Freitag, 29. Mai
- Mai Buko
- 29. Mai 2020
- 5 Min. Lesezeit
Gut gelaunt in den zweiten Arbeitstag.
Malte ist gar nicht da, hat sich wieder krank gemeldet, ach Mann, was ist denn wieder los? Wir unterhalten uns in Form von Gifs, die wir uns abwechselnd schicken. Übersetzung der 20 Gifs: er hat Rückenschmerzen, ich bedauere ihn sehr.
Heute erledige ich den Einkaufsdienst, grase im ganzen Haus die Bewohner ab die Wünsche hatten und sammle das Geld ein. Es sind gar nicht soviele heute, das ist schon mal gut, dann hab ich noch Platz für ganz viel Eis, das ich für die Bewohner kaufen kann, und ein paar Blumentöpfe, die ich in die leeren Eimerchen, die der Pfarrer uns bepflanzt zu Ostern geschenkt hatte, umtopfen möchte. Diese Pöttchen befestige ich mit Kabelbinder an den Zaun hinten am Parkplatz. Anouk hatte diese Idee, weil diese abgeklebten Besucherplätze so unfreundlich aussehen. Mit ein paar bunten Blumen nebenan wirkt es vielleicht freundlicher. Es bringt dann, ehrlich gesagt, nicht viel, aber immerhin etwas.
Da es wieder sehr heiß ist, bitte ich die Heimleiterin erneut darum doch bitte ein paar Sonnenschirme zu kaufen, weil es für unsere Bewohner bei diesen Besuchsterminen in der Sonne unerträglich ist. Gestern wurde mein Vorschlag von ihr noch abgelehnt wegen umständlichem Auf- und Abbau, aber heute sagt sie mir, „Hab ich doch längst schon in die Wege geleitet!“ Sehr schön!
Die Angehörigen sind teilweise uneinsichtig, wollen die vorgeschriebene 30-minütige Besuchszeit verlängern, werden sogar ungehalten, wenn man erklärt, dass es noch andere Termine gibt, die hier gleich hinmüssen, und die Mama ja eh schon einen roten Kopf hat von der Hitze.
Dass die Bewohner nicht einsichtig sind, ist klar, sie verstehen den Zusammenhang nicht, wissen auch nicht mehr was mit Corona usw. ist, wollen ihre Kinder umarmen und küssen. Da hätte ich mehr Unterstützung von den Angehörigen erwartet, aber sie zucken mit den Achseln, und lassen es so aussehen, als wäre das eine willkürliche Anordnung von uns Mitarbeitern.
Frau H. ist sehr ärgerlich, lässt ausrichten, dass ich mal zu ihr kommen soll. Sie hätte gerne gehabt, dass ich ihr auch etwas einkaufe, aber jetzt ist es zu spät.
Nachdem ich ihr nochmal die übliche Abwicklung erkläre, und ihr verspreche, dass ich sie für den nächsten Einkauf am Mittwoch notiere, hat sie den nächsten Punkt, der ihr missfällt. Sie habe sich einen Joghurt aus der Küche geholt, obwohl sie weiß, dass sie das wegen ihrer Darmgeschichte aus ärztlicher Sicht nicht tun sollte, aber sie mag nun mal so gerne Joghurt, und da hätte ein Pfleger sie angesprochen, dass sie das ja eigentlich nicht darf. Das habe sie so verärgert, und sie hätte ihm am liebsten hinterhergerufen:
“Wo sind wir denn hier? Sind Sie jetzt zu den Detektiven übergangen, oder was?“
Auch hier versuche ich zu beschwichtigen und erkläre ihr, dass der Kollege ja nicht böse war, er sie nur darauf aufmerksam machen wollte. Er stehe schließlich in der Sorgfaltspflicht, wenn ihr aufgrund des Joghurts irgendetwas passiert, keine Ahnung, ich kenne ja ihre Erkrankung nicht, dann würde man ihn dafür verantwortlich machen.
Auch hier lässt sie sich nur wiederwillig beruhigen, bis sie dann plötzlich einlenkt und sagt:
„Ach wissen Sie, eigentlich bin ich auf alles sauer. Ich bin todunglücklich, halte es kaum aus.“
Sie schüttet mir ihr Herz aus, und das ist alles so tragisch, dass ich mich ein paarmal zusammenreißen muss, sie nicht andauernd zu umarmen. Jetzt verstehe ich natürlich ihren Frust und ihre Gereiztheit besser.
Bei ihrer Tochter ist vor kurzem Krebs festgestellt worden, und es ist alles schon zu spät, und sie liegt im Krankenhaus im Sterben.
