Freitag, 13. März
- Mai Buko
- 13. März 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Mai 2020
Ich schicke Tommy unüblicherweise schon am Morgen eine Nachricht, dass wir uns heute unbedingt nach der Arbeit treffen müssen. Ich will ihm nicht nur meine Absage mitteilen, sondern ihn auch überzeugen, dass er sein Fest verschieben soll.
Bei Dienstbeginn bemerke ich schon beim Reinkommen den Aufruhr. Alles klar, das Haus wird heute noch dicht gemacht, spätestens morgen sind alle Türen zu. Das erfordert jetzt Unmengen an Aufgaben, die wir alle schnell erledigen müssen. Die Heimleiterin verbringt fast den ganzen Tag damit, Angehörige anzurufen oder anzuschreiben, um ihnen die Schließung mitzuteilen. Diese sind mal mehr, mal weniger verständnisvoll. Im Laufe des Tages kommen immer wieder Angehörige vorbei, die Mutti noch mal drücken wollen, oder um Vati stangenweise Papiertaschentücher vorbeizubringen.
Eine Tochter schenkt uns Unmengen an Süßigkeiten, weil wir so tapfer sind und jetzt eine schwere Zeit vor uns haben.
Ich telefoniere alle Logopäden-, Ergotherapeuten- und ähnliche Praxen ab, die Patienten unter unseren Bewohnern haben, und sage alle Termine ab. Des weiteren cancel ich die Hundetherapie, den Gottesdienst, die Akustiker, und der Hausfriseurin, die normalerweise montags kommt, gebe ich Bescheid, dass sie bis auf Weiteres nicht mehr kommen kann.
Ich fertige Schilder an, die an den Eingangstüren aufgestellt werden, die das Betreten des Hauses untersagen.
Den Praktikanten wird allen gekündigt. Denen, die gerade da sind, und denen die erst noch kommen wollten.
Nur noch Festangestellte dürfen ins Haus. Gott sei Dank ist Massimo, als unser FSJler festangestellt, meine rechte Hand, mein bester Mitarbeiter, mein Glück.
Zwischenzeitlich werden die Bewohner informiert und anschließend getröstet, manche weinen, sind erschüttert, verängstigt.
Wir warten den Beschluss der Landesregierung ab, der um 14:30 Uhr bekannt geben wird, ob und ab wann die Schulen und Kitas geschlossen werden. Die betroffenen Mitarbeiter/innen werden notiert, können unbezahlten Urlaub in Anspruch nehmen. Kollegin Susanna, alleinerziehend, ist fix und fertig, sie weiß nicht, wie sie das finanziell stemmen soll.
Tommy postet derweil in seiner Facebook Geburtstagsgruppe den neuen Flyer für seine Party, und bedankt sich bei Moritz und Anika für’s Artwork. Allerdings deutet er an, dass es aufgrund der aktuellen Lage ungewiss sei, ob sie stattfindet.
„Daumen drücken!“ schreibt er, ich schüttle ratlos den Kopf.
Nach der Arbeit treffe ich ich mich mit Tommy im Hörnchen, teile ihm mit, dass ich auf keinen Fall zu seiner Party kommen kann, dass eigentlich niemand zu seiner Party kommen kann, und er sie doch bitte offiziell absagen und verschieben soll.
Er möchte das aber noch nicht tun, bei all den Scheiß Nachrichten will er nicht noch einen drauf setzen, und vielleicht gibt es ja doch ein Fünkchen Hoffnung, dass man vorher noch die Kurve kriegt, es ist doch noch über ein Monat hin…
Die Schulschließungen und andere Schließungen öffentlicher Räume gelten erstmal bis zum 19. April. Ein paar Tage vorher ist seine Party.
In den Tagesthemen wird von den Passionsspielen in Oberammergau berichtet. Ich finde es sehr interessant, dass dieses Stück im Jahr 1643 seinen Ursprung hat, als Oberammergau von der Pest verschont wurde, und seitdem alle 10 Jahre aus Dankbarkeit und Demut diese Festspiele, in denen stundenlang die letzten 5 Tage des Leidens Christi nachgespielt werden, veranstaltet werden. Oberammergau ist momentan tatsächlich noch nicht vom Coronavirus betroffen, wieder von der Seuche befreit, und so proben 2000 Dörfler enthusiastisch weiter. Niedlich, wie sie sich verausgaben, naiv, zu denken, da käme einer hin, wenn es nicht sowieso bald abgesagt oder verboten wird.
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