Freitag, 1. Januar 2021
- Mai Buko
- 1. Jan. 2021
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Jan. 2021
YAY! Yippieh! Yeah!
Happy New Year everybody!
Es ist geschafft, das Kackjahr ist zu Ende, das neue am Start, soviel Gewissheit, dass es auf jeden Fall nur besser werden kann, gab es noch nie.
Neues Jahr, neues Outfit. Ich werde jetzt immer eigene Fotos hier reinstellen.
Die restlichen Weihnachtstage hatte ich mit Reste essen und der 4. Staffel von Fargo verbracht.
Von Tommy kamen nur beklemmende Nachrichten, die Situation da ist für ihn sehr belastend, jetzt ist seine Mutter auch noch im Krankenhaus angesteckt worden, sie ist Corona-positiv.
Die Temperaturen ziehen auch nochmal an, als ich am Sonntag zur Arbeit radle, frieren meine Ohren so ein, dass ich wieder die Befürchtung habe, wenn ich gleich im Büro die FFP2 Maske anlege, brechen mir die Ohren ab, zerbröseln mir in tausend Teilchen.
Als erstes erwartet mich die Hiobsbotschaft: eine erste Bewohnerin ist positiv getestet worden. Und zwei Mitarbeiter, die aber sofort in Quarantäne geschickt wurden. Die positive Bewohnerin ist Frau B. , sie wohnt bei Papa in der Wohngruppe, Heiligabend hatte ich sie auch noch umarmt. Es folgten Massentestungen der Bewohner und unmittelbaren Kontaktpersonen.
Mich soll Kollegin Biggi Storch unverzüglich testen. Wir haben unsere Therapie-Badezimmer zu Schnelltest-Stationen umgebaut, in denen ja seit letzter Woche täglich die diensthabenden Pflegekräfte, die zuvor von einer Ärztin geschult wurden, die Mitarbeiter und wenn nötig, die Bewohner testen können.
Biggi kann besser über die Nase, sagt sie, und ich versuche ihr noch zu demonstrieren, wie gut ich den Mund aufmachen kann und „Aaaaahh“ röhre, damit sie schön an den Rachen kommt. Aber sie traut sich nicht wirklich, sie darf nämlich mit dem Stäbchen nichts anderes berühren. In ihrer phänomenalen Tester-Montur, ganz in weiß, steril verkleidet mit zusätzlichem Plexischild vorm Gesicht, macht sie aber so einen seriösen und fachmännischen Eindruck, dass ich ihr erlaube den Abstrich durch die Nase zu machen.
„Du weißt, dass das der größte Vertrauensbeweis ist, denn ich dir überhaupt machen kann!“
„Da danke ich dir! Wenn es zu schlimm ist, brech ich ab, mach einfach ein Zeichen.“
Ich sehe das Stäbchen und stelle fest, dass das Köpfchen nur ein Viertel des Umfangs eines PCR-Teststäbchens hat. Ich schließe mutig die Augen, Biggi schiebt rein, und siehe da, es ist gar nicht so schlimm! Klar, ein wenig unangenehm ist es immer noch, das Auge tränt auch sofort, und der Druck oben kurz vorm Gehirn ist danach immer noch zu spüren, aber überhaupt kein Vergleich zum PCR-Test. Das geht im Haus viral, dass ich freiwillig einen Test durch die Nase hab durchführen lassen hab. Applaus, Applaus.
Die Heimleiterin ist auch ganz stolz und gratuliert mir. Sie ist schnurstracks vom Elternbesuch in Ostdeutschland hierher gefahren und eben erst angekommen. Sie war schon die ganzen Feiertage homeofficemäßig mit dem Haus verbunden, das positive Testergebnis der Bewohnerin erforderte sämtliche spontane Entscheidungen und Anweisungen von ihr.
Heute gehen auch deutschlandweit die ersten Impfungen los.
Am nächsten Tag gehe ich schon völlig gelassen und lass mich erneut von Biggi durch die Nase testen. Was soll sein?
Bisher gab es weder unter den Mitarbeitern oder Bewohnern weitere positive Testergebnisse, zur Sicherheit werden aber am Dienstag alle Bewohner des Hauses und die betreffenden Mitarbeiter noch einmal einem PCR-Test unterzogen.
Frau B. geht es gut, sie zeigt keinerlei Symptome. Die Angehörigen sind anstrengend, rufen andauernd an, machen uns Vorwürfe und wundern sich, wie man positiv sein kann, aber keine Symptome hat. Uff.
