Freitag, 15. April 2022
- Mai Buko
- 15. Apr. 2022
- 12 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Mai 2022
In meinem Prinzessinnen Bett zuhause verfüge ich über unzählige Daunenkissen in allen Größen, zwei kuschelige Plumeaus und ein Seitenschläferkissen.
Das Seitenschläferkissen ist erst kürzlich voll in die Bettfamilie integriert worden, obwohl es schon seit ein paar Jahren in meinem Schrank vor sich hindümpelte, denn als ich es kaufte und ausprobierte, war es eine reine Enttäuschung, viel zu hart und ungelenk.
Als ich jetzt nach der OP aus dem Krankenhaus kam, holte Marie es wieder hervor, bezog es frisch und es war eine solche Wohltat dieses feste lange Teil als Stütze zwischen den Knien zu haben, bis hoch zum Bauch zu ziehen, und so noch mehr Stabilität zu bekommen.
Hier in der Klinik, schlafe ich in einem 80cm breitem Krankenbett, habe eine dicke Steppdecke, Kopfkissen, gefüllt mit Schaumstoffresten, und eine Matratze, die offenbar aus Angst vor Inkontinenz komplett in Kunststoff eingehüllt ist. Das wird sehr heiß nachts, meine Güte! Und die Kopfkissen sind eine solche Katastrophe, mittlerweile habe ich schon 3 verschiedene Haus-Modelle kennengelernt, dass ich mir nach einer Woche dann doch ein nigelnagelneues Daunenkissen bestellt habe (keine Ahnung, wie ich dieses nicht ganz günstige Monstrum mit nach Hause transportieren soll)
Ich schlafe eh schon schlecht, werde ja andauernd wach aufgrund der Schmerzen im Bein. Jetzt dazu auch noch von den Schmerzen in der Schulter, wegen der Scheiß-Kopfkissen, da hab ich mich nicht lange überreden müssen.
Ausserdem war ich da schon längst im Bestellwahn.
Jeden Tag kommen hier Päckchen für mich an. Das erste war, glaub ich, das kleine Seitenschläferkissen, ein kleiner Block, den man sich ans Bein schnallt und der dann die ganze Nacht da dran bleibt, egal wie man sich dreht. Top.

Ich hab mir aber auch ein Kilo Orangen-Gummibärchen bestellt. Als Trost und Belohnung für meinen Rauchentzug. Denn, ich kann es eigentlich gar nicht fassen, ich rauche immer noch nicht. Manchmal ist der Schmacht so groß, dass mir das innere Teufelchen rät, doch besser eine zu rauchen. Da unten in der Raucherecke warten sie nur auf dich. Du weißt doch wie spendabel und sozial so Raucher sind. Du hast es doch jetzt geschafft. Wem willst du was beweisen? Du kannst es doch! Dann rauchst du halt jetzt eine, und dann hörst du wieder auf. Oder du rauchst halt nur 3 Zigaretten am Tag. Das geht doch. Komm, sei nicht so streng mit dir!
In einem fort. Dieses Scheißteufelchen!
Dann guck ich einen Krimi auf ARD, die toughe und sympathische Kommissarin, hat den Fall schon gecheckt, wird aber vom Staatsanwalt zurückgepfiffen, sie geht vor die Tür, es ist Nacht, sie lehnt sich erschöpft an die Hauswand, holt eine Kippe aus der Schachtel, man sieht sie praktisch nur als Shilouette, sie zündet sie sich an, und atmet nahezu seufzend den Rauch aus. Ich weine fast vor Neid und kann spüren, wie sie entspannt, und das Ganze sieht auch noch unfassbar cool aus. Ich glaube, diese Sequenz werde ich nie vergessen, weil es so alles Tolle an einer Zigarette, am Rauchen, visualisiert hat.
Dies wird für immer meine Entzugs-Erinnerungs-Szene bleiben, weil ich so starke Gefühle dabei hatte, die Lust und dem Kitzel des Nachgebens diesen Triebes, und gleichzeitig die Panik, jetzt umzukippen, wo ich doch schon über zwei Wochen clean bin, und es unbedingt schaffen will dem Ganzen für immer Adios zu sagen.
