top of page

Dienstag, 7. Juli

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 7. Juli 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktuell gibt es in Köln 56 Covid-19 Infizierte. Einer davon besuchte vor ein paar Tagen seine Mutter, die bei uns im Haus als Mieterin wohnt. Um dort hinzukommen muss er durch unser Treppenhaus oder unseren Aufzug benutzen.

Noch nie war uns Corona so nah. Die in Seniorenheimen an Covid 19 Verstorbenen machen in Köln ein Drittel der gesamten Kölner Todesfälle aus. Vielleicht bin ich deswegen viel zurückhaltender mit Gruppenaktivitäten als zum Beispiel Tommy, der bei einer Infektion ja nicht gleich sämtliche Kollegen und Schwerstkranke anstecken könnte.

Diese Mieterin da oben bekommt seit Corona ihr Mittagessen von uns geliefert. Meistens bringt ihr einer von der sozialen Begleitung das Essen hoch.

Heute war ich dran, in voller FFP2 Montur, Maske, Kittel, Handschuhe. Das sah so gefährlich aus, dass ich Anouk sofort bat mich zu fotografieren.


Beim Yoga heute morgen im Studio kam ich zuerst zu spät, was ja überhaupt nicht geht, die Tür war schon verriegelt, man musste extra kommen und mir öffnen, mein Aufbau der Matte usw. störte die anderen, das war alles schon mal sehr peinlich. Als es dann bald schon los ging mit schnellen Abläufen verschiedener Hund-Asanas drückte sich bei mir jedesmal der Bauch zusammen, oder schob sich hoch zum Brustbein, keine Ahnung, jedenfalls war mir nach einer Viertelstunde extrem schlecht und Luft bekam ich auch kaum noch.

Durch Zeichen machte ich mich bemerkbar und Mechthild legte mich daraufhin in Entspannungshaltungen die ich mindesten 15 Minuten einhalten sollte.

Während ich da lag, ging es bei den anderen hardcore weiter. Die Frau neben mir, der ich aufmerksam zuschaute, eine zartes Persönchen mit schlohweißem Haar, mindestens 10 Jahre älter, aber auch mindestens 20 Kilo leichter als ich, machte die Übungen in so einer leichtwirkenden Perfektion, dass mir klar wurde, dass ich da nicht mehr hinkomme, dass ich elendig jetzt schon so verkrüppelt bin, und mein Schicksal nicht mehr aufzuhalten ist, dass meine Schmerzen in Knien, Händen, Schultern und Bauch dafür sorgen, dass ich immer unbeweglicher werde, und genauso enden werde wie die meisten meiner Bewohner, ächzend, jammernd, am liebsten immer sitzend oder liegend, bloß nicht bewegen.

Das trieb mir die Tränen in die Augen. Tränen des Selbstmitleids.

Das wiederum war mir sofort unangenehm, und ich versuchte sie zu unterdrücken. Dass ich versuchte meine Selbstmitleids-Tränen zu unterdrücken, verstärkte mein Selbstmitleid dann aber geradezu, ach, ich Arme, ich bin praktisch ein Krüppel und dass ich mir deswegen leid tue, ist so erbärmlich, was ist nur aus mir geworden, ich heule weil ich heule.

Verstohlen wischte ich mir Tränen weg, zog die vollgetriefte Nase hoch und hoffte niemand bekäme dieses Trauerspiel mit. Nach einer Stunde Alternativ-Übungen, die nur dazu dienten mich und meinen Bauch zu beruhigen, signalisierte ich Mechthild, dass ich aufhöre und gehe, was sie mit einem einverständlichen Nicken bewilligte.

Herrje, das war ja ein schöner Start in den Tag.

Bevor ich aber die Arbeit anfing, gönnte ich mir noch eine kleine Verschnaufpause und kehrte in ein mir unbekanntes Strassencafé ein, Cappuccino und ein Pastrami-Toast, bitte.


Heute ist mir dann eher nach passiven Inhalten, also nicht die direkte Betreuung von Bewohnern, sondern lieber was Organisatorisches.

Ein Glück bittet mich Anouk, nachdem ich das Essen oben abgeliefert habe, die Vorkehrungen für die Fotoausstellung am Donnerstag zu übernehmen. Dafür muss ich noch ein paar Einkäufe erledigen, dann die Fotos sortieren, eine Hängung überlegen, also perfekt für mich.