Es ist nachvollziehbar, dass sie nervös sind, aber wie man dann mit der eigenen Hilflosigkeit umgeht ist ja dann dann doch immer eine persönliche Sache. Deren Umgang ist jedenfalls weder hilfreich noch verständnisvoll oder gar dankbar. Denn Frau B. ist jetzt auf ihrem Zimmer isoliert und genießt besondere, aufwändige Zuwendung, jedesmal mit einem totalen Kleiderwechsel, bzw. dem Anlegen der sterilen Schutzkleidung verbunden. Auch wenn man nur mal kurz reingeht um ihr etwas zu Trinken zu bringen und zu plaudern. Sie ist dement, hat Sprachstörungen und versteht nicht im Geringsten was hier los ist. Aber sie lächelt freundlich, kichert hin und wieder und scheint die Sonderbehandlung in ihrem Zimmer zu genießen.
Das tröstet Tommy ein wenig, als ich ihm erzähle, dass es keine Symptome bei ihr gibt, denn seine Mutter scheint auch keine zu haben. Ausser ein wenig Husten. Auch ihr geht es einigermaßen gut.
Marie steckt kurz vor der Jahreswende in einer Beziehungskrise, das nimmt sie sehr mit. Und dass es sie mitnimmt, nimmt mich mit. Ich weiß natürlich alles besser, hätte am liebsten dass sie meinen Ratschlägen folgt, aber das geht ja nicht. Sie ist erwachsen und ich muss tatenlos zusehen, wie sie leidet und sich meiner Meinung nach nur im Kreis dreht.
An meinem letzen Arbeitstag in diesem Jahr hatte ich die fünfte Nacht in Folge wieder schlecht geschlafen, Hüftschmerzen, Fußkrämpfe, leichte Ohrenschmerzen und Husten ohne Ende.
Aber die Sonne scheint heute wundervoll, nach der Arbeit radel ich zu Meret um mit ihr in ihrem Vorgarten einen Kaffee zu trinken. In dem schönen Blumenladen neben dem Coffee-Shop in dem ich meinen Cappuccino geholt hatte, lacht mich ein Strauss rosafarbenen Schleierkrauts an. Ich liebe Schleierkraut. Ich hoffe, sie auch, denn den kriegt sie jetzt.
Auf ihren blauen Holzgartenbänken ist es richtig gemütlich, ich packe noch meine blaue Brotdose aus, da habe ich leckere Butterbrezel für uns drin.
Danach fahre ich schon im Dunkeln bei ihr in der Nähe zu meinem Zahnarzttermin meine Beissschiene abholen. Der Zwölfjährige kontrolliert ob alles gut sitzt und scheint zufrieden. Ich bin mehr als zufrieden, das ist ja völlig anders als mit meiner alten Schiene. Die neue ist weicher, damit ein wenig flexibel und oben eingesetzt stört sie so gut wie gar nicht. Ich könnte damit sogar einkaufen oder arbeiten gehen, man sieht sie kaum und meiner Aussprache merkt man es auch nicht an. Nur das Rausholen muss ich noch üben, das gelang mir nur mit der feinfühligen Unterstützung des minderjährigen Zahnarztes.
Glücklich radele ich weiter zu Sunia, wir setzen uns aufs Mäuerchen vor ihrer Tür, überreiche ihr weitere Bilder von Annemarie Schwarzenbach, eine meiner Lieblingskünstlerinnen. Die ersten hatte ich ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt, die letzten zu ihrem Geburtstag. Sie liebt diese Bilder auch so sehr, was mich natürlich freut, und ich ihr deshalb so gerne neue schenke. Wir erzählen uns wie wir die Feiertage verbracht haben, sie war bei ihrer Schwester in Tübingen, und wie wir wohl Silvester verbringen werden.
Jetzt ist es doch recht spät geworden, und ich habe keinerlei Bock mehr zu kochen, aber Heißhunger auf Pommes Frites. Auf der Severinstrasse hole ich mir zwei Portionen Currywurst mit Pommes. Zwei deswegen, weil ich beim letzten Mal, als ich mir in diesem roten Schuppen diese Kombi geholt habe, nicht satt wurde, und diese Currywurst wirklich sagenhaft gut schmeckt. Natürlich schaffe ich die zwei Portionen nicht ganz, den Rest mache ich mir morgen als Zwischenmahlzeit in der Pfanne warm. Das schmeckt, ehrlich!
