Sonntag, 31. Januar 2021
- Mai Buko
- 31. Jan. 2021
- 13 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Juni 2021
Schokolade, Schokolade, Schreibblockade.
Tja, kann vorkommen. Damit ich nicht so ganz hinterhänge, fasse ich mal eben zusammen was die letzten 3 Wochen so passiert ist.
Ich habe die erste Impfung hinter mir (Nebenwirkungen: zwei Tage Schmerzen um die Einstichstelle, wie heftigster Muskelkater) wir werden alle drei Tage durch die Nase „schnell getestet“ (Kinderspiel), alle zwei Wochen ein PCR-Test (angenehmes Gurgeln), bisher alle negativ.
Immer noch kein Bewohner oder Mitarbeiter erkrankt, obwohl mittlerweile auch diese englische Mutation, die noch infektiöser ist, bei uns in Köln angekommen ist.
In Deutschland ist die Inzidienzzahl auf unter 100 gesunken, die Verschärfung und Verlängerungen des Lockdowns haben wohl doch etwas bewirkt.
Die Diskussionen wie es weitergehen soll, wie mit Schulen, Büros, öffentliche Verkehrsmittel usw. umgegangen wird, hören natürlich nicht auf.
Der Impfstoff (mittlerweile gibt es drei Anbieter) ist weiterhin limitiert. Engpässe stehen uns bevor, vor allem weil Pfizer nicht wie abgemacht weiter liefern kann, weil die ein wichtiges Werk erstmal umbauen müssen, und es allein dadurch zu enormen Verzögerungen kommt.
Die Impfungen für zuhause wohnende Senioren laufen nicht, katastrophale Anmeldungsverfahren übers Internet, die auch nicht wirklich funktionieren, ein Eklat nach dem anderen.
Die zweite, abschließende Impfung in unserem Haus soll am kommenden Freitag, den 5. Februar sein, ich bin mal gespannt, ob das klappt.
Biden wurde in einer schönen Zeremonie ohne, wie befürchtet, weitere größere Krawalle von Trump-Anhängern zum Präsidenten gekrönt, eine schwarze, sehr junge Lyrikerin namens Amanda Gorman liest ein Gedicht vor und ist der bezaubernde große Star der ganzen Veranstaltung, da kackt Lady Gagas Auftritt, sie singt die Nationalhymne, leider etwas ab.
Biden warnt seine neuen Mitarbeiter: „Wenn Sie jemals mit mir arbeiten und ich höre, dass Sie einen anderen Kollegen respektlos behandeln, jemanden runtermachen, ich verspreche Ihnen, dass ich Sie auf der Stelle feuern werde, auf der Stelle. Ohne Wenn und Aber.“
Und damit sind wir schon wieder bei mir: Kollegin Feist wurde gefeuert, bzw. versetzt.
In unseren Verträgen steht, dass wir alle jederzeit in einen Schwesternbetrieb versetzt werden können. So ist zum Beispiel unser Pflegeleiter von einer anderen Filiale zu uns gekommen, als wir vor ein paar Jahren dringend einen brauchten, was sehr positiv für alle Seiten war.
Wie positiv sie das jetzt findet, ist mir egal. Mir tun allerdings ihre neue Kollegen etwas leid.
Jedenfalls wird sie nie wieder in unserem Haus arbeiten, denn die Heimleitung hat nach dem letzten Vorfall endlich begriffen, dass es sich eben nicht um einen Kindergarten-Schlagabtausch zwischen dieser Frau und mir handelt, sondern um tiefe Respektlosigkeiten, ausschließlich von der Kollegin initiiert, ausgehend von ihrer bösartigen Freude am Vernichten, also am Denunzieren und Intrigieren, dazu ausgestattet mit zwei unglaublichen Talenten: einerseits ihr boshaftes Tun stets bestens zu verschleiern, und andererseits strategisch wichtigen Leuten heuchlerisch in den Arsch zu kriechen, selbst wenn sie diese nicht ausstehen kann.