Sie dürfe ja das Haus nicht verlassen, und das Krankenhaus würde nicht mal ihren Schwiegersohn zu seiner Frau lassen, so könne keiner Abschied von ihr nehmen.
Das kann ich mir nicht vorstellen und verspreche ihr, mich zu erkundigen und das zu regeln.
Die Heimleitung reagiert völlig verständnisvoll und meint, dass wir ihr selbstverständlich einen Besuch bei ihrer Tochter ermöglichen werden.
Ich muss nur mit den Angehörigen reden, ob das in ihrem Sinne ist, oder ob sie diese Aussage, sie dürfe ja eh nicht hier raus, und das Krankenhaus stelle sich auch quer bei Besuchen, als Ausrede nehmen, um der armen Mutter den Anblick zu ersparen. Darum werde ich mich gleich nächste Woche kümmern.
Herbert schafft es nicht eine Bewohnerin wieder zurück zu bringen, die Besuch von ihrer Tochter und ihrer Enkelin hat, und schon fast 45 Minuten da in der prallen Sonne sitzt, weil die Enkelin ihn anraunzt. Er ist heilfroh, als ich ihm da zu Hilfe komme, ihm die Desinfektionstücher für die Stühle, auf denen sie noch gemütlich sitzen, in die Hand drücke, und Fr. S. bitte sich zu verabschieden, da ich sie jetzt wieder hochbringen muss, auf ihren Wohnbereich. Sie echauffiert sich, trinkt noch ganz langsam ihren Sekt aus, den die Tochter ihr mitgebracht hat, und schimpft den ganzen Weg über, das hätte sie ja noch nie erlebt, einfach den Besuch abbrechen, aber wenn wir Geld wollten, dann halten wir alle schnell die Hand auf, eine Unverschämtheit sei das, das wird noch Folgen haben, ihre Familie wird sich da beschweren, das Allerletzte!
Als wir oben ankommen, erzählt sie schon im Eingang diese ganze Schweinerei der völlig desorientierten Frau Z., die ihr sofort empört beipflichtet. Ich verschlimmere die ganze Situation, weil ich mit diesem Rollstuhl, der eine elektronische Schiebunterstützung hat, nicht klarkomme, nicht rechtzeitig abbremse, und sie voll gegen den Tisch semmele.
Zwei Flaschen fallen um, der Tisch steht schief, da regen sich die beiden Damen nochmal so sehr auf. Ich entschuldige mich tausendmal, niemand ist verletzt, nichts ist zu Bruch gegangen. Aber Frau Z. lässt mich den Tisch dreimal neu justieren, weil er nicht so steht wie vorher.
Papa bleibt den ganzen Tag im Bett, ist heute schlapp, reagiert nur mimisch auf meine Fragen.
Treffe mich mit Tommy im Hörnchen, wir teilen uns einen Toast, ich soll ihm versprechen mich nicht mehr „kurz“ hinzulegen, damit wir uns nach dem Abendessen noch mal treffen können, und ich dann nicht so verpeilt bin.
Leider kann ich das nicht einhalten, ich schlafe bei einer französischen True Crime-Serie ein, obwohl die Folge eigentlich ganz spannend ist, ein Mord in der Raveszene, während eines dreitägigen Technofestivals. Werde dann um 20 Uhr wieder wach, spule zurück und schaue mir die Auflösung an, es war doch nicht der verdächtige Freund, sondern ein allen unbekannter Ex-Soldat, den sie durch Kommissar Zufall ein Jahr später zu fassen kriegen.
Bei unserem Treffen um 21 Uhr tue ich so, als wäre ich topfrisch, doch Tommy durchschaut mich und fragt mich geraderaus, ob ich vielleicht doch wieder geschlafen habe. Da kann ich ja nicht lügen, verdammt.
Bei unserem Spiel gewinnt jeder einmal, Tommy zieht mich auf, dass ich durch mein Halbwissen nur aufgrund von Glück gewinne, ich erkläre ihm, dass ich geschichtliche Daten halt bestens aus dem Bauch heraus einordnen kann, und wie er sieht, ja auch meist richtig liege. Wir zicken uns wieder an, wer doofer ist, da regt er sich einmal so auf, als ich dachte er wäre schon dran gewesen und würde im Nachhinein die Karten neu anordnen, was natürlich nicht geht, aber es war nur ein Missverständnis, hatte er gar nicht, da fegt er schon vor lauter Aufregung aus Versehen sämtliche Karten vom Tisch, und ich bitte ihn mehrmals etwas leiser zu sein. Normal muss er mich immer in der Lautstärke bremsen.
Herrlich, wie so ein Rentnerehepaar.

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