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Donnerstag, 12. März

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 12. März 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Mai 2020


Die erste Nachricht auf WhatsApp ist von einer neuen Gruppe, die Sunia erstellt hat, sie möchte gerne an ihrem Geburtstag am 22. März mit uns einen kleinen Ausflug machen, mit der Bahn aufs Land fahren, spazieren gehen und irgendwo einkehren zum essen.

Der USB-Stick, den ich bestellt hatte, ist angekommen. Den brauche ich für die Musikfiles, die ich zusammen gestellt hatte, weil mein Vinyl nicht ausreicht für mein konzeptionelles DJ-Set auf Tommys großer 50. Geburtstagsfeier am 17. April.

Dafür hat er das Jaki im Stadtgarten gemietet und um die 200 Leute eingeladen, darunter DJs und Bands, die an dem Abend auch auftreten. Richtig große Sache. Tommy organisiert da schon seit November dran rum. Seit einem Monat frickel ich an meinem Set, suche nach passenden Songs, habe dann über 100 Stücke zusammen, von denen ich mich dann bei meinem Set auf maximal 12 reduzieren muss, bei einer Stunde Spielzeit. Ich hatte mit Martin Möller ausgemacht, dass ich die Tage zu ihm komme, zum üben, da ich noch nie mit Files und einem CDJ aufgelegt habe (eine weitere meiner selbstgebastelten Herausforderungen, die mir vor Angst die Nackenhaare hochstehen lassen).


Facebook quillt über vor lauter Witzen über Gerichte aus Nudeln mit Klopapier.


Auf der Arbeit gibt es dann die erste Krisensitzung auf Leitungsebene, anschließend schule ich kurz meine Teammitglieder, wie sie sich verhalten sollen - auf der Arbeit, aber auch privat. Sozialkontakte einschränken bis vermeiden, kein Händeschütteln, keine Umarmungen mehr, ständiges Händewaschen usw. beim geringsten Husten mit Fieber auf gar keinen Fall hier erscheinen.

Der Plan, am nächsten Tag das Haus für Besucher zu schließen, wird gefasst.


Petra sagt ihren morgigen Besuch mit den Grundschulkindern zum Bingospielen mit den Alten ab.

Nicht dringende Arzttermine von unseren Bewohnern wurden schon seit Tagen von den Praxen abgesagt, jetzt häufiger.

Bestand an Desinfektionsmitteln: 7 Flaschen. Für das ganze Haus! Lieferschwierigkeiten schon seit Tagen und unabsehbar, wie lange die noch andauern. Wir vom sozialen Dienst und auch die Angehörigen werden angewiesen, die Spender mit den Desinfektionsmitteln nicht mehr zu nutzen, da wir uns sinnvollerweise besser ausgiebig die Hände waschen (dabei zweimal innerlich „Happy Birthday to you“ singen), um das Zeug besser den Pflegern und Ärzten zu überlassen.


Nach Dienstschluss entscheide ich mich schweren Herzens meine Teilnahme an Tommys Party abzusagen. Das will ich ihm aber persönlich sagen, er hat jedoch heute keine Zeit und ich fahre gleich auch schon los in Merles Atelier, weil wir uns da mit Susanne treffen um spanisch essen zu gehen.

Sie stutzen erst, als ich sie nicht umarme, sind dann aber verständnisvoll, in Anbetracht meines direkten Kontaktes mit alten kranken Menschen.

Susanne hat mir Devotionalien aus der "Lindenstrasse" mitgebracht. Sie ist dort nach 34 Jahren in der Requisite arbeitslos geworden, im Dezember fanden die letzten Dreharbeiten statt, Ende März wird die letzte Sendung ausgestrahlt, da hat sie mir, als treuem Fan der ersten Stunde an, einen Junghans Wecker von Gabi Zenker und einen Lindenstrassen-Becher mitgebracht, beides eingepackt in original dreißig Jahre altem Geschenkpapier.

Ich bin ganz gerührt und kann ihr nur Kusshändchen zuwerfen. Ein Bekannter kommt vorbei, sieht uns und will uns sofort zur Begrüßung küssen, ich sitze vorne am Tisch und wehre ihn vehement ab, was er mit einem verständnislosen „Hehehe. Corona?“ kommentiert. Als wir alle nicken, geht er kopfschüttelnd an seinen Tisch.


Wieder zuhause angekommen, meldet sich mein Sohn David, er ist am Ende, hat keine Einkünfte mehr, da ja jetzt alle Clubs über 200 Leute dicht gemacht haben, alle seine Aufträge gecancelt wurden. Die noch offenen Rechnungen werden ihm nicht bezahlt, er selber muss Rechnungen begleichen, er ist verzweifelt. Ich überweise ihm schnell 1.500 Euro.

Ein Glück hab ich mir ja Anfang des Jahres, als ich in die Bredouille geriet, weil mein zusätzlicher Putzjob wegfiel, zeitgleich eine Mietererhöhung ins Haus flatterte, ich sowieso schon kaum mit meinem Gehalt auskam und meine Chefin die Bitte um eine Gehaltserhöhung ablehnte, 10.000 Euro als Vorschuss auf mein Erbe auszahlen lassen, um mich selbst dabei zu unterstützen, meine monatlichen Kosten zu bewältigen.

Jetzt hab ich also Gott sei Dank Geld auf dem Konto und kann David damit eine Zeit lang unterstützen.


Die Regierung gibt bekannt, dass für Europa jetzt ein generelles Einreiseverbot gilt.


Kurz vorm Schlafengehen noch mit Josek telefoniert. Da er in Prag immer noch an den Dreharbeiten beteiligt ist, und Tschechien angekündigt hat, die Grenzen zu schließen, erkundige ich mich bei ihm, was das für ihn jetzt bedeutet.

Er hat die Ansage bekommen, dass alle Filme abgebrochen werden, alle Mitarbeiter am Samstag zurück in ihre Länder sollen, nach Amerika, Kanada, Schottland, England, Deutschland und so fort, Orlando Bloom ist schon abgereist, und jetzt packt mal alle eure Sachen und reist ab.

Josek hatte seine halbe Werkstatt nach Prag transportiert, er weiß nun nicht, wie er die zurück nach Berlin kriegen soll, wenn doch die Grenzen geschlossen sind, und ein Transporteur dieses Wagnis bestimmt nicht auf sich nimmt. Und auch die Wohnung, die er bis Juni angemietet hat, müsste ja aufgelöst werden. Er ist hörbar in Panik und will mich auf dem Laufenden halten.


Statistik 22:45 Uhr

2.369 Infizierte 5 Todesfälle



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