Frau T., die Iranerin, die kaum deutsch spricht, ist entwischt und gurkt draußen am Rollator in Richtung „Dorf“. Als ich sie eingeholt habe, lässt sie sich sofort wieder umstimmen und kommt mit mir zurück. Ich kriege heraus, dass sie zur Apotheke wollte, irgendetwas mit den Themopflastern sei „wrong“. Was genau damit falsch ist, kann sie nicht formulieren, stattdessen wiederholt sie immer wieder ihren Lieblingssatz, den sie zu jeder passenden aber auch unpassenden Situation von sich gibt: „It’s wonderful!“. Das wechselt sie nun im Sekundentakt ab. „Wrong!“ - „It’s wonderful!“

Mit aller nötigen Empathie vertröste ich sie auf morgen, wenn unsere iranische Kollegin wieder da ist, und rauskriegt, was sie eigentlich möchte, und ich mich dann darum kümmern werde.

Kaum wieder unten, ich möchte endlich los zum Einkaufen, kommt mir unser Liebespärchen auf dem Parkplatz entgegen. Er sucht sein Auto, das steht hier nicht. Wie kommen sie jetzt wieder nach Hause? Unbegreiflich!

Dass er ohne Auto hier ist, nimmt er mir nicht ab. Trotzdem lassen sich beide wieder zurück zum Haus führen, ich platziere sie in der Cafeteria, bringe ihnen jeweils ein Glas Wasser, was auch wieder zur Beunruhigung führt, da beide kein Geld bei sich haben, und das ist ja auch wieder was Unverständliches, Peinliches. Sie lächeln beide erleichtert, als ich ihnen erkläre, dass alles bezahlt ist, im Voraus, sie dürfen trinken, essen, was sie wollen, und sich keine Sorgen machen, alles ist bezahlt. Das mit dem fehlenden Geld ist ein Klassiker in der Demenz-Welt. Man muss daher bei manchen Bewohnern aufpassen, ob sie nichts essen oder trinken, weil sie die Befürchtung haben, es nicht bezahlen zu können.


Als ich aus dem Tedi komme und in Richtung Rewe gehe, sehe ich in 5 Meter Entfernung etwas kleines Braunes zusammengefaltet auf dem Boden. Ein Fuffi, hoffe ich, gehe schneller, weil ich ihn aufheben möchte bevor mir jetzt einer zuvor kommt.

Tatsächlich, es ist ein Fünfzig-Euro-Schein! Mein Herz bumpert vor Aufregung als ich ihn aufhebe und mich umschaue. Keiner in der Nähe sieht aus, als würde er nach einem gerade verlorenen Geldschein Ausschau halten. Ich bleibe noch circa 5 Sekunden mit dem Schein in der Hand an Ort und Stelle stehen, weil aber keiner kommt bewege ich mich zitternd vor Aufregung und Glücksgefühlen zum Eingang des Supermarktes.

Wow, das ist mir das letzte Mal vor 40 Jahren passiert. Auf der Tanzfläche des „Gypsy’s“. Als ich da einen 50 Markschein erblickte, stellte ich blitzschnell meinen Fuß darauf und tat so als ob ich nichts bemerkt hätte und tanzte weiter, mit dem rechten Fuß wie einbetoniert auf dem Fuffziger. Irgendwann hob ich ihn dann auf, und wartete darauf, dass mich jetzt einer anspricht und ausschimpft oder auf jeden Fall sein Geld haben will.

So ungefähr fühle ich mich auch noch bei den ersten Schritten im Rewe, eine Mischung aus schlechtem Gewissen, als hätte ich etwas gestohlen, jemandem weggenommen, und Freude, über die kleine Geldspritze.

Dann beruhige ich mich, was hätte ich denn tun sollen? Mit dem Schein wedeln und zu den Passanten rufen „Wem gehört der?“

Abgeben?

Nein, ich hatte alles richtig gemacht. Der Schein sollte zu mir finden.

Karma halt. Als liebevollen Ausgleich für heute morgen.

Aber vorsichtshalber zahle ich die Einkäufe mit diesem Schein, damit er sofort wieder im Umlauf ist.


Später treffe ich mich mit Tommy im Hörnchen. In der Unterhaltung antwortet er manchmal so bescheuert:

“Tja, wie eine Welt voller Wunder!“,

„Eine Umarmung für die Seele!“,

“Wir geben Schub.“

Weil ich es einfach nicht bemerke, klärt er mich freudestrahlend auf: er antworte nur mit Phrasen, die er auf der sich drehenden Litfaßsäule neben uns abliest.


ree



Kommentarer


Abo-Formular

Vielen Dank!

  • Facebook
  • Instagram

©2020 Corona Tagebuch. Erstellt mit Wix.com

bottom of page