Die Gummibärchen rationiere ich mir, maximal 10 Stück am Tag. Manchmal esse ich sogar gar keins. Aber ich brauche irgendetwas Süßes für zwischendurch.
Denn, oh Wunder, ich nehme aktuell gar nicht zu, sondern ich nehme ab! Der Ernährungsberater erklärt mir im Einzelgespräch, dass ich alles richtig mache, und versuchen muss, diese Nur-dreimal-täglich-essen-Prozedur einzuhalten, denn genau das ist es was mein Körper braucht. Eine feste Struktur, feste Uhrzeiten.
Ich befürchte, dass ich das im echten Leben aber nicht umsetzen kann, 7 Uhr Frühstück, 12 Uhr Mittagessen, 17:30 Uhr Abendbrot, danach nix mehr, um 20:30 Uhr ins Bett.
Er meinte, das könnte ich doch zeitlich an meine echten Lebens-Zeiten anpassen. Es gehe nur um die Regelmäßigkeiten, es mach nix, wenn ich um 19 Uhr meine Hauptmahlzeit koche, Hauptsache, ich mache danach noch einen Spaziergang ums Haus.
Ich glaub, ich muss mir doch noch vor der Rente ein Schoßhündchen anschaffen, damit ich jetzt schon gezwungen werde ein paar Schritte zu gehen, weil der Hund Gassi muss.
Jedenfalls bin ich ganz optimistisch, und freue mich auf mein neues Ich.
Die Nichtraucherin, die sich mehr bewegt, regelmäßig isst, überhaupt sehr bewusst und aufmerksam durchs Leben geht.
Kann doch sein.
Kann doch sein, dass man sich ein wenig verändern kann.
Ich muss es ritualisieren, zur Gewohnheit werden lassen, dann kann da was draus werden.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich hier auch schon längst nicht mehr so streberhaft bin wie am Anfang. Ich mache hier keine Übungen mehr alleine auf meinem Zimmer.
Wie soll das nur werden, wenn ich zuhause auf mich allein gestellt bin?
Mann, mann, mann.
Hier jedenfalls, in dieser fremden Welt, in diesem durchstrukturiertem Alltag, mit diesen wundervollen Anwendungen fußläufig entfernt, gelingt es mir noch hervorragend alles mitzumachen.

Ich fühle mich auch sehr wohl. Hab wohl Glück in jeder Hinsicht.
Mein Zimmer ist sehr hübsch, das sind sie hier alle, aber meins liegt dazu noch in einer ruhigen Ecke nicht weit vom Treppenhaus und Aufzug entfernt, mit Balkon, den hat nur jeder 5te Bewohner, mit Blick auf die schönen Bäume und den Sonnenaufgang, und mir kann niemand reingucken, ich habe immer die Gardinen zur Seite gezogen.
Es ist herrlich, dieses enorme Vogelgezwitscher hier, ab 5 Uhr geht es los, manchmal färbt sich der Horizont rot, ich liebe all diese Vögelchen.
Als ich ankam, am ersten Tag, war ich voller Hass, weil ich erst durch sämtliche bürokratischen Vorgänge musste, bevor ich auf mein Zimmer durfte um mich meiner schweren Kleidung zu entledigen.
So bekam ich Hitzewallungen und Schwindelattacken, weil ich in voller Montur von einem fremden Zimmer zum nächsten humpeln musste, um einen Schnelltest zu machen, um woanders Formulare auszufüllen, um zuhause ausgefüllte Formulare hier mit jemand im nächsten Zimmer zu besprechen, um an der Rezeption die Leihgebühr für die TV-Fernbedienung, die Kosten für Premium W-LAN und einen Kasten Wasser zu bezahlen (70 Euro insgesamt), um zum Vorstellungs-Arztgespräch zu gehen, dazu die ganze Zeit noch meine wirklich schwere und ungelenke Handtasche um den mittlerweile rotstriemigen Hals hängend und vor meinem Bauch baumelnd.
