Dienstag, 19. Mai
- Mai Buko
- 19. Mai 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Mai 2020
Aufgeregt checke ich nach dem Frühstück die ersten Reaktionen auf meine Seite.
Es haben sich schon 30 Leute zumindest die aktuellsten Einträge angeschaut.
Weil es diese Problematik mit dem Runterscrollen gibt, verfasse ich schnell eine Entschuldigung für die Startseite, weil ich hoffe, dass man es chronologisch liest. Die letzten Beiträge sind eh nicht gerade Highlights und machen ja auch nicht soviel Sinn ohne die Entwicklungen von vorher zu kennen.
Vielleicht bin ich aber auch zu empfindlich, hab zu große Erwartungen.
David, den ich um Beseitigung des Problems mit dem umständlichen Scrollen bitte, findet es total doof, dass ich mich entschuldige.
Er kriegt es dann auch hin zumindest Monatsblöcke zu erstellen und eine Suchfunktion in der man ein Datum eingeben kann, das geht dann schon mal schneller.
Das macht mich jetzt schon wahnsinnig alles, was hab ich da bloß ausgelöst.
Ausserdem fühlt es sich total schizophren an hier darüber zu schreiben, was das mit mir macht, und dann liest das jemand, oder fünf lesen das, und ich weiß nicht wer, aber es verunsichert mich, Mann, war das noch ein gemütliches schreiben, als ich es nur für mich und eine Handvoll Freunde tat.
Aber ich wollte es ja so.
Um meinen Adrenalin Spiegel weiterhin zu erhöhen, erstelle ich schnell eine Facebook-Fanseite und lade im Laufe des Tages 150 Freunde ein, sie zu liken. Die Idee ist, von dort aus manchmal Inhalte auf Facebook zu verbreiten. Facebook ist zwar out, aber bietet sich für meine Zwecke eher an als zB. Instagram, weil da hauptsächlich mit Bildern gearbeitet wird. Und mehr Social Media mache ich nicht. Andere Wege der Promotion sind mir zu ehrgeizig, da befasse ich mich erst gar nicht mit.
Wenn mich hier die dreißig Leser schon fertig machen, wie reagiere ich dann erst auf hundert, wenn das mal passieren sollte?
Ich muss also jetzt in meinen reglementierten Tagesablauf auch noch „Freistunden“ einbauen, in denen ich nicht checke, was da los ist.
Pakete kommen an. Der Standventilator, den ich mir dieses Jahr endlich mal vor der Hitzeperiode bestellt hab (die letzten Jahre kam ich immer erst auf die Idee, als es schon tagelang 40 Grad in meiner Bude waren, und alle Ventilatoren weltweit vergriffen), hat einen tollen Namen, du glaubst es nicht, er heißt „Korona“.
Im anderen Päckchen befinden sich 15 Pakete Puddingpulver. Auf die bin ich aufgrund meiner Recherche zu dem Majala-Bildchen gestoßen. Ich hab so Majala-Nerds gefunden, die dem Einstellen der Produktion seit den Achtzigern genauso hinterhertrauern wie ich.
In Foren schwören sie darauf, dass dieser Hersteller ein Puddingpulver anbiete, das nahezu identisch mit dem Majala-Pulver sei. Daraufhin hatte ich unverzüglich 15 Päckchen beim Hersteller bestellt, die sind nun endlich angekommen, und ich möchte sofort einen Pudding kochen. Leider fehlt mir ein Ei, und da ich noch im Schlafanzug rumlaufe, und nicht für ein Ei duschen, mich anziehen, und einkaufen gehen möchte, gehe ich eine Etage runter zur Nachbarin und bitte sie um ein Ei. Das hat sie nicht. Ich bin fassungslos, jeder hat doch immer Eier im Haus! Ich normalerweise auch, eins hab ich ja auch noch, aber ich brauche zwei.
Also doch duschen, anziehen, Flaschenpfand einpacken, Einkaufszettel schreiben. Knirsch.
Tommy informiere ich über meinen Plan das Haus zu verlassen, ob er vielleicht Lust hat mich mittags auf ein Käffchen oder eine kleine Mahlzeit zu treffen. Hat er, denn er war morgens beim Zahnarzt, darf jetzt wieder was essen und hat tierisch Hunger.
Zuerst also schnell in den Rewe, den Einkaufszettel habe ich wie immer vergessen, aber Hauptsache Eier.
Das Wetter ist so grandios, man kann im Schatten barfuß sitzen, und es ist von der Temperatur genau richtig - angenehm hier im "Hörnchen".
Herrlich, mein Urlaub.
Wir bestellen uns beide ein Schinken-Käse Toast, mit diesem leckeren Salatbouquet, was man noch in den Toast stopfen kann.