Da sie in letzter Zeit öfter meine Handtasche aus einem dafür vorgesehenen Schränkchen immer wieder woanders hinstellte, damit sie ihre Tasche stattdessen da hinstellen konnte (was für eine übergriffige, dumme Idee!), sprach ich sie irgendwann an, weshalb sie das eigentlich immer macht, sie daraufhin nur „Aus Gewohnheit“ antwortete, bat ich sie das doch bitte zu unterlassen, ich mag das nicht wenn jemand meine private Handtasche anfasst. (Ich käme nie auf die Idee eine Handtasche zu berühren, das gehört sich irgendwie nicht. Ich kenne auch niemanden, der dieses ungeschriebene Gesetz brechen würde.)
Da rastete sie dermassen laut aus, dass ich erschrak und anfing zu stammeln, worauf sie sofort mein Stammeln unverschämt nachäffte.
Von dieser wahnsinnig aggressiven Art mich respektlos niederzuschreien und nachzuäffen erneut total erschrocken, begann ich wieder:
„Ich bat dich doch nur...“
Da stellte sie sich vor mich wie ein Gorilla, schlenkerte mit den Armen und äffte mich erneut nach, schrie dann: „Es reicht! Das nimmt überhand!“ und verließ brüllend das Büro und schlug die Tür mit aller Wucht zu. Zur Erinnerung: ich war ihre direkte Vorgesetzte!
Ich zitterte als sie weg war, und mir war sofort klar, dass ich so keinen Bock mehr hatte dort zu arbeiten, mir das nicht weiter gefallen lassen wollte, aber ich allein auch nichts mehr ausrichten konnte, denn mit ihr zu reden machte ja eh nicht den geringsten Sinn. Also ging ich am nächsten Arbeitstag zur Heimleitung und ließ alles raus, klagte auch die fatale Fehleinschätzung von einem „homogenen Team“, wie die Heimleitung uns erst kürzlich bezeichnete, an und endete mit: „Selbst wenn ich hier nicht mehr arbeiten würde, diese Person ist Gift für unser Team, für unser ganzes Haus!“
Die Heimleitung erkannte die Dringlichkeit und versprach sich sofort und „final“ darum zu kümmern. Die Kollegin musste zu ihr ins Büro und da teilte sie ihr mit, dass ihr Weg bei uns nun hier zu Ende sei.
Trillionen Tonnen fielen ab diesem Moment von meinem Herzen. Ich verspürte wirklich keinerlei Schadenfreude sondern eine unfassbar befreiende Erleichterung darüber mit diesem bösen dummen Menschen einfach nichts mehr zu tun haben zu müssen, und die Gewissheit endlich gesehen worden zu sein, endlich wieder Gerechtigkeit zu verspüren und endlich wieder ungestört und harmonisch mit den anderen Kollegen arbeiten zu können.
Das freute auch Tommy besonders, denn er musste sich ja seit Jahren bei jedem Cappuccino-Meeting mein Gejammer über die aktuellsten Unverschämtheiten von ihr anhören.
Tommy und ich nennen uns nun seit geraumer Zeit gegenseitig "President" und "Vice President". Allerdings streut er neuerdings auch mal ein „Pummelchen“ mit rein. Womit er zwar eindeutig recht hat, aber wer will das schon hören? Selbst so zärtlich formuliert. Dafür gibt es Rache!
Einmal sitzen wir vor dem geschlossenen "Aller Kollör", er erzählt mir was, ich stehe auf und fotografiere ihn vor dem lustigen Hintergrund, natürlich ärgert ihn das, weil er denkt ich könne ihm so nicht konzentriert zuhören, aber ich kann das, im Gegensatz zu ihm, bin ich durchaus Multitasking fähig. Das Resultat ist mein heutiges Foto.