An Silvester sind meine Ohrenschmerzen richtig schlimm, ich bekomme sogar Kopfschmerzen davon. Oder von was anderem. Jedenfalls stopfe ich mir Watte mit Salbe ins linke Ohr, trinke Unmengen an Wasser und auch mal ein Aspirin plus C.
Den Kühlschrank voller Lebensmittel, aber mal wieder überhaupt keine Motivation zu kochen. Das ist aber auch alles so aufwändig, was ich mir da zusammen gekauft hatte. Entenbrust, Ochsenbäckchen, Kartoffeln, Bohnen, meine Güte, das schaff ich nicht.
Dann mache ich halt eine Bolognese. Das ist einfach. Hackfeisch rein, ein paar Zwiebelchen und Möhrchen, Knoblauch, Oregano, mit Wein und Rinderfond ablöschen, das riecht schon mal fantastisch, jetzt noch die Dose mit den fein gehackten Tomaten dadrüber, etwas vor sich hindümpeln lassen, Nudeln kochen, fertig.
Bei der Tomatendose bricht der Ringöffner ab, Herrgottkruzifix.
Aber für so einen Fall hatte ich mir ja mal vorausschauend einen Dosenöffner gekauft. Ansonsten esse ich ja nichts aus Dosen. Mandarinen noch. Okay Mais, Thunfisch und Bio-Chili-sin-Carne auch noch. Aber die haben alle diesen Verschluss, so dass man keinen Dosenöffner braucht.
Jetzt kommt also mein Dosenöffner zum erstenmal zum Zug, und ich checke es nicht, wie benutzt man den denn, bitte schön? Der hat aber auch rein gar nichts mit dem gemein, den ich aus meiner Kindheit kenne. Ich bin ja nicht doof und suche direkt auf Youtube ein Erklärvideo. Das ist ja auch das Schöne an Youtube, es gibt Leute die erklären die hirnrissigsten Sachen. Ich habe hier schon die Anbringung von speziellen Scharnieren für Ikeahängeschränke gelernt, oder wie man die Stangen bei einem bestimmten Stuhl drehen muss, damit sie stabil sind, welche Hausmittel man braucht um Haarfarbe von den Kacheln zu entfernen, ein Ratgeber ohne Ende.
Ein Ami erklärt mir jetzt auch wie dieser Scheiß-Fackelmann-Dosenöffner funktioniert.
Ach, da kann man ja noch einen Griff herausziehen? Achso.
Es funktioniert trotzdem nicht richtig. Ich schaffe immer nur zwei Zentimeter, dann muss ich neu ansetzen. Die Dose verformt sich nun immer mehr und die Öffnung ist mittlerweile oval, und wird immer enger. Mit brachialer Gewalt, ich habe zwischenzeitlich Arbeitshandschuhe angezogen, um mich nicht zu verletzen, mit einem zusätzlichen großen Messer an der Seite stochernd, platzt die Dose so weit auf, dass zwar ein Teil der Tomaten auf der Arbeitsfläche, dem Obstkorb, dem Wasserkocher und meiner Kleidung landet, aber den Rest kann ich in die Pfanne schütten. Bevor ich das mache entdecke ich kleine glitzernde Späne oben auf den Tomaten, die hebe ich mit einem Löffel weg und rühre den Rest unter das Hackfleisch. Ich hatte zwar vorgekocht, wollte erst spät abends mein Bolognese Gericht zu mir nehmen, aber diese Anstrengungen haben mich hungrig gemacht, und es duftet so gut. Also mache ich mir vorab schon mal eine Schale mit dieser wohlduftenden dickflüssigen Hackfleischsauce, wie Chili con Carne ohne Chili und Bohnen, und schaufele sie mir genüßlich rein. Mein Gott, ist die lecker! Die ist mir aber mal wieder so richtig gut gelungen. Dafür dass ich kein Bock hatte zu kochen! Das ist doch schön, dass ich am letzten Tag im Jahr nochmal richtig gut für mich gekocht habe, den ganzen Abend daran naschen kann, das macht sogar die Ohrenschmerzen erträglicher.
Plötzlich kratzt was am Gaumen. Ich pule mir ein Metallspänchen aus dem Mund und kotze bald vor Ekel.
Das war's. Ende aus.
Den Inhalt der Schale – ab in den Müll, die wundervolle Pfanne voll herrlichster Sauce, ab in den Müll.
