Donnerstag, 2. April
- Mai Buko
- 2. Apr. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Mai 2020
Drosten meldet sich krank, kein Podcast mit ihm heute. Gestern hat er aber noch schwer geschimpft über die Medien, und dass es eigentlich eh nicht sein Ding ist, so im Mittelpunkt zu stehen, aber die Negativkommentare wären wirklich schlimm, jetzt hatte man ihm sogar die Verantwortung für den Selbstmord des hessischen Finanzministers Schäfer in die Schuhe geschoben. Der Politiker hatte sich angeblich aus zu großen Sorgen wegen der Pandemie das Leben genommen.
Ich schätze, Drosten hat heute einfach keinen Bock mehr.
Das Gerücht, Pflegeheime dürfen keine neuen Bewohner mehr aufnehmen, geht über Radio Köln und den Stadtanzeiger im Internet rum. Aber die Heimleitung, die sich bei allen höher geordneten Ansprechpartnern erkundigt, bekommt keine klare Ansage, eher Verwunderung, woher sie das denn habe.
Wenn sie bis zum heutigen Dienstschluss nichts mehr hört, werden morgen die beiden Neueinzüge stattfinden.
Wir hängen schon mal die „Herzlich-Willkommen“-Girlanden an ihre Zimmertüren.
Kollege Heinrich kommt heute nicht. Er hat sich für einen Tag krank gemeldet. Er kann nicht mehr, braucht einen Tag off, vor Erschöpfung.
Mittags springe ich für eine fehlende Präsenzkraft ein, und kümmere mich um das Mittagessen. Das heißt Tisch decken, die gewünschten Menus an die Bewohner verteilen, für die, die im Zimmer bleiben, alles auf einem Tablett anrichten, anschließend alles aufräumen, in die Spülmaschine, Tische abwischen, für den Nachmittagskaffee eindecken, den Essenswagen runter in den Keller in die Küche bringen. Manchmal ist das Stress, aber meistens springe ich gerne ein.
Besonders wenn es in der Wohngruppe meines Vaters ist. Die Bewohner dort sind mir am vertrautesten. Da kenne ich meine Pappenheimer, und die Tricks, wie ich sie zum Essen oder Trinken bringe. Und natürlich wie ich am besten Streit zwischen den Bewohnern schlichten kann. Diese Streitereien nehmen momentan zu. Klar, die Frustration wird ja auch immer größer.
Nur mein Papa ist wie immer. Corona interessiert ihn nicht die Bohne. Hauptsache das Essen schmeckt, die Coca Cola ist kalt und frisch, und der Stadtanzeiger liegt vor ihm auf dem Tisch.
Er kann schon länger nicht mehr koordinieren, das Besteck adäquat zum Mund zu führen, also verschlabbert er Dreiviertel des Essens. Das ist nicht schlimm, er trägt einen Kleiderschutz, aber er isst dann nicht genügend. Und ihm tut der Popo meist weh, weil er da gar kein “Sitzfleisch“ mehr hat. Deshalb kommt er immer wieder mal ins Bett oder in Liegeposition in dem Geronto-Rollstuhl, um den Popo zu entlasten, und isst dann im Bett, was für ihn noch komplizierter ist, als am Tisch. Also reiche ich ihm mittags sein Essen an. Das findet er immer schön, weil ich dann ganz nah bei ihm bin. Dann scherzen wir, er schneidet lustige Grimassen, wir sprechen französisch oder ich singe ihm was vor. Morgens und Abends kann er selbstständig essen, weil die Brote in kleine Schiffchen geschnitten sind und er dann seine Finger benutzt. Am liebsten hat er Schwarzbrot mit Leberwurst oder Mettwurst. Ausgerechnet Schwarzbrot. Weil er halbseitig gelähmt ist, ist auch sein Hals halbseitig gelähmt, und er verschluckt sich deswegen sehr schnell. Manchmal läuft er blau an, dann bekomme ich Herzrasen, und manchmal rufe ich noch schnell jemand von der Pflege hinzu, die richten ihn auf, reißen de Arme in die Höhe, klopfen auf den Rücken. Dann hustet er erbärmlich, zum Leidwesen der anderen Bewohner, die sich dann auch schon mal genervt von diesen Geräuschen echauffieren. Bisher ist alles gut gegangen. Er will es halt so, er kennt das Risiko, isst auch nach jedem Anfall gemütlich weiter, als wäre nichts gewesen. Unfassbar, wenn ich mich mal verschlucke, was auch nicht gerade selten passiert, bin ich danach so fertig, dass ich auf nichts mehr Lust habe.