Wir kümmern uns natürlich weiterhin regelmäßig um „unsere Kinder“, Achim und Stefan, plaudern mit ihnen über Kaffee oder Heroin, stecken ihnen genügend Kleingeld zu und versuchen den zärtlichen Annäherungen, vor allem von Achim, mit unseren FFP2-Masken zu trotzen.
Da Mechthild, unsere Yogameisterin, öfters mal zu unseren Bank-Sessions gestossen ist, und ich eines Tages in Erwartung sie gleich wieder zu sehen, in einiger Entfernung eine ihr ähnliche sehende Frau erblicke, stupse ich Tommy an:
"Guck mal, da ist Mechthild!"
Es war dann aber ein Mütterchen und wir lachen uns schief über die Verwechslung.
Tommy greift das auf, und etabliert das "Guck mal, da ist Mechthild-Spiel".
Mittlerweile sagen wir bei den unmöglichsten, ihr nicht im entferntesten ähnlich sehenden Leuten:
"Guck mal, da ist Mechthild!" Was für eine Freude jedesmal.
Meine mentale Situation lässt immer mehr zu wünschen übrig, ich befürchte manchmal, dass ich schon auf einem guten Weg zu einer beginnenden Demenz bin. Ich verhuddele Termine, vertausche Worte und merke es nicht mal, mein Rauchaufforderungs-Klassiker zu Kollegen: „Lass uns mal raus, die Lüfte masken!“, suche im ganzen Haus meinen Berliner, den mir eine Kollegin schenkte, kann mich einfach nicht erinnern wo ich ihn hab liegen lassen, sterbe halb vor Heißhunger auf dieses köstliche Gebäck, bis Anouk die Bäckertüte in meinem Büro im Mülleimer findet, was bewies, dass ich ihn längst gegessen hatte, liege nachts wach und habe bescheuerte Zwangsgedankenspiralen, die manchmal nicht mal einen Sinn ergeben, einfach nur aneinandergereihte Wörter, die ich vielleicht im Laufe des Tages gesagt habe, oder morgen sagen will, ein Irrsinn.
Da mein bei meinen Geschwistern beantragter Vorschuss auf mein Erbe angekommen ist, und ich wieder über genügend Geld verfüge, mache ich einen Termin bei Fielmann, denn ich brauche eine neue Brille, weil ich nicht mehr so gut sehen kann. Ich brauche zwei, eine normale und eine Sonnenbrille, beide mit Gleitsicht, Entspiegelung und allem Pipapo, und das kostet!
440 Euro um genau zu sein, und da wurden noch Rabatte aufgrund meiner Versicherung abgezogen. Junge, Junge.
Seit zwei Tagen habe ich jetzt die neuen Brillen und sie sehen toll aus, aber die normale nervt schon, weil sie zwei Nupsis hat, die auf meine Nasenflügel drücken, und hinter dem rechten Ohr tut's auch weh. Muss ich also nochmal hin. Ächz.
Tommy kam mit zu Fielmann, und hat sich auch eine neue Brille bestellt, auch Gleitsicht, bin mal gespannt, ob er die wirklich täglich trägt, das ist nämlich erstmal eine unangenehme Umstellung. Er holt sie aber morgen erst ab.
Einmal hatte ich eine Art Fahrradunfall. Der erste seit 50 Jahren oder so. Es ist nichts passiert, aber es war sooo peinlich. Ich fuhr superlangsam den Bürgersteig entlang, wollte gleich runter auf die Strasse, aber der Bürgersteig war noch zu hoch um mit all meinen Einkäufen im Körbchen und am Lenker da runter zu poltern. Plötzlich stoppte etwas mein Rad. Mein schlechtes Gewissen, weil ich ja weiß, dass die Leute es hassen, wenn man auf dem Bürgersteig fährt, und sei man noch so diskret und langsam und vorsichtig und umsichtig, suggerierte mir sofort, dass mich jemand hinten an meinem Körbchen festhielt und so zum stoppen brachte.
