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Mittwoch, 18. März

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 18. März 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Mai 2020


Statistik 9:00 Uhr

NRW: 3.800 Infizierte.

Köln: 490 Infizierte


Horrorwort des Tages: Triage

Hört man jetzt andauernd: Shutdown, Lockdown


Meine Nichte Milena ruft mich aus Brüssel an, ab mittags gilt in Belgien die Ausgangssperre. Das wurde gestern bekannt gegeben, deshalb hat sich Arto, ihr Mann, um 5 Uhr heute morgen von Süddeutschland aus in den ICE gesetzt um noch vor der Sperre bei seiner Frau zu sein. Da sein Hauptwohnsitz nicht in Brüssel ist, darf dann nur noch Milena vor die Tür um Einkäufe oder ähnliches zu erledigen. Er muss sich praktisch verstecken, und lebt freiwillig in Quarantäne. Sie schlägt vor, da sie finanziell ganz gut aufgestellt ist, meine Kinder David und Marie, sowie ihren jüngeren Bruder Mateo, die jetzt alle ohne Einkommen sind, zu unterstützen, aber fragt nach, ob sie wohl meine jüngere Schwester Berta fragen soll, ob Opa nicht auch seinen Enkeln etwas spenden würde, wenn er noch dazu fähig wäre, also geistig. Berta ist für seine Finanzen zuständig, und auf seinem Konto schlummern die Euros vom Verkauf seines Reihenhäuschens.

Die Idee finde ich liebenswert, möchte mich da aber raushalten, weil es sich um meinen Sohn handelt, das würde meiner Schwester übel aufstoßen. Marie ist raus, da sie sowohl ein Mindestgehalt vom Olympia ausbezahlt kriegt, und sich sonst ihr Papa kümmert. Mateo hat zwar den Vertrag für seinen neuen Job als Sprachlehrer bei der Bundeswehr unterschrieben, konnte ihn aber am Montag nicht abgeben, weil da auch alles wegen Corona geschlossen ist. Milena befürchtet, dass sie Mateo jetzt einfach nicht einstellen, und er somit komplett ohne Einkommen da steht.


Als ich auf der Arbeit ankomme, kommt mir J. schon fröhlich entgegen. Da er weiter in Panik verfiel, hat ein Arzt ihn gestern für 2 Wochen krank geschrieben, so muss er nicht zur Arbeit in die Behindertenwerkstatt auf der anderen Rheinseite und bleibt jetzt bei uns zuhause. Gut gelaunt erkundigt er sich immer wieder, ob er irgendetwas helfen kann.

Das war schon früher schwierig Aufgaben für ihn zu finden, die er bewältigen kann, es ist immer so rührend, wie hilfsbereit er ist, aber jetzt ist es noch schwieriger, weil er sich besser auch von seinen älteren Mitbewohnern fernhält, und es keine neuen Aushänge gibt, die er verteilen kann. So räumt er in verschiedenen Wohnbereichen die Spülmaschinen leer.

Mittags kommt die Nachricht, dass ab sofort auch alle Behindertenwerkstätten geschlossen werden. Ob J. dann noch sein Gehalt, also eher sein Taschengeld, bekommt, ist fraglich.


Wir erreichen immer mehr Angehörige, die WhatsApp installiert haben, sodass wir mit einigen Bewohnern über unsere Privathandys Videotelefongespräche machen können. Es gibt Tränen, aber auch süße Reaktionen, ersatzweise für die Tochter da im Bildschirm, wird der Arm, der das Telefon hält, gestreichelt, oder das Telefon selbst.


Den Mann von Frau A. kann ich nicht erreichen, weder mobil noch Festnetz. Sie weint immerzu, weil sie denkt, ihr Mann habe sie verlassen. Ich erkläre ihr wieder die Schutzmaßnahmen hier im Haus. Da meint sie,

„Das weiß ich doch, aber das war schon vor dem Besuchsverbot, er nutzt das doch nur jetzt aus. In Wirklichkeit ist er froh, dass er mich los ist!“

Das Blöde ist, dass sie noch so halb orientiert ist, sie checkt das mit dem Besuchsverbot, aber weiß nicht mehr, dass ihr Mann bis zur letzten Minute, die möglich war, bei ihr war. Dass ihr Mann sie dann nie versucht hat anzurufen, ist natürlich eine Sache, und dass er auch trotz seiner täglichen Besuche nicht gerade der liebste oder zärtlichste Ehemann war, wird sie ja auch latent gespürt haben, und so zählt sie nun eins und eins zusammen. Um sie zu trösten lüge ich ihr vor, wie traurig ihr Mann war, als er letzte Woche gehen musste. Dass ich dabei war, und gesehen hab, wie leid es ihm tut, und dass er sie sicher sehr vermissen wird. Sie weint, und lehnt sich an mich, ich muss sie leider auch wieder umarmen.


Frau P. stromert am Hinterausgang am Parkplatz rum, als sie mich in der Raucherecke entdeckt, tut sie so, als hätte sie eine Bitte. Ihr Sohn kommt jeden Moment und bringt ihr etwas vorbei, ob ich das annehmen könnte und ihr geben. Natürlich ist sie einfach so raus, wollte niemanden fragen, damit sie so das Besuchsverbot umgehen, und ihren Sohn kurz sehen kann. Ich sage zu, und schicke sie wieder rein. Als der Sohn kommt, der mir zwei Frikadellen für seine Mutter aushändigt, bitte ich ihn, das nächste Mal bitte den Vordereingang zu nutzen und die Sachen, die er seiner Mutter bringt, an die Tür ins Foyer stellt, wir würden ihr das dann zukommen lassen. Er ist einsichtig und geht.

Es tut mir alles so leid.


Im Supermarkt gibt es weiterhin keine haltbare Biomilch, meine Zigarettenmarke ist auch wieder vergriffen. Im Tabakwarengeschäft möchte ich mir hamstermäßig eine Stange kaufen, aber es gibt keine. Er verkauft mir 3 restliche Einzelpackungen und rät mir eine Stange vorzubestellen, die könnte ich dann am Freitag abholen. Na, das mach ich doch.


Tommy und ich treffen uns im Mittelstreifen vor dem Sette. Er holt Cappuccino to go und zwei Stücke Kuchen. Wir sitzen links und rechts auf der Bank, zwischen uns 1.50 m Abstand. Aber seitlich nebeneinander ist ja auch sicherer als face to face. Das machen wir anschließend, weil wir uns in die frühe Abendsonne stellen, und uns angucken, allerdings sind diesmal 3 Meter Abstand zwischen uns. Er erzählt mir, dass der Portugiese den Finger auf dem Kuchen hatte, er mir das nicht direkt sagen wollte, sonst hätte ich womöglich den Kuchen nicht gegessen. Wir fotografieren uns gegenseitig. Es ist alles so absurd.


Statistik 19:00 Uhr

10.000 Infizierte


Um 19.15 Uhr gibt es eine Fernsehansprache von Angela Merkel an die Bevölkerung. Wieder ein Novum, sowas gibt es sonst nur an Silvester. Ich finde die Rede sehr schön, ohne etwas schön zu reden, verständnisvoll und beruhigend, sehr warm. Meine Güte, das hätte man mir vor 10 Jahren mal sagen sollen, dass mich eine CDU-Politikerin doch tatsächlich begeistert. Auch schon 2015 mit ihrer Haltung zu der Flüchtlingskrise. Wenig subtil versteckt sie folgende Ansage: wenn ihr euch aber nicht endlich solidarisch verhaltet, und zuhause bleibt, kommt der Lockdown. Zu Recht!


ree



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