Freitag, 3. April
- Mai Buko
- 3. Apr. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Mai 2020
Statistik 7:30 Uhr
84.794 Infizierte 1.107 Todesfälle
Immer noch kursiert das Gerücht, dass Pflegeheime keine neuen Bewohner aufnehmen dürfen, aber es gibt keine offizielle Stellungnahme der Stadt.
Heute zieht deshalb ein Herr ein, am Montag eine Frau.
Die beiden Zimmer der in der letzten Woche Verstorbenen sind hergerichtet.
Das gehört auch zu unserem Alltag, die Verstorbenen loslassen, die Zimmer neutral sehen, damit der neue Mensch, der da nach wenigen Tagen einzieht, es mit seiner eigenen Persönlichkeit füllen kann.
Der neue Bewohner ist ein sehr sweeter Mann, ich begrüße ihn mit Atemmaske und Handschlag, er lächelt, redet sehr freundlich, ist für alles sehr dankbar. Er wirkt erstmal nicht sehr desorientiert, obwohl die Ansage war, dass er dement ist.
Aber das heißt ja nix, manche haben eine gute Fassade aufgebaut.
Ich packe seine Koffer aus, und räume Sachen ins Badezimmer oder in die Schubladen, oh, er ist Raucher, hat eine Zigarettenstange dabei, nehme seine komplette Kleidung mit in den Keller, wo ich jede einzelne Socke, jede Unterhose, jedes Taschentuch, alle Pullover und Hosen mit seinem Namen etikettiere. In der Waschküche haben wir eine Maschine, mit der wir das machen. „Patchen“ nennt sich das.
Anschließend räume ich alles in seinen Kleiderschrank und er ist wieder vollkommen liebenswürdig und bedankt sich herzlich.
Als ich damit fertig bin, erfahre ich, dass er erstmal für zwei Wochen in Zimmerquarantäne muss, da es vom Gesundheitsamt nicht gestattet wurde, einen Corona-Test bei ihm durchzuführen, den mein Arbeitgeber sogar selber bezahlt hätte, und wir deshalb 14 Tage lang nur mit FFP2 Masken und Kleiderschutz in sein Zimmer dürfen. Aus diesem Grund werden mir zwei Ausstattungen ausgehändigt, die ich und wer auch immer von der sozialen Begleitung zukünftig mit ihm näher zu tun hat, tragen und mit eigenem Namen versehen muss, damit man die eine Woche lang tragen kann. Weil nicht so viele Schutzkleidungsensembles verbraucht werden sollen, müssen wir auch die Leute, die in dieser Zeit mit ihm zu tun haben, beschränken. Verstehe mal einer, warum Neueinzüge nicht getestet werden dürfen!
Nicht nur, dass die Bewohner eh in einer Ausnahmesituation sind, wenn sie bei uns einziehen, sie ihr altes Leben hinter sich lassen, traurig, verzweifelt und ängstlich sind, jetzt dürfen sie nicht mal besucht werden, was den Einstieg erleichtern könnte, und müssen auch noch auf ihr Zimmer verbannt werden, können weder Mitbewohner, noch das Haus kennenlernen, die Ablenkungen im Zimmer sind nicht gerade viel.
Die Nachbarin, die gestern anrief, bringt ein paar Masken vorbei, und ich gebe ihr die zugeschnittenen Stoffteile, die seit einer Woche hier rumliegen, weil ich nicht dazu komme, Masken daraus zu basteln. Bzw. es sich erledigt hat, so unkomfortable Behelfsmasken zu frickeln, wenn wir ja jetzt mehr Spenden von aussen bekommen. Sie kann die Stoffe gut gebrauchen, und Basteldraht kann ich ihr auch noch mitgeben.
Mit der anderen Anwohnerin lege ich per Mail Dienstag nachmittag für das Mitsingkonzert fest.
In einem Gruppenraum unterhalte ich mich mit Frau Sch. Sie ist hochdement und hat oft paranoide Schübe. Obwohl sie sich mit einem dementen Mitbewohner angefreundet hat, sie jetzt wie ein echtes Paar nur händchenhaltend unterwegs sind, sich seitdem ihre Paranoia und ihr Allgemeinzustand enorm gebessert haben, beschleichen sie immer wieder Zweifel, bzw. Überzeugungen, dass dieser liebe und ruhige, ihr völlig ergebene Mann, sie betrügt. Während sie also in einem Wirrwarr von Floskeln und zusammengefügten Wörtern, die ihre Bestürzung veranschaulichen, mir etwas vorjammert, kommentiert ein Tisch weiter Frau L. unsere Unterhaltung mit “Ach du jeh! Geht das wieder los! Die spinnt doch!“
Sie macht Frau Sch. affig nach, mit verstellter Stimme und blöden Grimassen. Das wiederum bekommt Frau Sch. mit und raunzt sie an:
“Was willst du denn schon wieder! Halt doch einfach den Mund. Das geht dich nichts an!“
Ich spreche Frau L. an, und bitte sie ihre Kommentare doch zu unterlassen.
„Ich hab doch gar nichts gesagt!“ brüllt sie mich an.
Die Stimmung hier wird immer angespannter. Die Isolationshaft hier im Haus, die fehlenden Besuche, der veränderte Alltag, hinterlässt immer mehr Spuren. Viele Bewohner sind leicht aggressiv. Angriffslustig und schlecht gelaunt. Das kann ja noch was werden.
Der Pflegeleiter geht in Urlaub, betreut seinen Sohn während der Osterferien, die jetzt beginnen.
Deshalb wechsle ich von Anouks Büro in seins. Anouk kommt ja nächste Woche wieder. Wenn alle Büros wieder besetzt sind, muss ich mit meinem Kram wieder zurück in unser Gruppendienstzimmer, wo wir uns zu sechst einen Computer teilen. Da ich am häufigsten den Computer brauche, weil ich mich als Teamleiterin auch um organisatorisches Zeug, wie Dienst- und Wochen-Pläne usw. kümmere, aber auch Mails abarbeite, sind die anderen immer etwas genervt, wenn ich den Platz besetze. Jetzt habe ich aber noch bis Ende der Osterferien einen eigenen Arbeitsplatz.
Der introvertierte Herr W. hat mir wieder eine Blume in mein Fahrradkörbchen gelegt. Das macht er in letzter Zeit öfter, wenn er auf seinen Spaziergängen etwas findet. So süß.
Am Abend telefoniere ich mit Carina, die mir davon abrät in meinem Blog die Klarnamen zu verwenden. Ich gehe ja noch nicht online, bin mir eh total unsicher, ob ich damit in die Öffentlichkeit gehe. Dieser Hinweis verwirrt mich jetzt aber enorm, und ich bin total entmutigt, tendiere dazu, es bei meinen privaten Einträgen zu lassen, und nur Freunden einen Blick hier drauf zu gewähren.
Bill Withers ist gestorben. Schnüff.

Comments