Ich hasste alle, weil keiner sah, wie sehr ich litt, und wie gern ich Jacken und Tasche weggeschmissen hätte. Ausserdem musste ich überall warten, vor einer Tür fast eine dreiviertel Stunde, und das ärgerte mich ebenso, weil ich doch längst hätte zwischendurch auf mein Zimmer gehen können. Aber der Ablauf ist hier jedesmal, bei jedem Neuling absolut gleich. Das konnte ich seitdem täglich mehrfach beobachten, denn die Neueinzüge reissen nicht ab.
Der Arztbesuch war allerdings die erste Erlösung für mich.
Als ich von meiner Leiste und den Schmerzen erzählte, und der Verwunderung aller Welt darüber, schaute sie mich ganz entgeistert an.
„Wie bitte? Aber das ist doch völlig normal! Wie kann sich da jemand wundern? Die Leiste IST sozusagen die Hüfte. Sie haben die OP über 2 Jahre rausgeschoben, während dieser langen Zeit und wahrscheinlich schon lange bevor der Orthopäde überhaupt die Diagnose stellte, haben Sie eine ordentliche Schonhaltung eingenommen, wegen der Schmerzen, die von der Hüfte kamen. Das hat alles ihre Leiste fabriziert, sie hat sich in der Zeit zurück gezogen, alles da hat sich verkürzt, versteift, das dauert jetzt das wieder hin zu bekommen. Das Becken ist jetzt wieder gerade, aber das weiß die Leiste noch nicht. Muskeln müssen jetzt wieder aufgebaut werden usw. das ist jetzt sehr langwierig. Schmerzen sind da selbstverständlich!“
Das ist ja großartig!
Also schlimm natürlich, ohjeh, das wird noch richtig dauern, aber ich bin nicht irre!
Ich bin auch kein Weichei!
Jedesmal wenn sich hier eine Gelegenheit bietet, in der ich meine schmerzende Leiste zum Thema machen kann, bei der Krankengymnastik, der Gangschulung, beim Funktionstraining, whatever, jeder Therapeut macht mir sofort klar, dass das völlig normal ist.
Und ja, es gäbe wohl Menschen die anders reagieren. Die schneller von den Schmerzen wegkommen, die haben vielleicht auch vorher keine Schonhaltung eingenommen, aber nach zwei Tagen kann keiner schmerzfrei sein, es sei denn derjenige wurde mit Oxycodon weggeschossen.
Das ist so eine Erleichterung, zu erfahren, dass mein Befinden normal sein kann, das kann sich niemand vorstellen.
Allerdings wache ich so langsam aus meinem naiven Dornröschenschlaf auf.
Dass ich ein paar Tage nach der Reha wieder zur Arbeit kann, das kann ich vergessen!
Die empfehlen hier alle, dass man die ersten drei Monate (ab OP-Tag) nicht arbeiten gehen soll, sondern noch vorsichtig die eigene Alltagstauglichkeit auf Vordermann bringen soll. Denn es dauert ungefähr drei Monate bis sich neues Bindegewebe um die Gelenkkapsel gelegt hat, und somit sinkt erst die große Gefahr einer Luxation, was ja mittlerweile für mich die größte Horrorvorstellung ist. Nach einem halben Jahr werden sehr wahrscheinlich die Fremdteile mit den Knochen verwachsen sein. Und anderthalb Jahre nach der OP sollte ein Zustand erreicht sein, der dem vor der OP entspricht.
Junge, Junge, wer hätte das gedacht. Ich jedenfalls nicht.
Hätte ich all das gewusst, die Langwierigkeit, die Schmerzen, die Gefahren, und auch die Mehrkosten, ich hätte mich gegen eine OP entschieden.
Das sag ich jetzt, wo es immer noch einigermassen schlimm ist, wer weiß, was ich in einem halben Jahr sage, vielleicht bin ich dann auch eine von denen die sagt, Yeah, mein neues Leben hat begonnen!