Innerhalb einer Sekunde passierte Folgendes:
Ich blickte mich nach hinten um, aber da war niemand der mich festhielt, also trat ich in die Pedale um weiter zu rollen, aber ich blieb weiter stehen und kippte deswegen seitlich in Richtung Strasse. Weil ich mich ganz knapp am Rande des Bürgersteigs befand, und er zu hoch war, als dass ich mich noch mit dem Fuß hätte abstützen und den Sturz abfangen können, trat mein Fuß also ins Leere und das Rad kippte mit mir und den tausend Einkaufstaschen in Zeitlupe nach links auf die Strasse. Sofort kamen unendlich viele liebe Menschen, die sich um mich sorgten:
„Bleiben Sie liegen, Sie haben einen Schock!“
„Nein, ich hab nichts, ich wurde blockiert. Da hat was blockiert!“ brabbelte ich während ich unter dem Rad hervorkroch ohne jemanden anzusehen.
„Immer mit der Ruhe. Machen Sie langsam!“
Und schon hielten mich zwei Menschen am Arm, ein anderer richtete das Fahrrad auf. Es tat mir wirklich nichts weh, ich hatte ja auch tausend Klamotten an bei der Kälte, ich wurde also gut abgefedert.
„Etwas hat meine Speichen blockiert, was war das denn nur?“ wiederholte ich geisteskrank in einer Tour.
Ich versuchte ein paar Leute anzuschauen um zu erfassen wie peinlich das jetzt genau ist. Ungefähr zehn Leute standen im Kreis um mich rum. Hätte mich ein Richter 10 Minuten danach nach einer Personenbeschreibung gefragt, hätte ich nicht mal deren Geschlecht bestimmen können, geschweige denn Kleidung oder Frisuren.
„So ein Quatsch, nicht die Speichen blockiert, etwas hat mein Rad blockiert, herrjeh!“
„Wirklich alles gut?
„Ja, wirklich!“ sagte ich während ich meine Einkäufe wieder in das Körbchen sortierte,
„Ach, das Schloß war es! Es ist in die Speichen gekommen!“
Wieder schaute ich in die Menschentraube, hielt vermutlich Blickkontakt mit ein paar hervorstechenden Helfern, wie der Person, die mein Fahrrad die ganze Zeit festhielt und sagte ganz ruhig in die Runde: „Danke! Vielen Dank!“ und verbeuge mich demütig.
„Meinen Sie, Sie können wieder fahren?“
„Ja, klar, danke, danke vielmals!“
Nur schnell weg hier.
Obwohl wir uns erst vor dem Einkauf getroffen hatten, rufe ich nach ein paar gefahrenen Metern und außer Sichtweite von den hilfsbereiten Passanten Tommy an, er soll noch mal kurz runter kommen, damit ich vor seiner Tür eine mit ihm rauchen kann, es sei etwas passiert.
Als ich es ihm keuchend erzähle, immer noch voller Adrenalin, schüttelt er nur den Kopf. „Kann denn nicht mal ein Einkauf bei dir ohne Drama stattfinden?“
Am nächsten Tag sitzen wir wieder auf unserer Bank. Achim schlurft vorbei, erkennt uns nicht, wahrscheinlich ist er komplett high.
Die zwei Nazi-Jungs kommen auch wieder an uns vorbei, ihre verachtenden Blicke erwidere ich wie immer mit ebenso stoischem verachtendem Blick.
Tommy bittet mich anschließend das doch endlich mal sein zu lassen, am Ende würde er noch dafür eins auf die Fresse kriegen.
Am Tag danach kommt Achim, wieder perfekt gestylt, fröhlich auf uns zu und meint: “Guten Rutsch! Haben wir uns schon gesehen dieses Jahr? Alles Gute, ihr beiden!“
Der ist echt nicht mehr ganz dicht. Grinst sich einen ab, erzählt, teilweise sehr unverständlich, weil er so leise und verschwörerisch spricht, merkwürdige Geschichten von fehlenden Geldauszahlungen, weil sein neuer Sozialarbeiter es nicht checkt, oder ihn betrügt, und die Ärzte sind auch alle eine Saubande.