Immer wieder würge ich vor Ekel, taste mit der Zunge den schmerzenden Gaumen ab, blutet da was? Nein. Hab ich vielleicht schon etwas unbemerkt runtergeschluckt, werde ich jetzt von innen aufgeritzt? Tatsächlich bin ich bis heute davon traumarisiert, sobald sich ein Krümel oder etwas ähnlich Hartes in meinem Mund befindet, vermute ich scharfe winzige Metallspäne. Es fühlt sich überhaupt so an, als ob sich Metallspäne in meinem Rachen eingenistet hätten. Wenn das nicht bald aufhört, lass ich mich untersuchen. Das ist doch nicht normal!
Der Abend ist gelaufen.
Ich lege mich ins Bett und will mich berieseln lassen. Netflix hab ich fast leer geguckt, mir fällt nichts ein, was ich da jetzt anfangen könnte, YouTube ist mir auch zu unsilvestrig, also Fernsehen an. Aber da läuft nur Scheiße, ich bleib trotzdem bei einer mehrteiligen Dokureihe über die letzten Tage des zweiten Weltkrieges hängen, bis es endlich Mitternacht ist.
Auf WDR höre ich mir traditionell das Gebimmel des Kölner Doms an, aber den höre ich grad sogar durchs geöffnete Fenster. Ich bin aufgestanden um aus dem Fenster zu schauen. Aber nichts. Keine Raketen, keine Lichteffekte, die über den Hof blitzen. Ein paar Idioten böllern schon den ganzen Tag, jetzt vermehrt, aber das hält sich alles in Grenzen. Ich feiere so das Feuerwerksverbot! So. Nun hat also das neue Jahr begonnen. Gott sei Dank. Das alte ist endlich zu Ende.
Wie ein Kapitel, das man abhaken kann. Erledigt.
Ich lege mich wieder ins Bett und zappe so durch das Fernsehprogramm, alles blöde Shows, bei einer bleib ich hängen, weil gerade Vicky Leandros „Ich liebe das Leben!“ singt. Was ich sehr liebe. Danach kommt direkt Adamo mit „Verzeihen Sie Madame!“, ein weiteres Highlight meiner Kindheit.
Charles Aznavour, Gilbert Becaud, France Gall, Chris Roberts, Dalida, Karel Gott, Nana Mouskouri, Daliah Lavi, Bata Ilic, Marianne Rosenberg, Katja Epstein...
Ich verweile in dieser Sendung und gucke ungelogen fast 3 Stunden all die Lieblingsschlager aus den 70ern. Eine wirklich schöne Auswahl, alles Originalaufnahmen aus der Zeit, keine bescheuerten Kommentatoren, eine reine Aneinanderreihung reizender Auftritte.
Jetzt bin ich also am Höhepunkt meiner Debilität angekommen, oder was?
Nebenher googele ich was eigentlich aus Cindy und Bert geworden ist. Sie schauen sich immer so vertraut und voller Liebe an, war das alles echt? Ja, erfahre ich. Und dass sie einen Sohn haben, der in den Neunzigern selber Musik machte, womöglich noch heute, sein Vater Bert aber mit den anzüglichen, provokanten Texten nicht einverstanden war.
Zwischendurch kommen immer wieder liebe Neujahrswünsche auf mein Handy, was mich rührt und gleichzeitig wieder aus meiner Kindheit zurückholt, in die ich bei jedem Lied verfalle, mit all diesen Erinnerungen, wie ich zum Beispiel für meine Oma, die Einzige, die sich nicht weigerte meine Shows anzuschauen, mit der Bürste als Mikrofon „An einem Sonntag in Avignon“ von Mireille Mathieu darbiete, wie ich im Garten schaukelnd mich unbeobachtet fühle, meine eigenen Schlager singe, die ich während des Singens selber texte, die mir Tränen der Ergriffenheit in die Augen treiben, dann hinter dem Gebüsch von der Strasse her ein Applaus erklingt und ich mich feuerrot und überhitzt in meinem Zimmer unterm Tisch verstecke,... bis ich endlich streng zu mir bin und mir laut sage: „Jetzt ist aber Schluss! Ab, Licht aus! Augen zu, und schlaf endlich! Prosit Neujahr!“
Den heutigen ersten Tag des Jahres verbringe ich hauptsächlich im Bett, fühle mich weiterhin krank, Ohrenschmerzen, Schnupfen, Husten, wenn das mal nicht jetzt endlich Corona ist. Am Sonntag habe ich wieder Dienst, da werde ich ja getestet. Mal sehen.
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