Dienstag, 24. März
- Mai Buko
- 24. März 2020
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Mai 2020
Statistik 9:00 Uhr
RKI: 27.000 Infizierte 114 Todesfälle
Johns Hopkins Universität: 31.000 Infizierte 133 Todesfälle
NRW veröffentlicht einen Bußgeldbescheid bei Nichteinhalten der Massnahmen:
Treffen in der Öffentlichkeit mit mehr als 2 Personen : 200 €
Besuch im Altenheim/Krankenhaus: 200 €
Picknick oder Grillen: 250 €
Im Dienstzimmer liegen diese Zettel vom Gesundheitsamt aus. Temperatur hatte ich schon zuhause gemessen, unbedenkliche 36,8°, das trage ich schon mal ein.
Bei den Beispiel-Symptomen treffen bei mir Husten, Halsweh, Schnupfen und Atemnot zu. Und natürlich Durchfall.
Was mache ich jetzt? Wenn ich wahrheitsgetreu antworte, kann ich gleich nachhause gehen und muss wochenlang in Quarantäne. Sehr wahrscheinlich sind es ja nur meine ganz normalen Erkältungssymptome. Und der Durchfall kommt von meinem nervösen Reizdarm.
Wenn ich jetzt hier wegbreche, fehle ich dem Haus, den Bewohnern in dieser Notzeit. Und das alles wegen Schnupfen?
Aber was ist, wenn ich doch den Virus habe? Und ich gebe meine Symptome nicht an. Dem Gesundheitsamt!
Kann ich die Verantwortung dafür übernehmen, weiß ich 100% dass ich nicht infiziert bin?
Kann irgendwer das überhaupt sagen, der nicht gerade getestet worden ist?
Was mach ich bloß, was mach ich bloß?
Mit dieser Frage wende ich mich an die Heimleitung, und die sagt, dass ich bei Angabe der Symptome nachhause gehen muss, „aber das ist Ihre Entscheidung.“
Ich hab Tränen in den Augen und bitte um Bedenkzeit. Es müssen noch Grußkarten eingekauft werden, für die Bewohner, denen ich versprochen habe, sie mit ihnen an ihre Angehörige zu schreiben. Das erledige ich jetzt, um draussen zu überlegen, wie ich mich entscheiden soll.
Zurück im Haus schlage ich der Heimleitung vor, dass ich ja morgen eh meinen freien Tag habe, und ab Donnerstag dann halt nur organisatorisches im Büro erledige, und den Kollegen die schriftlichen Dokumentationen abnehme, mich dann um die Frühlingsdekoration im ganzen Haus kümmere, und die Bewohner nicht mehr kontaktiere.
Das lehnt sie ab, da ich so ja, falls ich den Virus hätte, trotzdem die Kollegen anstecken könnte. Ich soll doch morgen früh zum Arzt gehen, und das abklären.
Ich verzieh mich auf die Toilette, weil ich natürlich direkt wieder Durchfall habe, und damit mich niemand beim heulen sieht.
In die Arztpraxis gehen, geht natürlich nicht, die sind heillos überlastet, und mit Corona-Verdacht geht man schon mal gar nicht da hin. Was mach ich bloß?
Den Zettel lasse ich immer noch unfertig ausgefüllt im Dienstzimmer liegen.
Massimo, der mittlerweile mein engster Vertrauter geworden ist, bestätigt mir meine beschissene Situation, weiß auch nicht, wie er handeln würde, hebt aber die Verantwortung hervor, wenn es jetzt eben doch Corona bei mir ist.
Heute ist die Beerdigung von Maries Omi in Heidelberg, sie darf nicht hin, die Beerdigungen sind mittlerweile auch stark reglementiert, und bittet mich mit ihr um 14 Uhr eine Kerze anzuzünden, damit wir gemeinsam an sie denken. Da heute auch der der 13. Todestag meiner Mama ist, zünde ich eine Kerze in der Cafeteria an, da ist grad niemand, und gedenke beiden. Die Tränen laufen.
Ich mache ein paar Bürosachen, da bekomme ich eine Nachricht von meiner Vogeldoktorin, ob wir die morgige Therapiesitzung telefonisch machen können. Ja, klar. Gerne. Ach, könnte ich sie doch nur jetzt schon um Rat fragen.
Wieder heule ich, ich weiß nicht wie ich mich entscheiden soll. Um16 Uhr rufe ich in meiner Arztpraxis an, und bitte um Rückruf der Ärztin oder des Arztes, egal, ich vertraue beiden, Hauptsache sie können mir in meinem Dilemma helfen.
Nach einer Stunde werde ich zurück gerufen, die Ärztin meint, klar, das sind klassische Erkältungssymptome und offenbar dazu noch ein entzündeter Hals, sie schreibe mich jetzt erst mal bis Sonntag krank, aber um die Hauptfrage zu klären, soll ich bitte jemanden vorbeischicken, der ein Testset für mich abholt, denn seit heute dürfen sie Leute testen, die Symptome aufweisen und aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit den Risikogruppen Kontakt haben, obwohl sie weder Kontakt zu einem Infizierten hatten, oder aus einem betroffenen Reiseland gekommen sind. Dazu gehöre ich ja wohl. Dann erklärt sie mir, wie ich den Test durchführen soll. Ob ich mir das zutraue. Äh, ja. Oder?
Sie schickt mir noch eine Mail mit einer bebilderten Beschreibung wie man das Stäbchen benutzen soll.
Sofort rufe ich Tommy an, er soll bitte mal schnell zu meiner Arztpraxis gehen, das Set holen, ich erkläre alles später, hab ja gleich Feierabend, und wenn wir uns treffen, kann er mir das geben.
Die Heimleitung nimmt diese Neuigkeit eher gelassen auf. Doch einmal stöhnt sie auf,
„O Gott, wenn Sie Corona haben!“
Während ich noch restliche Dinge im Büro erledige, und vorsichtshalber auch mal den Schreibtisch aufräume, wird mir klar, dass wenn ich positiv bin, sofort die Hälfte der Belegschaft in Quarantäne muss. Das ist der Zusammenbruch des Hauses.
Mir kommen wieder die Tränen als ich zu meinem Fahrrad gehe und als ich es aufschließe und mir eine Maske anlege, dabei von der Heimleitung gesehen werde, beruhigt sie mich, sie sagt, „Sie haben kein Corona!“, und zeigt mir in ihrem Handy ein Foto von einem alten Mann.
„Das ist Onkel Erich, und der hat immer gesagt, es lohnt nicht, sich schon vorher den Kopf zu zerbrechen, wenn man es genau weiß, kann man noch genug leiden!“ Oder so ähnlich. Das ist die erste nette Geste, die ich von ihr erfahre. Gäbe es nicht den Virus, hätte ich sie sicherlich umarmt.
Tommy treffe ich auf dem Mittelstreifen vorm Forum. Nachdem ich alles erklärt habe, holt er uns Cappuccino. Danach begebe ich mich in meine häusliche Quarantäne. Morgen früh muss er das Zeug abholen und in die Praxis bringen.
Am Abend erfahre ich, dass Gabi Delgado gestorben ist. Das ist ein kleiner Schock. So ein toller Mensch, einfach unerwartet weg. Traurig.
Ich verbringe den Rest des Abends mit Ungewissheit und Zweifeln, ob das nicht vielleicht diesmal zu hysterisch von mir war. War das jetzt eine Andrama Aktion? Oder war es verantwortlich? Was denken die Kollegen von mir?
Statistik 23:00 Uhr
32.991 Infizierte 159 Todesfälle

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