Mehrkosten entstanden mir hier durch sämtliche Hilfeprodukte, auf Rezept oder ohne. Wie zB. das Kniekissen, das Daunenkopfkissen, den Bezug für das Kissen, Hosenträger (mit denen man trickreich Unterhosen und Leggings und dergleichen ohne Hilfe anziehen kann), langer Schuhlöffel,einen Strumpfanzieher, einen Rückenschrubber am langen Stiel (damit erreicht man auch die Beine und Füße der kranken Seite),

kurze Sporthose, mehrere Jogginghosen (zum wechseln) eine Greifzange und Toilettensitz für zuhause, italieniesche Tartufini (aus Trostgründen),

und dann kommt natürlich noch hinzu, dass ich nach 6 Wochen, also paar Tage nach meiner Rückkehr kein Gehalt mehr bekomme, sondern von der Krankenkasse nur noch ca. 60% meines Gehaltes bis ich wieder arbeiten kann.
Da ich ja mit meinem jetzigen Bombengehalt schon an der Armutsgrenze lebe, die Kosten für alles, Strom, Nebenkosten, Lebensmittel, Cappuccino in den letzten zwei Monaten enorm gestiegen sind, kann man sich vorstellen, wie hart das dann erst für mich wird. Allerdings kann ich mich glücklich schätzen, dass ich ja eine Teilauszahlung des Erbes erhalten habe, bzw. des künftigen Erbes, also defacto Geld von Papas Konto, und so dieses Jahr, wenn ich nicht in Urlaub fahre und auch sonst keine bösen Überraschungen mehr auftauchen, über die Runden kommen werde.
Aber wieder hin zu den guten Dingen des Lebens:
Wenn ich morgens, gegen 7 Uhr aus meinem Zimmer zum Restaurant gehe, durchs Treppenhaus, dann kommt mir im ersten Stock schon der Kaffeeduft entgegen.
Das ist sooo schön, ich freue mich dann noch mehr auf's Frühstück.
Beim Frühstück geht’s weiter: die Brötchen, frisch vom Bäcker, sind so genau mein Geschmack, eine reine Wonne, aber das Beste kommt dann: eine Auswahl an selbstgemachter Marmelade!
Aprikose, Erdbeer-Rhabarber, Pflaume, Apfel-Zimt.
Die sind der Wahnsinn, und die Erdbeer-Rhabarber Marmelade ist mein Favorit, von der muss ich irgendwie etwas für zuhause abzwacken. Das glaubt mir doch keiner, Meret würde auch durchdrehen. Aber ich weiß nicht, wie ich an die Marmelade rankommen soll, ohne Verdacht zu schöpfen.
Das Essen hier, man wählt sich am Vorabend etwas aus drei verschiedenen Mittagsmenus aus, ist wirklich gut. Morgens und abends gibt es alles vom Buffet. Und immer gibt es zwei verschiedene Vorsuppen und Salate. Da kann man nicht meckern.
Ausser die Krebs-Frau neben mir, die meckert praktisch über alles, vor allem hat sie es drauf, dass sie es so dreht, dass es sich wie eine Verschwörung gegen sie allein anfühlt.
Zum Beispiel gab es dreimal hintereinander irgendwelche Gerichte mit Hühnerfleisch. Natürlich weil sie kein Hühnerfleisch mag. Wer mag schon Hühnerfleisch? Das ist doch Schikane, was die hier machen! Und das vegetarische Gericht, das ginge ja auch gar nicht, deswegen esse sie lieber Salat. Als ich entgegnete, dass Salat aber auch vegetarisch sei, meinte sie, nee, das kann man ja wohl nicht vergleichen, denn das vegetarische Menu sei ja kein richtiges Essen. Heute erzählte sie, dass sie vom Arzt gemobbt würde, denn er forderte sie auf den Diätplan einzuhalten, sie weinte fast, meinte hier seien so viele doch sehr viel dicker als sie, er wolle sie doch nur mobben, aus Trotz würde sie jetzt gar kein Mittag mehr essen.
Und an den Spaziergängen wolle sie auch nicht teilnehmen, sie sei schließlich kein orthopädischer sondern ein onkologischer Patient, das wär denen wohl völlig egal, was sie so hinter sich habe, sie habe schließlich kaum noch Kraft.
