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Sonntag, 16. August

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 16. Aug. 2020
  • 6 Min. Lesezeit

Ich weiß es nicht, womöglich hat dieses ewige nasse Rumlaufen und auch mein Eintauchen in den lauwarmen Fontänenbrunnen im Rheinauhafen mit all seinen Bakterien dazu geführt, dass ich seit Tagen und vor allem Nächten unfassbare Ohrenschmerzen habe. Natürlich war der Zeitunkt, an dem es kritisch wurde ein Freitag, und die Arztpraxen ab mittags geschlossen. Auf der Arbeit nahm ich Novalgin gegen die Schmerzen, zuhause bastelte ich mir genau nach Internetanleitung ein Zwieblesäckchen.

Tatsächlich sind die Schmerzen heute, am Sonntag ein wenig zurück gegangen, ich kann auch wieder besser den Kiefer bewegen, wohin die Schmerzen nämlich auch noch ausstrahlten.

Oder hat das etwa alles mit meinem neuen Zahn zum tun? Aber der ist rechts, und die Ohrenschmerzen damals, die da noch rechts ansässig waren, sind aus heutiger Sicht ein Piepsen gegen diese immense Pein jetzt links.


Apropos piepsen, seit Donnerstag ging mein Rauchmelder in unregelmäßigen Abständen los. Gott sei Dank erst am Morgen, dieses Geräusch ist so markerschütternd, dass wenn es nachts geschehen würde, ich bestimmt augenblicklich an einem Herzinfarkt sterben würde.

Das Teil hängt so hoch, dass ich selbst mit meiner Leiter nicht da dran komme, um es wenigstens abzuschrauben.

Weil ich arbeiten gehen muss, hänge ich einen Zettel im Hausflur auf, erkläre das schrille Piepsgeräusch, nicht dass die hier noch in meiner Abwesenheit die Feuerwehr rufen, und frage nach einer Leiter. Als ich zurück komme, hat jemand notiert, dass eine im Keller im Winterdienstraum steht.

Aus Massivholz natürlich und 50 Tonnen schwer.

Mit meinen niederschmetternden Ohrenschmerzen schleppe ich dieses Teil in die Wohnung, nur um festzustellen, dass ich mich nicht auf die letzte Stufe traue, und deswegen wieder nicht da dran komme.

Diesmal piept es auch in der Nacht. Ich bin zwar offensichtlich nicht an einem Herzinfarkt gestorben, aber das lag nur daran, dass mein Schlaf eh fürn Arsch war, weil ich ja immer wegen der Ohren halb wach war.

Gerädert dann zur Arbeit, mich dafür entschieden nicht zum Arzt zu gehen, und es selbst zu heilen, weil ich wahnsinnige Angst davor habe, dass die Geräte die in mein Ohr geführt werden müssen mich um den Verstand bringen, da allein ein leichtes Antippen der Ohrläppchen Schockwellen des Schmerzes auslösen, unvorstellbar da berührt etwas den Gehörgang.

Königin der Schmerzen.

Zu Tommy sage ich beim Treffen im Sette nach der Arbeit, dass ich doch nun wirklich nichts dafür könne, ich werde zu Unrecht Dramaqueen genannt, denn ich inszeniere das doch nicht, das Drama kommt halt unaufgefordert zu mir. Ich will das doch gar nicht.

Er meint, nix da, ich hätte alle Drama-Tore sperrangelweit geöffnet.

Später kommt er netterweise zu mir, und haut den Scheiß-Rauchmelder von der Decke.


Achim verkauft neuerdings seine Obdachlosenzeitung aufgrund der Hitze mit freiem Oberkörper, sein ausgemergelter Körper, die schrumpelige Bauchhaut, die verrät, dass er mal sehr viel dicker war, lässt ihn noch bedauernswerter erscheinen, aber er grinst fröhlich, erzählt dass er schon auf halber Strecke einen Zehner gemacht hat, und jetzt los kann um sich Heroin zu holen, dass er dann schön rauchen will. Vorher möchte er mir aber den rosa Pulli holen, den er vor zwei Wochen trug, weil ich ihn so schön fand, möchte er mir den schenken. Der Pullover war echt sehr schön, ein rosa Tommy Hilfiger Baumwollpulli, den er irgendwo wieder aufgegabelt hatte. Er kleidet sich ja wirklich eigentlich ziemlich geschmackvoll. Runtergerockt, aber farblich immer top. Natürlich hab ich Angst vor diesem Pullover, ich kann momentan Achim nicht mal die Hand geben, so schmutzig ist er, und er kratzt sich auch unentwegt. Ich bedanke mich, aber lehne hundertmal ab, da läuft er schon los ihn zu holen. Tommy weigert sich mit mir jetzt schnell abzuhauen, es ist grad so gemütlich hier, also sitzen wir da noch, als Achim strahlend wieder wieder zurück kommt. Das Obdachlosenhaus ist ja um die Ecke.

Gott sei Dank hat er einen blauen Pullover dabei, den ich jetzt ehrlich ablehnen kann. Tommy erklärt ihm unnötigerweise, dass es doch dieser rosa Pulli war, den ich schön fand, worauf Achim sofort wieder loshumpeln will. Aber ich bedanke mich tausendmal, sage ihm dass das super lieb ist, aber ich brauche auch den rosa Pullover nicht, immerhin haben wir 36 Grad. Weil er scharf auf seine Schore ist, belässt er es dann irgendwann dabei, wickelt sich den dicken Pullover um die Hüfte und macht sich auf den Weg zum Neumarkt.