Ich könnte stundenlang hier sitzen bleiben, aber einerseits schmelzen bestimmt schon meine Tiefkühlhimbeeren in meiner Einkaufstasche, und andererseits muss Tommy ja noch was arbeiten gehen.
Lori kommt zufällig vorbei, als Tommy schon weg ist, trinke ich noch einen Espresso mit ihr.
Sie hatte Ende letzten Jahres diese tollen Portraits unserer Bewohner gemacht, deren Abzüge vor einer Woche ankamen, weil ich jetzt dann halt doch eine Ausstellung damit machen wollte, ohne die Fotografin, ohne die Angehörigen, weil diese Fotos so unfassbar wundervoll waren, dass man sie nicht weiter in der Mottenkiste vertrocknen lassen sollte. Corona hatte dem ursprünglich geplanten Ausstellungstermin, mit Sektempfang und allem Pipapo, einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Lori kannte unsere Bewohner natürlich nicht, aber sie hatte ihre Persönlichkeiten so magisch eingefangen, dass wir alle platt waren.
Die Bewohner kennen diese Fotos noch nicht, und einige werden sie bestimmt nicht gut finden, weil sie in schwarz-weiß sind, oder weil sie sich nicht hübsch finden, aber diese Portraits sollten Preise gewinnen, sowas Wundervolles hatte ich lange nicht mehr gesehen. Sie freut sich, als ich ihr wieder meine ungebrochene Begeisterung mitteile.
Zuhause mache ich mich sofort an den Pudding, ich sehe schon an der blasseren Farbe, dass es bestimmt nicht dasselbe ist wie Majala. Beim Abschlecken der Löffel und Rührgeräte muss ich dann feststellen, dass es etwa 90% von dem entspricht, was ich erwartet habe. Aber hallo, immerhin 90%.
Jetzt ab in den Kühlschrank und vorher noch ein Glas abfüllen für Tommy.
Es werden wieder Päckchen geliefert, eins von Frank aus Hamburg, eins von Chanel.
Juhu!
Chanel hat sich wegen Corona über einen Monat Zeit gelassen, mir die Ware zu schicken, und ich hatte gehofft, dass sie mir noch ein paar Goodies zum Trost dazu gepackt haben, aber das hatten sie nicht. Sofort reinige ich mein Gesicht mit dem Chanelwässerchen und fühle mich trotz des ekelhaften Drecks den es aus meinen Poren rauswäscht und sichtbare Spuren auf dem Wattepad hinterlässt, wie eine Königin.
Für Neueinsteiger: ja, ich kann mir das nicht leisten, das ist dekadent und übertrieben, aber Chanel ist für mich, was für andere Microdosing ist. Im Grunde genommen handelt es sich sogar um eine Art Microdosing, weil ich Mikromengen an Lippenstift, Duft oder Gesichtswasser benutze um ein echt geiles Gefühl zu verspüren.
Das Päckchen von Frank ist ein Geburtstagsgeschenk, welches ich auch sofort ausprobiere und für gut befinde.
Beim abendlichen Aperitif-Treffen mit Tommy bekomme ich noch das zu spät eingetroffene Nina Hagen Buch von ihm, das ich mir zum Geburtstag gewünscht hatte, und mich jetzt sehr in Freude versetzt. Dann lass ich ihn raten, was das Geschenk von Frank sein könnte. Er muss solange fragen, bis er es raushat, ich darf nur mit ja oder nein antworten.
„Ist es ein Musik-file?“
„Nein.“
„Hat es was mit Popkultur zu tun?
„Nein. Oder vielleicht doch?“
„Ist es gekauft?“
„Ja.“
„Passt es in einen Schuhkarton?“
„Ja.“
„Macht es Geräusche?“
„Ja.“
„Ist es aus Kunststoff?“
„Ja.“
„Hat es was mit sexuellen Freuden zu tun?“
„Nein. Aber wer weiß, vielleicht ist das für manche sexuell erregend.“
„Kann man das in der Küche gebrauchen?“
„Nein“
„Im Badezimmer?“
„Ja!“
Tommy ist ganz aufgeregt und springt auf:
„Ist es eine Analdusche?“
„Jaaaa! „Happypo“ heißt das, hört sich schöner an!“
Er ist ganz eifersüchtig, kriegt sich überhaupt nicht mehr ein, dass Frank mir was zum Geburtstag schickt, selbst wenn es sich um ein obligatorisches Geschenk handelt, das Frank schon an mehrere Freunde verschickt hat, wie Tommy weiß, und deshalb verhältnismäßig schnell drauf kam.
„Wie kann das sein? Wieso liebt er dich mehr als mich? Ihr streitet euch immer, du bist immer patzig und besserwisserisch. Du bist dumm und undankbar. Wieso du und nicht ich? Ich verstehe es einfach nicht.“
Funtastisch, wie Nina Hagen sagen würde.

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