Auch da machte ich den Fehler, zu versuchen zu vermitteln, dass es doch Sinn mache, da sie ja offensichtlich auch Gangschwierigkeiten habe, sonst hätte sie ja keinen Gehstock, und man würde da beim Laufen korrigiert, und ausserdem käme man so auch wieder zu Kräften, das sei ja alles vorsichtig und in Maßen. Da regte sie sich wieder auf, das wüsste sie ja wohl besser, was gut für sie sei, und sie lasse sich von niemandem zu etwas zwingen. Hoffnungsloser Fall, würde ich mal sagen.
Die Miesmuschel, die ihr gegenüber gesessen hat, ist abgereist, stattdessen sitzt dort jetzt ein lustig wirkender Rentner mit Hamburger Dialekt, den ich ja eh sehr liebe.
Er erzählt ganz witzig, aber er schaut mich fast nie an, selbst wenn er allen am Tisch etwas erzählt, schaut er immer nur seinen Nebenmann an. Er war wohl Polizist, ist echt ein cooler Hund mit tollen Sweatshirts, die seine Frau selber näht, auch sein Bademantel ist geschmackvoll. Manchmal treffen sich unsere Blicke, wenn die Krebsfrau wieder irgend nen Scheiß verzapft hat, und da seh ich: wir verstehen uns.
Ich buhle förmlich um seine Zuneigung, ich bin mir nicht sicher, wie er mich findet, ob er mich mag. Ein paar mal musste er dann doch über meine Gags schmunzeln, er macht auch freche lustige Sprüche mir gegenüber, aber nur wenn alle dabei sind. Sobald wir allein sind, am Tisch, oder irgendwo im Flur uns treffen, dann reden wir nicht miteinander, ein „Hallo“ oder Zunicken reicht da schon.
Nicht falsch verstehen, ich will ihn weder als Kurschatten noch als neuen Freund, aber ich möchte, dass er mich mag, dass er mich witzig findet und schlau und unterhaltsam. Tja.
Neben mir sitzt auch ein Neuer: Pawel aus Kasachstan. Er sieht aus wie die Klitschko-Brüder und redet auch so. Mit tiefer, kraftvoller Stimme und rollendem "R". Er ist natürlich, wie die Klitschkos, ein Tier, ein Arbeitstier, er erzählt ausschließlich von all seinen Jobs die er je wo auch immer auf der Welt gemacht hat. Er war auf Bohrinseln die Erdöl gefördert haben, hat aber auch in Russland nach Gas gebohrt. In Deutschland hat er vor 30 Jahren sofort Arbeit gefunden, weil er kräftig ist, nie krank, und sehr schlau. Er hat die Pläne für sein Haus, das er natürlich auch mit seinen eigenen Händen gebaut hat, selbst gezeichnet, inklusive perfekter Statik und Rohrverlegung. Seine 6 Brüder und er haben mittlerweile schon zig Häuser gebaut, für die ganze Familie. Zuletzt hat er aber in einem Chemiewerk gearbeitet, wo sie immer in kompletter Schutzkleidung arbeiten müssen, sehr gefährlich, aber gut bezahlt, und als er letzten August Urlaub hatte, wollt er was am Haus verbessern, ist vom Gerüst gestürzt, und seitdem ist sein linker Arm, aber vor allem seine linke Hand unbrauchbar, aufgrund der vielen Trümmerbrüche. Deswegen ist er hier.
Pawel hatte die letzten Tage Schnupfen, wie ich übrigens auch, thematisierte das andauernd, erzählte dass er jeden Morgen einen Schnelltest mache, aber immer negativ sei. Ich vermied es meinen Schnupfen anzusprechen, erzählte auch nicht von den beiden noch schlimmeren Nächten als sonst, voller Husten, Gliederschmerzen und Kopfweh. Mehr Corona geht ja wohl nicht.
Aber andererseits war es mit Sicherheit nur eine kleine Erkältung.
Das Risiko eines Schnelltestes wollte ich jedoch nicht eingehen, denn wäre ich tatsächlich positiv, müsste ich ja abreisen. Ich redete mir ein, dass ich ja nichts Schlimmes anrichte, hier sind alle geboostert, niemanden könnte ich in eine echt lebensgefährliche Situation bringen. Ich trage andauernd Maske, bis auf während der Mahlzeiten, halte überall Abstand, ich treffe mich mit niemand, gehe allein im Wäldchen spazieren, bin allein auf meinem Zimmer, ausserdem geh ich zu 97% davon aus, dass ich gegen Corona immun bin, sonst hätte ich es doch wohl schon längst bekommen, bei den engen Kontakten, die ich so oft zu Infizierten hatte.