Ich mache wieder ein paar Fotos von ihm, er posiert und genießt es. Ich werde eines Tages einen Bildband mit all diesen Portraits von Achim rausbringen. Darauf freut er sich schon.
Tommy nervt mit seinen unendlichen Recherchen über eine neue Kaffeemaschine, also eine mit Siebträger. Er hat sogar eine Umfrage auf Facebook gestartet, worauf ihm natürlich alle etwas anderes empfehlen. Es kristallisieren sich jedoch drei Geräte heraus. Das Ganze geht jetzt schon fast zwei Wochen, und als er mir von einem Topangebot auf ebay erzählt, da wäre noch eine hochwertige Mühle und ein Stamper und so dabei, und er mir den Preis verrät, sage ich ihm, dass ich raus bin und bitte um Themenwechsel.
Er fährt dann mit Sunia nach Solingen um das „Schnäppchen“ abzuholen.
„Du wirst deine Meinung schon noch ändern, wenn du das nächste Mal bei mir zum Pasta essen bist, und ich ihr dir anschließend einen delikaten Espresso serviere!“
Wann war ich eigentlich das letzte Mal zum Pasta essen bei ihm? War ich überhaupt schon mal Pasta essen bei ihm? Ach ja, letztes Jahr an seinem Geburtstag, als ich die Pasta für uns bei Peppe geholt hatte, und mit dem Fahrrad gerade in seine Strasse einbog als es anscheinend genau 21 Uhr war und alle an ihren geöffneten Fenstern standen und klatschten, und ich schockweinen musste vor Rührung.
Mann, das waren noch Zeiten. Das ist bald ein Jahr her. Zu dem Zeitpunkt ahnten wir nicht im Ansatz, dass wir das nächste Jahr auch noch so heftig mit Corona zu tun haben werden.
David ist zurück in Köln, nach seinem negativen Testergebnis, auf das er eine Woche warten musste, treffen wir uns mit Marie bei mir, es gibt Gulasch, den er förmlich allein verschlingt, danach spielen wir Scrabble, die beiden verbrüdern sich gegen mich, lassen manche Worte von mir nicht gelten („Radi ist bayrisch, das gilt nicht!“), lassen sich bei ihren Eigenkreationen aber viel Spielraum und bei der Abstimmung, was gilt, sind sie immer zu zweit gegen meine eine Stimme. Gemein. Aber insgeheim mag ich das, wenn die beiden so süß zusammen halten.
Marie hat jetzt einen tollen Nebenjob: sie putzt ein bis zweimal die Woche für jeweils 3 Stunden, wie sie Lust und Zeit hat, eine Wohnung und bekommt 20 Euro die Stunde. Das passt ihr prima, da sie ja jetzt wieder arbeitslos ist, und mit dem Geld nicht hinkommt.
Und bei mir gibt es auch Grund zur Freude: ich habe jetzt eine tolle Unterstützung, die kommt ein bis zweimal die Woche für jeweils 3 Stunden und macht all die ungeliebten oder beschwerlichen Putzarbeiten für mich, aber akribisch genau. Allein für mein Bad, mit seinen tausend Regalen und Trillionen eingestaubten Tuben, Flaschen und Fläschchen, den blau verfärbten Kacheln, hat sie 7 Stunden gebraucht. Ich kann es kaum abwarten bis sie meine Bücher- und Schallplatten-Regale entstaubt, auf Leitern steigt, und alles entfernt, was da nicht hingehört. Alle Fußleisten und die Intarsien der Türen reinigt. Die beiden Kronleuchter mit ihren filigranen Röschen, Mandarinen und Blättern säubert. Oder die Küche entfettet, die Hängeschränke und Regale abreibt, bis hin zu den blöden klebrigen S-Haken, an denen eingefettete Kellen und Siebe hängen. Und ich muss mich noch nicht mal vor ihr schämen.
