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Dienstag, 7. April

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 7. Apr. 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Mai 2020

Statistik 9:00 Uhr

103.375 Infizierte 1.810 Todesfälle

Das Wetter ist herrlich, immer noch 20 Grad, die Fußkettchen-Saison ist eröffnet.

Da hören mich schon alle wenn ich bimmelnd um die Ecke komme. Ein feines Klingeln ist das, von diesen winzigen Glöckchen. Ich höre das gar nicht mehr. Aber Anouk ist da sehr hellhörig.

Sie ist ab heute wieder da, endlich!

Die Freude ist groß, doch wir begrüßen uns nur zaghaft mit den Fußspitzen.

Sie ist zwar froh, dass sie endlich wieder hier sein kann, aber es ist ja schon hart, wenn man normal aus dem Urlaub wieder zurück in den Arbeitsalltag kommt, aber für Anouk, die insgesamt mehr als 5 Wochen nicht hier war, dazu noch die ganze veränderte Situation hier, das muss ja ein Alptraum sein.


Um kurz vor 16 Uhr trudelt die erste Musikerin ein, und baut ein Keyboard im Garten auf. Den halben Tag hatte ich damit verbracht den Bewohnern die Überraschung schmackhaft zu machen, und sämtliche Mitarbeiter zu briefen, Bewohner an die Fenster zu schieben, denn ich hatte etwas Angst, dass bei diesem Kaiserwetter alle auf die Terrasse wollen, und es dann zu voll wird.


Die Heimleitung beobachtet, dass sich vor der Tür immer mehr Leute versammeln und fragt ob das jetzt alles Musiker sind, oder was. Das sind ja bestimmt 8 Leute, um Himmels Willen!

Ich bin auch eher von 4-5 Leuten ausgegangen. Als ich rausgehe und nachfrage, bestätigen sie, dass sie es sind.

Daraufhin bitte ich sie, sich aufzuteilen, die eine Hälfte darf dann in 2 Meter Abständen in den Garten, die andere Hälfte darüber, hinter den Gartenzaun.

Die Liederhefte, die ich noch schnell zusammen gestellt hatte, nachdem sie mir mitgeteilt hatten, was sie singen werden, hatte ich schon verteilt und es geht direkt mit der "Vogelhochzeit" los.

Sofort bildet sich ein Kloß im Hals als ich durch die Runde schaue und die Stimmen höre. Ich bin so gerührt!

Beim zweiten Stück kommen schon irgendwelche Anwohner mit ihren Kindern und stellen sich zu den oberen Musikern und singen mit. Das rührt mich auch total und die ersten Tränen fließen.

So gerührt ich bin, so panisch ist die Heimleitung, die, als das Lied zu Ende ist, sofort zur Keyboarderin geht und bittet, das Konzert leider abzubrechen, da sich jetzt Menschen ansammeln, und jetzt alles zu gefährlich wird. Die schlägt jedoch vor, dass die oberen Sänger den Leuten Bescheid sagt, dass sie weiter gehen sollen, oder Abstand halten.

Darauf lässt sich die Heimleitung überraschenderweise ein. Sie verzieht sich aber direkt ins Foyer, weil sie den Stress hier draussen nicht mehr aushält.

Was alles passieren könnte. Es könnte ein böser Nachbar uns als leichtfertige Corona-Party-Veranstalter denunzieren, Videos könnten viral gehen, die zeigen wie eng die Bewohner da sitzen (was zwar nicht stimmt, aber von aussen durchaus so aussah). Ich verstehe ihre Panik total, und das tut mir gleich extrem leid. Für sie, aber auch für die Musiker. Und die Bewohner. Ich bin hin- und hergerissen.

Anouk hält den Stress auch nicht mehr aus und bleibt auch drinnen.

Sie kommt jedoch während des vierten Stücks wieder raus und fragt mich, wie lange das wohl noch dauert.

Laut Liederheft haben wir nicht mal die Hälfte, aber ich halte die Situation auch nicht mehr aus. Ich bin sowas von ergriffen, wie die Bewohner mitsingen, wie die Kinder da draussen andächtig zuhören, als wir „Die Gedanken sind frei“ singen, andauernd muss ich mir die Tränen wegwischen, das ist so peinlich, ich bin emotional total überfordert und gehe nun selber zur Keyboarderin und bitte sie, nur noch ein letztes Stück vorzutragen. Das wird dann „En unserm Veedel“.

Mein lieber Gott! Meine Stimme bricht während des Singens weg, ich schluchze regelrecht.

Was ja schon ohne Corona ein rührseliges Stück ist, wird nun zur Hymne der nachbarschaftlichen Solidarität.

Ich bedanke mich noch während des tosenden Beifalls, nur kurz winkend, laufe hinten raus, um eine zu rauchen, ich zittere am ganzen Körper und kann gar nicht richtig atmen, immer noch diesen fetten Kloß im Hals.

Diese Anspannung, das Sitzen zwischen zwei Stühlen, einerseits die verständliche Sorge der Heimleitung, auf der anderen Seite diese Ergriffenheit über diese rührende Singrunde, das war eindeutig zuviel für mich. Ein Glück hab ich gleich Feierabend.


Die beiden Neueinzüge durften doch getestet werden und das Ergebnis ist da: beide negativ!

Das kann sich ja keiner vorstellen, was das für eine ununterbrochene Anspannung ist, jede Sekunde die Angst, der Virus könnte in unser Haus gekommen sein. Kommen dann gute Nachrichten wie negative Testergebnisse, sind wir kurz in Sektlaune. Puh, mal wieder Glück gehabt.

Die beiden Neueinzüge müssen trotzdem noch in Zimmerquarantäne bleiben, aber wir können mit den normalen Masken Kontakt zu ihnen halten.


Abends chatte ich mit Michael, ich hatte ihm eine kurze Sequenz seines DJ-Sets geschickt, um zu erfahren, was das denn für ein geiles Stück ist, das er da spielt. Das ist von Whomadewho, aber leider gibt es das noch gar nicht, weil es erst nach der Coronakrise veröffentlicht werden soll, aber er ist so lieb und schickt mir einen Downloadlink, und ich kann es mir jetzt andauernd anhören. Bis jetzt schon dreimal hintereinander. Wunderbar!

In den Nachrichten wird gesagt, dass sich Johnsons Gesundheitszustand derart verschlechtert hat, dass er auf die Intensivstation muss. Meine Güte, das wäre ja was…

Statistik 23:00 Uhr

106.739 Infizierte 1.942 Todesfälle


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