hat er wochenlang gearbeitet. Eigentlich hätte das in der Philharmonie stattfinden sollen, aber nun ja, Corona kam dazwischen.
Trump gibt China die Schuld am Coronavirus, und hat angeblich Beweise, dass der Virus aus einem chinesischen Labor ist.
In der Familien WhatsApp-Gruppe sind sich meine Geschwister einig, dass alles zu übertrieben ist, reine Panikmache, uns passiert doch nichts. Oh Gott. jetzt auch in meiner Familie. Ich kommentiere das nicht, denn es ist so hoffnungslos, jemanden der auf dieser Schiene fährt, zur Einsicht zu bringen.
Statistik, 23:00 Uhr
165.644 Infizierte. 6.886 Todesfälle. 132.700 wieder gesund

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