Genial. Win - Win.
Zwei Ereignisse, bei denen mir jeweils meine Nachbarin geholfen hat, sind noch wichtig, einmal die Sache mit dem Gas und einmal das mit der Spinne.
Beim Kochen ging mir das Gas aus. Natürlich passiert das immer wenn man gerade kocht, wann sollte man auch sonst merken, dass die Flasche leer ist. Aus diesem Grund habe ich immer eine volle vorrätig (draußen in meinem Kabuff), und schließe die dann an, und weiter geht’s mit Kochen. Diesmal vernahm ich aber einen Gasgeruch nachdem ich sie angeschlossen hatte. Ich drehte an der Verbindung so fest es ging, aber der Gasgeruch blieb, sobald ich den Hahn aufdrehte. Panik überkam mich.
Da mach ich jetzt nichts mehr dran! Und gekocht wird hier auch nicht mehr.
Ich drehte den Hahn fest zu, und runter mit den Töpfen und der Pfanne (Kartoffeln, Prinzessbohnen und Frikdellen) zur Nachbarin und kochte bei der Vegetarierin mein Zeug zu ende. Sie fand den Geruch der Frikadellen ganz angenehm, und rauchen durfte ich auch, obwohl sie selbst aufgehört hat. Aber so eine Aufregung, oder Drama, wie Tommy sagen würde, da muss man ja rauchen.
Am nächsten Morgen bestellte ich beim Gasmann eine neue Flasche und bat ihn bei der Lieferung doch bitte nach meinem Gashahn zu schauen, da stimmt was nicht. Er schickt morgen vormittag jemand vorbei. Okay, dann gibt’s heute Pizza, wenn ich nicht kochen kann.
Als er kommt, habe ich aufwändig die Küche rund um die Flasche im Unterschrank leer geräumt (und geputzt). Er tauscht erst die neue Flasche gegen die leere im Kabuff aus, dann hole ich ihn in die Wohnung, obwohl er keine Maske trägt, und erkläre ihm mein Problem. Er hockt sich da hin dreht die Flasche auf, hält ein Feuerzeug da dran, und ZOSCH- eine große Stichflamme entsteht, mein Herz bleibt stehen, er schlägt das Feuer aus und meint ganz gelassen:
„Ja, da ist ein Leck.“
Mit seinen dicken Arbeiterpranken dreht er an dem Ventil rum, und wieder Feuerzeug dran. Erneut eine Flamme, etwas kleiner zwar, ich bin zutiefst beängstigt, sage dennoch keinen Mucks, verstecke mich aber vorsichtshalber im Flur hinter der Wand.
Ob diese nachträglich eingezogene Wand wohl einer Gasexplosion standhält?
You wish! In der Zeitung liest man ja beinahe täglich das ganze Häuser von solchen Gasexplosionen einstürzen.
Er wiederholt unbekümmert das Ganze noch dreimal, immer wieder diese Flamme, dann bittet er mich um eine Zange. Die hole ich ihm, stelle mich schnell wieder hinter die Wand, da sagt er: „Sehen Sie, ist dicht!“ und hält schon wieder das Feuerzeug da dran und tatsächlich, es entsteht keine Flamme mehr.
Weil die Flasche genau zwanzig Euro kostet, und ich kein Kleingeld mehr finde stecke ich ihm statt Trinkgeld noch einen Christstollen (ein Werbegeschenk aus der Apotheke) aus Dankbarkeit zu, denn ich bin heilfroh überlebt zu haben.
Eins ist klar, diese Flasche krieg ich im Leben nicht wieder von dem Zulauf getrennt. In einem halben Jahr, im Sommer, wenn die Flasche wieder leer ist, muss der Kerl das dann selber wieder auseinander friemeln. Dann gehe ich aber lieber solange vor die Tür.
