Donnerstag, 19. März
- Mai Buko
- 19. März 2020
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Mai 2020
Statistik: 8:30 Uhr
12.000 Infizierte 28 Todesfälle
In Köln klatschen jetzt alle um 21 Uhr von den Balkonen. Auf Facebook gibt es Videoaufnahmen von Freunden aus verschieden Veedeln. Ich weiß gar nicht, ob ich mich angesprochen fühlen soll. Abgesehen davon, dass in meinem Hinterhof niemand klatscht.
Ich betreue nur alte, meist demente Menschen, ich rette sie nicht, ich versuche nur ihren letzten Lebensabschnitt zu verschönern, oder erträglich zu machen. Klar, das ist jetzt sehr viel schwieriger geworden, wenn man schon vor der Krise unser Team besser verdoppelt hätte, es aber aufgrund des Personalschlüssels nicht möglich ist, könnten wir jetzt fast nahezu eine eins zu eins Betreuung durchführen. 80 Mitarbeiter für 80 Bewohner, hihi, das wäre was. Aber wir sind zu fünft, mit Massimo, der uns im September wieder verlässt, zu sechst.
Jetzt gehören wir aber auch zu den systemrelevanten Jobs. Und werden also mit beklatscht. Strange.
„Fest und flauschig“ senden jetzt täglich ihren Podcast und nennen ihn “zuhause“. Das freut mich natürlich sehr. Kann ich mir jetzt während des Frühstücks vor der Arbeit anhören. Sie zeichnen es ja am Abend vorher auf, wie krass, das selbst das in diesen Zeiten dann am nächsten Morgen schon nicht mehr aktuell sein kann. Aber sie machen ja keinen Corona-Beratungspodcast, es geht eher darum, wie fühlt sich das alles an, was gibt es trotzdem für lustige Gedankenspiele.
Heute wurde mir eine Mail von einem Mann weitergeleitet, der im Rahmen der nun überall aufkeimenden Nachbarschaftshilfen, auch uns seine Hilfe anbietet, er könne aufgrund seiner situationsbedingten Homeoffice-Tätigkeit ja Einkäufe für die Bewohner erledigen. Die Einkäufe für die Bewohner sind in der Tat eine lästige Aufgabe, die wir sonst immer Samstags erledigen. Von „mon cherie“ über Mandarinen, aber nur die weichen bitte, bis hin zu kernlosen Trauben, Papiertaschentüchern, Freizeitrevue, Hörzu, mittelaltem Gouda, Funnyfrisch-Chips, Duschgel, Prothesen-Haftcreme, Blutwurst, Quark, Salmiakpastillen, Werther’s Echte, ein Stück Torte und was alles sonst noch saisonal gewünscht wird.
Diesen Samstagseinkauf haben wir gestrichen, haben angeboten mittwochs jetzt wirklich nur das allernötigste einzukaufen, da ein Supermarktbesuch für uns ja auch immer wieder eine weitere Infizierungsmöglichkeit darstellt.
Diese eigentlich kleinen Einkaufswünsche, die eigentlich nur in ihrer Summe anstrengend sind, mit der ganzen Abwicklung, von erst Wünsche aufschreiben und Geld einsammeln, in bis zu vier verschiedene Läden laufen, Bäckerei, Supermarkt, Apotheke, Drogeriemarkt, für jeden einzelnen Bewohner die Quittungen sammeln, später die Quittungen zusammenrechnen, das Wechselgeld, die Quittungen und die Waren in den drei Etagen an die Bewohner verteilen, das nervt, aber gibt den Bewohnern ein Gefühl von Normalität, von Selbstbestimmtheit, von Großzügigkeit (sie möchten auch oft Gummibärchen oder Merci haben, um es an die Pfleger zu verteilen), vermittelt also ein Wohlgefühl, und darum geht es ja. Nun müssen wir das einschränken und bitten die Bewohner selbst es einzuschränken, wie soll man etwas einschränken, was genau genommen, auch schon vorher eigentlich nicht lebensnotwendig war.
Da kommt das Angebot von dem Nachbar ganz gut. Uns erspart es diese leidige Aufgabe, und wir haben stattdessen mehr Zeit für Einzelbegleitungen im Haus.
