Freitag, 10. April
- Mai Buko
- 10. Apr. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Mai 2020
Meinen Dienst fange ich schon um halb 9 an, damit ich noch was von dem herrlichen Wetter habe, wenn ich dann um 17 Uhr Feierabend mache.
Als ich all die Eier für die Bewohner fertig bemalt und beschriftet habe, baue ich kleine Nester aus kleinen gepunkteten Backförmchen, lege Papiergras rein, in die Mitte die persönlichen Eier, dazu noch kleine Schokoladen-Osterhäschen, -Küken und
-Eierchen.
Zwischendurch kommt immer wieder Fr. St. vorbei und klaut sich Schokolade. Ganz selbstverständlich. Einmal hat sie, als ich es nicht bemerke, eine ganze Tüte Nougateier eingesteckt, fährt damit zu einer anderen Bewohnerin in den Garten und bittet sie, ihr die Tüte zu öffnen. Die allerdings verweigert ihre Hilfe und verpetzt sie stattdessen bei mir. Frau St. lässt sich die Tüte, die sie im Rollstuhl neben sich im Sitz versteckt, genauso selbstverständlich und widerstandslos von mir wieder abnehmen. Das mache ich nicht aus pädagogischen Gründen, oder aus Geiz, sondern aus der Befürchtung, sie könnte alles gleich wieder auskotzen, so viel, wie sie sich überall reinstopft.
Der Garten ist schnell voll, meine Kellnertätigkeiten werden immer mehr benötigt.
Unser Dienstplan ist ja so aufgebaut, dass jeder von uns aus der sozialen Begleitung alle zwei Wochen an einem Wochenendtag arbeiten muss. Also an diesen Tagen alleine arbeitet. Normalerweise kommen wir damit gut hin, da am Wochenende immer viel Trubel ist, viele Angehörige kommen dann zu Besuch, die Bewohner sind beschäftigt und gut versorgt.
Das hat sich natürlich jetzt krass geändert, da kein Besuch mehr kommt.
Eine Person von uns im Wochenenddienst ist jetzt zu wenig. Man kann gar nicht an soviel Stellen gleichzeitig sein.
Es lässt sich aber von der Planung her gar nicht ändern, weil wir ja alle eine begrenzte Arbeitszeit haben.
Wir müssten einfach mehr Leute einstellen, die wir dann sinnvoll über 7 Tage die Woche verteilen, aber das lässt ja der Personalschlüssel nicht zu. Vielleicht wäre ein Überdenken dieser Personalschlüssel aufgrund dieser schwierigen Zeit momentan angebracht. Aber das wären ja dann große Veränderungen, die von den Pflegekassen und dem Staat beschlossen werden müssten. Und da habe ich trotz der Aufmerksamkeit dieser Tage keine große Hoffnung. Ich glaube nicht mal, dass, wie jetzt häufig gefordert, unsere Gehälter aufgestockt werden. Wenn wir irgendwann mal aus dieser Krise raus sind, dann herrscht sowieso an allen Ecken Geldmangel.
Fr. St. klebt mittlerweile am großen Foyerfenster und verschreckt wieder vorbeigehende Passanten mit ihren Hilferufen, den panisch wedelnden Armen, und ihrem herzerweichenden Blick.
Ich lächle die Passanten beruhigend an, mache Zeichen, das alles in Ordnung ist, und setze mich zu Frau St., streichle ihre Arme, gebe ihr soviel Sicherheit und Wärme, wie es gerade möglich ist, da wird ihr Blick wieder weich und sie macht mir liebe Komplimente: „So eine schöne Frau. Ich will immer bei dir sein. Ich will mit dir leben.“
Frau T. kommt wieder aus dem Krankenhaus, sie hatte eine Lungenentzündung, soll jetzt auch in Zimmerquarantäne. Hm, sie ist sehr dement, bewegt sich mit ihrem Rollstuhl selbstständig auf dem ganzen Wohnbereich, was für sie Selbstbestimmung und damit Lebensqualität bedeutet, wie soll man ihr das jetzt verständlich machen, dass wir ihr all das jetzt nehmen?
Meine Feierabendbank auf dem Mittelstreifen vorm Sette ist natürlich wieder besetzt, von einem knutschenden Hipsterpärchen. Dass ich mich demonstrativ wartend an eine Stange ihnen gegenüber lehne, beeindruckt sie nicht im Geringsten. Sie hatten doch den ganzen Tag in der Sonne! Kann man nicht noch eine neue Regelung bei all den Maßnahmen einführen? Dass alle schwer schuftenden Mitbürger nach Feierabend das Vorrecht haben auf Parkbänke und Wiesenflächen?
Zuhause telefoniere ich mit Carina, die mir erzählt in Kreuzberg sei Corona offenbar vorbei. Die Leute laufen in Scharen herum und feiern die Sonne.
Pfleger Hans meldet sich bei mir, er macht heute Nachtwache, fragt wo ich die Stoffmasken gebunkert habe, er hätte gern auch eine.
Diese Stoffteile haben sich bestens etabliert.
Statistik 23:00 Uhr
20.157 Infizierte 2.688 Todesfälle 55.980 wieder gesund

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