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Donnerstag, 16. April

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 16. Apr. 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Mai 2020

Statistik 9:00 Uhr

134.753 Infizierte 3.804 Todesfälle 71.995 wieder gesund

Auf dem Weg zur Arbeit treffe ich Simon, einen alten Schulkameraden.

Sorry, sagt man noch Schulkamerad? Für mich hört sich das Wort Kamerad immer schwer nach Nazi an.

Simon ist mit mir zur Schule gegangen, war damals der Schönling, ein Womanizer und gehörte zu den Führern der Peergroup. Heute ist er, glaub ich, Architekt. Oder doch Kameramann? Keine Ahnung, ich treffe ihn selten, im Vorbeigehen, oder im Café sitzend, die Gespräche waren nie sehr tief, mein und sein Interesse hielt sich in Grenzen.

Er radelt also eine zeitlang neben mir her, und kommentiert die Maske, die ich trage. „Die bringt ja nix, weißt du, oder?“

„Och bitte, Simon, keine Diskussion darüber. Ich arbeite in einem Seniorenheim. Basta.“

Er schmunzelt, ich spüre sein arrogantes Überlegenheitsgefühl, genau wie damals in der Oberstufe.

Er hält mich für naiv, das ist klar, aber ich sehe keinen Sinn darin, ihn von etwas zu überzeugen, wenn er heute, einen Tag nachdem sogar die Bundeskanzlerin offiziell diese Schutzmasken empfiehlt, noch eine solch ignorante Aussage raushaut.

Boah, der nervt, ich radel weiter, mit ärgerlichen Erinnerungen an die Schulzeit, an sein selbstgefälliges Gekichere damals, seine Selbstverliebtheit, da ihm alle Mädchen zu Füßen lagen. Ich natürlich nicht. Mainstreamschönheit hat mich damals schon nicht angesprochen.


Ich versuche das herrliche Wetter und den angenehmen warmen Fahrtwind zu genießen, und pfeif mir ein Liedchen.


Eine Mail von einer Frau der Mitsingkonzerttruppe ist angekommen, sie möchte mich interviewen. Da sie einer gesundheitsaktivistischen Gruppe angehört, interessiert sie sich dafür, was ich von Lockerungen der Massnahmen bzw. der Isolierung in Seniorenheimen halte, da sie keinen wirklichen Bezug zu diesen Heimen hat, und nicht einschätzen kann, was da sinnvoll ist.

Ich antworte ihr, dass ich ihr nur meine private Meinung dazu mitteilen darf, und dass ich ihr vorab auf jeden Fall schon mal sagen kann, dass ich für die Einhaltung der Massnahmen bin, um unsere Bewohner weiterhin bestmöglich zu schützen. Wir versuchen ja sämtliche Nachteile aufzufangen, sei es durch unsere Gartenzaun-Dates oder Videotelefonie. Wir verabreden uns für ein Telefongespräch in der nächsten Woche.


Anouk sucht mich, ich hätte Besuch. Besuch? Wir haben doch Besuchsverbot!

Verwundert komme ich ins Foyer und sehe den lieben Pfarrer. Er möchte mit mir etwas brainstormen, was er, oder die Gemeinde denn aktuell unseren Bewohnern Gutes tun könnte.

Ob nicht vielleicht ein Konzert am Gartenzaun etwas Schönes sei. Ich erzähle von unseren Erfahrungen mit dem Konzert letzte Woche, und dass das vorerst ausscheidet.

Ich vermisse ja die Gottesdienste sehr, und erkundige mich, ob er die Möglichkeit hat einen Geister-Gottesdienst aufzunehmen, sodass wir ihn unseren Bewohnern vorspielen können. Die Idee findet er toll, und meint, den müsste man ganz stark personalisieren, damit die Bewohner merken, dass genau sie gemeint sind. Großartig, wir verabreden, dass ich ihm eine Liste von Bewohnern schicke, mit Geburtstagen in dieser Zeit, mit Neueinzügen, mit Verstorbenen, und sogar mit dem Hochzeitstag unseres Ehepaars. Er wird mir dann einen Link schicken, so dass wir das runterladen können.

Morgen möchte er noch ein paar gespendete 3D-Kölner Dom-Puzzles vorbei bringen.


Ich hatte mittags Eis eingekauft, Riesenmengen an Cornetto, Sandwich und Magnum, im „Ja“ - Nachbau von Rewe. Die verteilen Anouk und ich nun. Beim Auspacken schmilzt vor lauter Hitze oft schon der Rand, und mir läuft Schokoeis auf die Finger, was ich, reflexartig, schnell abschlecken will. Allerdings lecke ich innen an meiner Maske und außen prangt nun ein Schokofleck. Schoko- und Kaffeeflecken auf weißer Dienstkleidung werden immer mit Kaka-Witzen kommentiert. Da es ja durchaus vorkommen kann, dass Pfleger mit Ausscheidungen in Berührung kommen, naheliegend.

Kaka auf meiner Mundmaske ist natürlich besonders eklig, also hol ich mir schnell ein neue. Die habe ich nach wenigen Minuten aber schon wieder durch die gleichen Reflexe versaut.


Frau N. ist wieder abgehauen, alle Mann suchen sie. Vom Keller bis hin zu den Mietwohnungen in der dritten Etage. Dort findet man sie schließlich.

Frau Sch. und Herr B. sind auch kurz vorm Abflug, denn sie müssen noch zu ihrer Mutter, er hat ja das Auto vor der Tür, da wollen sie noch ein paar Sachen hinbringen, die Kinder kommen auch bald aus der Schule, deshalb muss sie ja noch was kochen, sie müssen los, damit alles noch rechtzeitig klappt.

Mithilfe der staatlich verordneten Quarantänemassnahmen überzeuge ich sie das Haus nicht zu verlassen, sie fügen sich erwartungsgemäß sehr zügig und lassen sich wieder auf ihren Wohnbereich bringen.


Frau B. lacht sich kaputt, als ich mich bücke, um etwas aufzuwischen, und ihr so den Hintern hinstrecke. Weil es so lustig ist, wiederhole ich das drei-viermal.


Völlig erschossen treffe ich Tommy auf der Coronawiese. Er ist unfassbar traurig, hat nicht den geringsten Schimmer, wie er nun morgen seinen Geburtstag feiern möchte. Meinen Vorschlag, wir holen uns was feines aus einem Restaurant und machen heimlich ein Picknick, hat er schon seit Tagen eher als frustrierende Kapitulation angesehen. Er ist unwirsch, nichts kann ihn erheitern, ich mache mir schon richtig Sorgen. Wir vereinbaren, dass er sich meldet, ich ja frei habe, und für alles bereit bin, auch wenn er nicht mich sondern jemand anderes treffen möchte.


Später kommt im WDR-TV die Doku "Das stille Land - NRW hält inne" indem Tommy kurz begleitet und interviewt wurde, als sie diesen Stream aus dem Gewölbe gemacht haben. Schöne Doku, tolle, absurde Bilder und Geschichten dieser Zeit.


ree





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