Carina schimpfte mich allerdings aus, ich sei ein Schwein, ich könnte, wenn ich denn doch positiv wäre, ja jemand anders anstecken, und dann denjenigen in die Situation bringen, dass er sich dann, weil er ehrlicher sei als ich, testen ließe, und dann abreisen müsste.
Das wäre dann ganz allein meine Schuld.
Sie hat Recht, ich hab sofort ein schlechtes Gewissen. Lasse mich aber immer noch nicht testen.
Wie böse bin ich denn? (schäm)
Was soll ich sagen, Pawel kam heute nicht zum Mittagessen und auch nicht zum Abendessen. Ein weiterer Tischnachbar meinte, er hätte einen roten Punkt an Pawels Tür gesehen. Das heißt Quarantäne, oder Positiv? Aber Pawel hatte vor mir diesen Schnupfen, wenn überhaupt, hat er mich angesteckt, meiner ist auch schon fast wieder vorbei.
Vielleicht kommt mein Schnupfen aber auch vom Schwimmbad, vom Aqua-Walking, da erkältet man sich doch rasch.
Und da sind wir schon beim nächsten schönen Thema.
Ich liiiiieeeeeeebe diese Schwimmbecken Anwendungen.
Als ich das erste mal zu dieser Anwendung durfte, meine OP-Narbe war endlich verheilt, weinte ich fast vor Glück.
Denn es war wie als könne man plötzlich fliegen.
Ohne Krücken konnte ich da drin im Kreis laufen, hüpfen, in Mini-Schrittchen oder mit Storchenschritten, alles war wie im Traum.
Alle Bewegungen die wir mit dem operierten Bein an Land machen mussten, waren hier plötzlich kinderleicht und nahezu schmerzlos.
Mittlerweile hab ich ja alle Tricks raus. Als erstes komme ich ein paar Minuten zu früh, die vorherige Gruppe ist dann noch bei ihren letzten Übungen, solange gehe ich dann in das andere, das große Becken, da werden meist von Einzelpersonen Bahnen geschwommen, aber es ist genug Platz an der Treppe beim Einstieg, dass ich da rumplantschen kann ohne wen zu stören. Hier ist das Wasser wirklich eiskalt, also ich muss mich schon bei jedem Schritt überwinden, aber dann ist es fantastisch.
Fängt dann meine Gruppe im kleinen Becken an, wechsel ich zu ihnen. Da kommt einem das Wasser so warm wie in der Badewanne vor. Trotzdem schütteln sich ein paar Leutchen, die hier einsteigen und stottern: „Uhhh! Kalt!“ Also ehrlich, es sind immer mindestens 30 Grad.
Wenn's losgeht folge ich penibelst den Anweisungen und dann ist nach 15 Minuten auch schon Schluss. Kommt keine Nachfolgegruppe und es ist noch ein Therapeut im Glas-Büro oder am anderen Becken anwesend (wegen Aufsichtspflicht), bleibe ich einfach im Wasser und mache weiter Dehnübungen für meine beschissene Leiste oder mache Brustschwimmen, ohne meine Beine zu bewegen, das darf ich ja nicht, also ziehe ich sie wie so eine Gelähmte hinter mir her. Oder ich wedel wie eine Nixe mit den Beinen. Wie Bobby Ewing (Patrick Duffy) in Der Mann aus dem Meer.
Dazu singe ich:
Ich will ein Fisch im Wasser sein
im flaschengrünen tiefen See
ich will mit Wasser mich besaufen
und paar Blasen blubbern lassen
was ich dann will
das ist mit Neptun schweigen
und in Ruhe tun, was ich sonst nie tu
was ich sonst nicht kann und soll
Von Draußen schauen einem die Enten und Amseln zu, die Wiese leuchtet schön grün hinter den bodenlangen Fenstern des Bades, man sieht wie die Sonne immer größere Flächen bescheint, gibt es etwas Schöneres?
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