An einem anderen Tag sitze ich gemütlich in der Küche an meinem Computer und sehe aus dem Augenwinkel, dass sich etwas großes Schwarzes auf mich zu bewegt.
Eine Ratte? Ein Wesen aus einer anderen Dimension?
Als ich genau hinsehe krabbelt da eine unfassbar große Spinne über meinen schwarz weiß karierten Küchenboden und bleibt 20 Zentimeter vor mir in einem schwarzen Quadrat
stehen und verschwindet dadurch optisch.
Normalerweise bin ich diejenige, die solche Tiere entsorgen muss, meine Güte, was soll schon sein, wieviel Echsen, Kakerlaken, Spinnen und Gottesanbeterinnen habe ich allein im letzten Urlaub für Marie aus unserem Zimmer oder vom Balkon getragen. Spinnen lass ich generell an meiner Decke ihre Arbeit tun, ihre Spinnweben entsorge ich nur alle paar Monate, wenn der Staub sie zu unansehnlich gemacht hat, denn Spinnen sind ja nützliche Tierchen, sie fressen immerhin Mücken und andere Scheißviecher, soll mir recht sein, aber dieses Monstrum hat mir spontan soviel Angst gemacht, dass ich vorsichtig über sie steige und sie vom Flur aus beobachte während mein Puls steigt. Sie bleibt da einfach stehen. Vielleicht stellt sie sich tot, oder ist eingeschlafen. Sie bewegt sich nicht, Gott sei dank, denn wenn sie jetzt zum Beispiel unter die Waschmaschine rennt, drehe ich durch.
Ich hab dann ein Glas mit der größten Öffnung, das ich auf die Schnelle finden konnte, über die Spinne gestülpt und ihr dabei fast die riesigen Beine ausgerissen, weil sie mit ihrem phänomenalen Umfang wirklich nur knapp da drunter passte.
Mein Herz raste weiterhin und ich konnte jetzt nicht mehr an meinen Computer oder sonst irgendetwas anderes tun, weil mich der Gedanke an dieses Insekt halb wahnsinnig machte.
Ich rief verzweifelt Tommy und sogar Marie an, im Wissen dass mir beide jetzt nicht helfen können, und im Fall von Marie, ich sie sogar richtig auf den Horror bringe, aber irgendeinen Tipp müssen sie doch für mich haben.
Dann rief ich die Nachbarin an, sie soll mit bitte helfen, aber sie nahm nicht ab. Man konnte aber Licht bei ihr sehen, also ging ich runter, klingelte ein paar mal.
Nichts. Ich werde wahnsinnig.
Sie rief mich kurze Zeit später zurück, sie war im Bad, was denn los sei.
Sie kommt also hoch mit einer großen Postkarte, die sie unter das Glas schiebt, ich hatte schon die Wohnungstür und das Hausflurfenster geöffnet, damit sie schnell dahin rasen und die Spinne da raus werfen kann. Aber sie stoppt am Fenster und meint, wenn sie die jetzt aus dem zweiten Stock wirft, dann stirbt die doch!
„Nein, die stirbt nicht!“ flehe ich sie an. „Die können das ab. Die segelt bestimmt gemütlich da runter und kriecht irgendwohin!“
„Nagut!“
Schwups. Jetzt muss sie sich aber auch ein wenig schütteln, während ich das Fenster im Flur wieder hastig verriegele, das war schon ganz schön eklig. Als sie mich zwei Tage später wieder bittet mich um ihre Katze zu kümmern, schreibt sie mir:
„Ich hab mich um dein Haustier gekümmert, jetzt bist du wieder dran, dich um meins zu kümmern!“
Hier noch zwei unbedingte (Mini-) Serientipps:
- "Years and Years" in der ZDF Mediathek (Danke, Meret! <3)
- "Detectorists" in der Arte Mediathek
RIP Sophie
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