Ich hatte Herbert gefragt, ob er mich anfangs bitte unterstützen kann, weil es schon kurz vor 12 Uhr ist, und vielleicht noch die Spülmaschine vom Frühstück ausgeräumt werden muss, und die Tische mit eindecken wäre auch hilfreich. Als wir ankommen, stellen wir fest, dass die Frühstücksmaschine nicht mal fertig eingeräumt wurde, geschweige denn gelaufen ist, so fehlen uns ein paar Messer und kleine Löffel. Während wir uns darum kümmern, kommt ein Pfleger rein. Herbert teilt ihm vorwurfsvoll mit, dass die Spülmaschine nicht eingeräumt und angestellt worden ist. Der Pfleger entschuldigt sich, oh, da haben wir das wohl vergessen, ist nicht mit Absicht geschehen, sorry!
Herbert reicht das offenbar nicht, er tritt nach:
„Beim Arbeiten sollte man das Denken nicht vergessen!“
Ach herrjeh! Ausgerechnet Herbert lässt diesen blöden Spruch vom Stapel..
„Mensch, Herbert, hör doch auf, das kann doch mal passieren, haben sie doch nicht extra gemacht!“
Ich spüre förmlich Herberts enttäuschtes Gesicht hinter meinem Rücken, denn nach seiner Auffassung müsste ich jetzt für ihn sein, Team Sozialer Dienst.
Der Pfleger regt sich auch auf und kontert. Ich greife schlichtend ein und bitte beide darum als Team zu handeln, und nicht gegeneinander zu agieren. Herbert hält endlich die Klappe, aber nach wenigen Minuten stellt der Pfleger sein Medikamententablett auf die Servietten, die Herbert gerade verteilen wollte, und der Scheiß geht schon wieder los. Wieder greife ich ein, bis beide den Mund halten. Nach weiteren 10 Minuten geht Herbert auf den Pfleger zu, sagt: “Okay, Hände können wir uns ja jetzt momentan nicht geben, aber ist alles wieder gut?“ Gott sei Dank! Was für ein Kindergarten!
Eine Nachbarin meldet sich am frühen Nachmittag und bietet an, eine paar Mund-Nasen-Masken zu nähen. Ich nehme gerne an, denn allmählich akzeptieren die Kollegen von der Pflege die Stoffmasken, und wir können nicht genug davon bekommen, bei 60 Mitarbeitern.
Der liebe katholische Pfarrer ruft mich an. Er würde gerne um halb vier einen Ostergruß vorbeibringen, wieviel Bewohner denn genau gerade bei uns leben. Um halb vier kommt er mit fünf Kartons, voller kleiner bunter Blumentöpfchen mit Osterglocken. Für 80 Bewohner. Und er hat 80 mal ein Ostergebet ausgedruckt, was er eigenhändig eingerollt und mit einer Schleife versehen hat.
Er ist so lieb, ich könnte ihn drücken. Stattdessen werfen wir uns zum Abschied Kusshändchen zu.
Im Laufe des Nachmittags verteile ich diese Töpfchen an jeden Bewohner und richte die lieben Grüße und seinen Segen aus. Das Gebet verwahre ich für Ostersonntag.
Anouk ist ja wieder da, und bleibt noch bis nächsten Mittwoch im Homeoffice, als Quarantänemaßnahme wegen ihres Thailandurlaubs. Telefonisch bespreche ich mit ihr die Änderungen des Dienstplanes für April, da ja nun einiges ausfällt, das gemeinsame Osterfrühstück zum Beispiel, oder unser Frühlingsfest, habe ich die Dienste nochmal verändert. Ich freue mich wieder mit ihr zu arbeiten, besonders wenn sie nächste Woche wieder hier ist.
Statistik 22:30 Uhr
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