Mittwoch, 11. März
- Mai Buko
- 11. März 2020
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. März 2021
Ich hab frei. Das hab ich mir im Dienstplan extra so eingerichtet. Für jeden Wochenendtag, den wir arbeiten, bekommen wir einen freien Tag in der Woche. Ich hab mich vor zwei Monaten für mittwochs entschieden, denn da gibt es am frühen Nachmittag einen besonderen Yogakurs, und alle zwei Wochen hab ich Mittwoch vormittags meine Therapiesitzung.
Nach einer eher gemütlichen Unterhaltung mit meiner Vogeldoktorin und einem anschließenden Cappuccino in meinem neuen Lieblingscafé „Hörnchen und so“, komme ich kurz vor dem Unwetter zuhause an und schaue mal, was es in Sachen Corona Neues gibt.
Es läuft eine Liveübertragung einer Pressekonferenz mit Merkel, Spahn und Robert-Koch-Institut-Wissenschaftlern.
Zum ersten Mal wird davon gesprochen, dass es sich doch um eine Pandemie handelt.
Die ganze Ernsthaftigkeit, diese Zahlen überrennen mich, von Sekunde zu Sekunde wird mir schwindeliger.
Plötzlich wird mir klar, dass alles viel schlimmer ist, als uns vorher suggeriert wurde.
Die Fakten und die Dringlichkeit in den Ansagen schrauben in mir, alles krampft sich in mir zusammen.
Eine kleine Panikattacke entwickelt sich. Das ist mir da noch nicht bewusst, ich hatte lange keine mehr, oft ähnliche Symptome, aber die bekam ich dann immer den Griff. Jetzt kommt erst nur der Schwindel, dann schreiende Kopfschmerzen, mein Kopf wird heiß, der Atem schnell, die Luftnot zwischendurch beängstigend.
Mein trockener Husten wird mir bewusst. Dann dieses Ohnmachtsgefühl der Angst, da ich schnell feststelle, dass ich zur Risikogruppe gehöre, für die eine Infizierung durchaus tödlich enden könnte, und ich als Mitarbeiterin in einem Pflegeheim eine ungeheure Verantwortung trage, denn würde der Virus in unser Heim gelangen, sterben uns unsere Bewohner weg wie die Fliegen.
Ich suche nach dem Fieberthermometer, da ich jetzt auch Fieber bei mir vermute, ich bin garantiert schon längst infiziert, das ist kein Raucherhusten, das kommt nicht von meiner chronischen Bronchitis, meine Nase läuft ja auch ununterbrochen.
Da eine Infektion kaum zu umgehen sei, wie die da sagen, bei einer Wahrscheinlichkeit, dass sich ca. 70% der Bevölkerung infizieren, verstärkt das meinen Verdacht. Die Atemnot wird schlimmer.
Das Scheiß Fieberthermometer funktioniert nicht. Hektisch tausche ich dreimal hintereinander die Batterien aus, aber es funktioniert einfach nicht. Ich hatte mir letztes Jahr dieses teure Infrarot Ding besorgt, als ich mit einem anderen Virus zu kämpfen hatte, und auch tatsächlich für drei Tage in ein isoliertes Zimmer ins Krankenhaus musste.
Ich werde den Virus in mir tragen, und womöglich daran sterben.
Ich texte Tommy, der auf der Arbeit ist, voll mit meinen Ängsten, der mich beruhigt und meint, dass sei gerade eine Panikattacke, ich soll doch eine Tavor nehmen.
Mit Tavor ist es ja so eine Sache und ich will noch eine Stunde abwarten, nehme daher erstmal eine Aspirin plus C. So lächerlich das klingt, Aspirin hilft mir oft über Schmerzen, insbesondere Kopfschmerzen, hinweg.
Yoga sage ich ab, lege mich stattdessen ins Bett.
Später kommt Marie, ihre Omi, meine Ex-Schwiegermutter, ist heute morgen verstorben, deshalb tröste ich sie etwas und wir kochen uns Nudeln in Zitronen-Orangen-Butter-Parmesansauce, das tut uns beiden gut.
Bei einem kurzen Telefonat mit Sunia gestehe ich ihr, Angst zu haben, rede das jedoch aus Scham noch klein, äussere mich halbwegs belustigt über meine Panikattacke, sie reagiert mit Beschwichtigungen, spricht von Panikmache, Grippeviren sind erwiesenermaßen viel schlimmer.
Statistik 22:00 Uhr
Robert Koch Institut: 1576 Infizierte. 3 Todesfälle

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