Übrigens hatte ich Anfang der Woche ganz mutig einen Kurzurlaub gebucht. Mit Marie geht es, so Gott will, für 5 Tage Ende August nach Rhodos.

Das war ein Superschnäppchen, bei der selben Agentur geschossen, bei der ich schon im letzten Jahr den Urlaub mit Marie und Tommy gebucht hatte. Zufällig waren wir da auch in Griechenland, ein Land, das ich vorher nicht so richtig auf dem Schirm hatte. Bisher hatte ich Italien oder Spanien vorgezogen wenn es um europäische Sommerfeelings ging. Griechenland war mir in meiner Vorverurteilung etwas zu abwegig und anstrengend. Andere Schrift, fremde Sprache, von der man aber auch rein gar nichts versteht, bärtige Urtypen, fettiges Essen, langweiliges, unspektaktuläres Völkchen, dessen Glanzzeit Jahrtausende vorbei war. Klar, schöne Landschaft, tolle Ruinen, aber das hab ich in Italien auch. Dazu aber noch schöne und gutgekleidete Menschen, bestes Essen der Welt, wohlklingende Sprache.

Tja, was soll ich sagen, ich habe mich in Griechenland verliebt.

Und mich reumütig für meine arrogante Vorstellung geschämt.

Die Menschen in Nikiti waren allesamt extrem liebenswürdig, das Essen richtig toll, die Atmosphäre chillig, die Sprachschwierigkeiten kaum spürbar.

Als mir also das Reisebüro 13 Vorschläge schickte, darunter die angeforderten Küstenorte in Holland und Deutschland, da ich wegen Corona kein zu großes Risiko eingehen wollte, und notfalls schnell und unkompliziert wieder zuhause sein könnte, waren da aber auch ein paar Vorschläge auf Mallorca und vier in Griechenland. Dreimal Kreta, einmal Rhodos. Holland und Deutschland fielen direkt weg, da sie die teuersten Ziele waren, dazu musste man noch die Anreise selber organisieren, Mallorca war natürlich auch sofort aussortiert, blieb nur noch Griechenland.

Marie lehnte erst einen Urlaub, den wir per Flugreise unternehmen aus ethischen Gründen ab, schlug stattdessen die Eifel vor, doch nach ein wenig Bearbeitung, und dem unschlagbaren Betrag von 440 Euro pro Person, all inclusive, selbst die Cocktails am Strand, 100 prozentige Sicherheit auf gutes Wetter, 5 Tage lang bedient werden und auf Luftmatratze treiben lassen, nach all dem Stress den wir beide in den letzten Monaten gerade durch Corona durchgemacht hatten, haben wir uns das verdient einmal politisch unkorrekt und selbstsüchtig zu sein. In unseren Restlebensbereichen machen wir das dann wieder gut. Versprochen.

Da gab sie nach.

Nach Kreta gingen die Flüge alle schon um 5:30 Uhr, also entschied ich mich für Rhodos, Flug ab Düsseldorf um 13:00 Uhr.

Erst als alles eingetütet war, googelte ich das Hotel und den Ort. Stellte da erst fest, wie weit Rhodos eigentlich entfernt war, fast in der Türkei.

Das Hotel, bzw. diese Ferienanlage mit zig Pools direkt am Meer bekam hauptsächlich gute Bewertungen, natürlich gab es die ein oder andere schlechte Kritik aufgrund von Schimmel oder Kakerlaken, aber wo gibt’s das nicht.

Ein bisschen umständlich ist die Einreise jetzt doch, man muss ein Formular ausfüllen, bekommt 24 Stunden vor Abflug einen QR-Code zugesandt, ohne den man nicht einreisen darf. Stichprobenartig werden vor Ort Coronatests durchgeführt, ansonsten gelten da die gleichen Massnahmen wie in Deutschland.

Nervös bin ich schon, schaue jeden Tag auf die Seite des auswärtigen Amts, wer weiß, was sich da noch ändern kann, für ganz Spanien gilt seit gestern eine Reisewarnung, alle Rückkehrenden müssen sich testen lassen und in Quarantäne.


Zwischendurch regnete es in den letzten Tagen ein paar mal. Ich liebe es, Tommy nervt es. Ich könnte stundenlang bei der Hitze mit dem Fahrrad durch den Regen fahren. Tommy sucht Schutz unter Bäumen. An einem lauen Abend mit ständig tröpfelndem Himmel zanken wir uns fast aufgrund unserer verschiedenen Vorlieben.

Im Sette sitzen wir beide einmal so, dass er gerade noch von der Markise bedeckt ist, und ich unter fast freiem Himmel. Es fühlt sich so toll an, dass ich immer wieder aufspringe um mich so richtig in den Regen zu stellen, die Arme in den Himmel recke und mich drehe. Natürlich sieht das blöd aus, als ob ich da eine Show machen will, die irre Regenanbeterin. Die Tischnachbarn gucken auch, entweder lachen sie oder finden es bescheuert. Aber muss ich da jetzt echt Rücksicht drauf nehmen, was zufällig anwesende Menschen von dieser alten Frau, die sich so exaltiert benimmt, denken? Nein. Nach mir die Sintflut.

Wir bastelten noch aus meinen Fake-100-Euro-Scheinen kleine Bötchen und ließen sie in der Rinne neben dem Bürgersteig, in dem sich ein reißender kleiner Strom gebildet hatte, schwimmen. Endlich kann Tommy dem Ganzen auch noch was Gutes abgewinnen.



ree



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