Als ich ihn anrufe, um die Vorgehensweise zu planen, unterbricht er mich sofort, er würde zurückrufen, er sei gerade in einer Videokonferenz.
Weitere Nervwörter dieser Zeit: Homeoffice und Videokonferenz.
Als er am späten Nachmittag zurückruft, wird schnell klar, dass das mit unseren Bewohnern nicht durchführbar ist, da er erst ab 18 Uhr Zeit hat. Abgesehen davon, dass da keiner mehr von der sozialen Begleitung im Haus ist, ist das Abendbrotzeit, danach gehen die ersten Bewohner ins Bett. Eine Abwicklung mit Einkäufe und Wechselgeld an die Bewohner verteilen: unmöglich. Die Pfleger haben zu dieser Stoßzeit besseres zu tun. Da schlage ich ihm die Senioren in unserem Haus vor, die in der dritten Etage Wohnungen angemietet haben. Obwohl wir nur am Rand mit den Mietern zu tun haben, verfasse ich einen Infozettel über die Möglichkeit sich Einkäufe bringen zu lassen, gehe damit von Tür zu Tür, erkläre Alles nochmal ausführlich, und bitte sie bei Interesse mir bis morgen Mittag Bescheid zu sagen, damit ich das wiederum dem Homeofficemann weitergeben kann.
Das Erzbistum Köln hat mir eine Mail geschickt in denen Sendetermine für Gottesdienste im TV und Radio angegeben sind.
Mir fällt auf, dass diese Woche in meinem Team alles heillos durcheinander lief, Struktur fehlt , also arbeite ich an einem neuen Plan für die nächsten Tage, in dem ich bestimmte Bewohner bestimmten Kollegen zuweise, die dann bestimmte Aktivitäten mit ihnen machen. Sehr aufwändig, aber es scheint nicht zu klappen, dass wir individuell selbst entscheiden, was wir machen.
Es gehen Bewohner unter, wir kommunizieren nicht wirklich, trotz der Telefone. Ich gehe damit zur Heimleitung, ob das okay ist.
Sie holt direkt aus, und sagt, „In Ihrem Team ist überhaupt keine Struktur, Ihr labert alle zuviel“
Meinen Vorschlag findet sie nicht so gut, sie will sich einen Gegenvorschlag überlegen. Ausserdem kritisiert sie, dass ich mit meinem Lieblingskollegen rauchen gehe, sobald er mich anruft. Ich versteh nicht ganz was sie mir eigentlich damit sagen will, aber ich bin frustriert. Ich weiß ja, dass es nicht gut klappt, bin schließlich von selbst damit zu ihr gekommen, aber wir reißen uns trotz der Fehler den Arsch auf, geben alles, wir sind erschöpft, ratlos und ja: vielleicht schon überfordert.
Wir waren alle noch nie in einer solchen Situation, da geht es doch um trial and error, oder wie jetzt häufig in der Politik passend gesagt wird: „Wir fahren auf Sicht.“
Aber das macht sie im Grunde ja auch. Ihre Nerven müssen blank liegen, sie trägt die Verantwortung für das ganze Heim, für die Bewohner und die Mitarbeiter. Und lässt ihre Anspannung dann halt an mir aus. Ich muss versuchen, dass nicht zu persönlich zu nehmen.
Frau W. hat heute Geburtstag, ich stecke eine kleine Kuchenkerze in einen kleines rundes Gebäck, hole noch eine Pflegerin dazu, dann gehen wir zu ihr und singen ihr ein Ständchen. Sie freut sich sehr, schafft es aber nicht die Kerze auszupusten, deshalb mache ich das. Wieder so ein unkontrollierter Vorgang, womöglich habe ich ihr gerade ne Ladung Corona ins Gesicht gepustet. Später bringe ich ihr noch ein Geschenk, ihre Tochter kam und hat ein Paket für sie abgegeben.
