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Sonntag, 14. November 2021

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 14. Nov. 2021
  • 12 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Nov. 2021

Krass, wie mich das Thema „Alter“ in letzter Zeit auf sämtlichen Ebenen verfolgt.


Hier also die letzten Ereignisse:


Zuerst natürlich zu mir: meine Arthrose, meine neue Hüfte, die ich nächstes Jahr eingebaut bekomme, das Gebiss, das ich auch Anfang des neuen Jahres erhalten werde, weil ich für Implantate kein Geld habe, mein schon länger ergrautes und erweißtes Haar, meine schwindende Kondition, all diese körperlichen Symptome sagen: du wirst nicht alt, du bist alt, und sie bringen dich dem Tod immer näher. Schlimm.

Aber:

Noch nie habe ich mich so wohl in meiner Haut gefühlt wie jetzt, noch nie war ich so bei mir wie jetzt, die innere Ruhe, meine gewonnene Souveränität, meine Hemmungslosigkeit, meine ungebrochene Neugier auf alles Neue, all das macht meine große Liebe zum Leben aus.


Mein Resümee ist also nicht „Ach Gott, es wird alles schlimmer“ sondern „Yippie! Was kommt als nächstes?“

Das meine ich natürlich nicht auf den körperlichen Verfall bezogen. Der ist leider unausweichlich und ganz bestimmt nicht schön. Jammern erlaubt.


Das musste ich vor wenigen Wochen meinem Sohn David erklären, der sich wirklich Sorgen um mich machte, weil er anscheinend seinen eigenen jugendlichen Massstab ansetzte, und bedauerte, dass ich dies und das nicht mehr mache oder kann, oder ganz schlimm: einsam werden könnte, da ich ja keinen Mann habe.

Ich versicherte ihm, dass ich keinen Partner brauche, um mich glücklich zu fühlen. Im Gegenteil, ich genieße so dermaßen meine Unabhängigkeit, ich hab genug Beziehungen gehabt, so dass ich deren Nachteile nicht hinterherweine. Ich bin auch zu realistisch um zu denken, dass es jetzt, in meiner jetzigen Lebensphase, mit all meinen etablierten, vielleicht spleenigen Gewohnheiten, die ich nicht ändern möchte, eine attraktive Partnerin für wen auch immer sein könnte.

Ich sage nicht „niemals“, natürlich können noch Wunder geschehen, oder meine Ansprüche verlagern sich wieder, und ich werde eines Tages händchenhaltend mit einem Mann unsere Hunde Gassi führen. Oder mit einer Frau, wer weiß?

Und einsam bin ich auch nicht, ich hab doch euch, meine Kinder, und meine Freunde, und all die Menschen, die ich täglich erlebe, auf der Arbeit, im Café. Und soviel, für das ich mich interessiere, und nie, wirklich niemals habe ich Langeweile, oder das Gefühl, das etwas fehlt.

Er brauche sich nicht die geringsten Sorgen machen, mir geht es gut, ich bin da ganz optimistisch, ob es so oder so läuft, mit all den Handicaps, die das Altern halt so mit sich bringt.


Frank, mein Freund aus Hamburg gab auch erst gestern zu bedenken, dass ich durch meinen Lifestyle zum Waldschrat verkomme, zu einem nerdigen Waldschrat, der keinen mehr in seine Wohnung lässt, sich verbarrikadiert und daran zugrunde geht.

Auch ihn konnte ich schnell überzeugen, einfach dadurch, dass ich ihm erklärte: wenn ich dann halt zum Waldschrat mutiere, was daran soll denn eigentlich falsch sein, wenn ich doch glücklich damit bin! Und ich verbarrikadiere mich ja nicht. Ich wähle aus. Das ist was anderes. Manches brauche ich einfach nicht mehr. Aber offen bleibe ich. Und zwar für fast alles.