Frau K. hat ganz andere Probleme, sie muss eine Überweisung tätigen, die Rechnung von der Zuzahlung zu den Stützstrümpfen ist angekommen, sie darf aber nicht raus. Also nehme ich die Rechnung und den auf den Cent passenden Betrag, gehe damit zur Verwaltung, bitte die Kollegin ein Bewohnergeldkonto für Frau K. einzurichten, zahle den Betrag ein, und sie kann dann jetzt davon eine Überweisung veranlassen.
Kollegin Alma kommt, ich bespreche mit ihr den Dienstplan für April. Sie arbeitet zweimal die Woche à zweieinhalb Stunden, und macht dann immer die ausgefeiltesten Gruppenangebote. Sie ist Sozialarbeiterin in Rente und betreut Senioren seit über 30 Jahren. Eine große Unterstützung. Aber Gruppenangebote darf sie jetzt auch nicht mehr machen, also bitte ich sie in nächster Zeit Einzelbegleitungen bei besonders schwierigen Fällen zu machen. Mit ihrem Know-How, ihrer herzlichen und emphatischen Art, schafft sie da vielleicht etwas, woran wir fast jedesmal scheitern. Die Bettllägerige Frau Sch., die jeden sofort rausschmeißt, wenn man nur die Tür einen Spalt öffnet, oder Fr. H., die kaum noch Blickkontakt aufnimmt, oder Frau O., die sich nur noch mit dem Oberkörper in Zeitlupe nach vorne bewegt, ansonsten mit mildem Lächeln in die Ferne schaut.
Adele hat heute ihren letzten Tag bevor sie morgen für zwei Wochen in Urlaub geht. Sie ist aufgeregt, beschwert sich über Kollegin Feist, ich versuche sie zu beruhigen, ausserdem sei sie ja jetzt erstmal in Urlaub.
Zwischendurch immer Frau St., die sich mal wieder mit dem Rollstuhl irgendwo verkeilt hat, und nach Mama ruft.
Ruft sie „Mama!“ reagiere ich sofort mit: „ Ja? Ich komme!“ und befreie sie.
Kollege Herbert versteht nicht was ich mit „aktiven Angeboten“ meine. Er macht den Job hier jetzt auch seit fast 5 Jahren.
Meine Nerven!
Vor lauter Nebenbaustellen komme ich nicht mehr dazu, Frau B. aufzusuchen, damit sie mir einen Brief an ihren Liebsten diktiert. Jetzt hab ich Feierabend, mache mir eine Notiz für morgen, dass ich das unbedingt noch machen muss.
Sette und Hörnchen haben jetzt komplett zu. To go- Produkte haben sich offenbar nicht gelohnt.
Tommy und ich gehen dann zum Forum, der einzige, der in unserer Nähe überhaupt noch aufmacht. Wir warten bis die Frau vor uns raus kommt, dann gehen wir nacheinander rein und holen uns unseren Lagebesprechungskaffee und setzen uns auf die Bank im Mittelstreifen. Hab jetzt einen To go-Becher, brauchte ich ja früher nicht, hab mich immer hingesetzt, fand dass eh immer schlimm, diese Leute, die Kaffee für unterwegs kaufen. Wie soll man da seinen Cappuccino genießen?
Zuhause dann leidliches Familiendrama, wir Geschwister sind uns uneins, wer über Papas Geld entscheidet. Abwechselnde Telefonate. Zwei von uns müssen überzeugt werden, dass wir vier das gemeinsam entscheiden und stets in Papas Sinn. Da aber ich mal wieder diese Fürsprecherin bin, schürt das den Hass meiner kleinen Schwester, sie ist aus Prinzip gegen alles was ich sage, aber in diesem Punkt kann sie einfach keine Gegenargumente aufbringen, sie muss sich fügen, und wird den notleidenden Enkeln eine kleine Spende von jeweils 500 Euro von Papas Konto überweisen. Das bedrückt mich so sehr, dass die eigene Familie in dieser Krisenzeit so unsolidarisch, so geldgeil, so egoistisch, so zum schämen lieblos ist, dass ich zwischendurch bestimmt fünfmal aufs Klo muss.
Heute Abend ist die Zahl der Todesfällen in Italien sogar höher als die der Todesfällen in China.
Statistik 23 Uhr
14.500 Infizierte 43 Todesfälle

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