Dann gab es den Artikel, den Rocko Schamoni im „Rolling Stone“ veröffentlichte, einer Zeitschrift, die ich jetzt nicht gerade der Jugendkultur zuordne, sondern eher den in die Jahre gekommen Musikliebhabern mit einem, äh, eher Mainstream-Geschmack.

Rocko kokettiert darin mit seinem Älterwerden, was ganz amüsant ist, der körperliche Verfall wird selbstironisch und ein bisschen bitter beschrieben, kein Resümee, nur: ist halt so, und viele Leser dieses Blattes werden es nickend bestätigen.

Ende Oktober war ich auf einer Lesung von Rocko, er hat ein Buch über Heino Jäger, den genialen Künstler, geschrieben. Das war großartig, und nach der Lesung, als wir, seine Kölner Freunde, auf der Suche nach einem Platz zum abhängen und saufen waren, letztendlich mit Alkohol vom Büdchen auf den Stufen seines Hotels landeten, erzählte er noch mehr von seinen Kontakten zu Zeitzeugen Heino Jägers und deren Geschichten.

Rocko ist ein brillanter Erzähler, soulful und sauwitzig, und diese Geschichten sind alle großartig, ich freue mich ja sowieso schon jedesmal wie ein Kind wenn ich in eine mir unbekannte oder wenig bekannte Welt entführt werde, ob durch Erzählungen wie hier von Rocko, oder auch durch offizielle Dokumentationen zum Beispiel in Mediatheken oder auf Youtube.

Klar, rutsche ich da auch gerne mal in die Vergangenheit, ich verehre zum Beispiel die Literatur und Kunst und das ganze Leben in den Zwanzigern. 1920er. Ich verschlinge da alles.

Aber ich drifte auch gerne in zeitgenössische Themen ab, kulturelle oder gesellschaftliche, finde das wahnsinnig interessant zu sehen was es da alles gibt, an Entwicklungen in der Architektur, and Design, an neuer Musik, an neuen Filmen, an Social-Media-Phänomenen.

Ich liebe die Jugend, vertraue auf deren Wege, immer weiter zu machen, immer mehr zu verändern, uns Alte zu verändern, unsere Wege zu verändern.

Ich hoffe, dass Rocko das auch so sieht, denn darüber sprachen wir gar nicht, und in seinem Text kam da auch nichts vor, ich hoffe einfach, weil ich ihn so sehr liebe, dass er vor lauter älter werden nicht nur noch an Retro interessiert ist.

Aber das kann ich nicht beurteilen, weil ich ihn dafür zu wenig sehe, und wenn dann nur in Ausnahmesituationen, nach Konzerten oder so, wo er noch aufgeputscht, glückselig und full of Love ist, was natürlich komplett alterslos und null retro ist. Ausserdem spricht sein politisches Engagement dafür, dass er sehr wohl einen Blick und auch Hoffnung für die Zukunft hat.

Retro ist toll und Horror in einem.

Vor Kurzem wurde ich zu einer WhatsApp Gruppe hinzugefügt, in der angefragt wurde, wer Lust habe regelmäßig ins (oldschool-) „Luxor“ tanzen zugehen, auf den dort anscheinend regelmäßig stattfindenden 80er-Jahre Parties. Wer kein Interesse habe, kann die Gruppe ja einfach wieder verlassen.

Was lieb gemeint war, sorry, liebe L., löste bei mir einen solchen Horror aus, dass ich nicht weiß, wie die da weiter geplant haben, wieviel Leute da Interesse anmeldeten, weil ich mich augenblicklich da ausklinkte.

Luxor, als Location, ist für mich sowieso inakzeptabel, aber das ist mein eigenes, von Arroganz geprägtes Problem.

Meine anderen Gründe schreien sehr wahrscheinlich auch vor Arroganz: denn 80er Musik finde ich so schrecklich, zumindest die, die für gewöhnlich dann genau auf solchen Parties läuft, die schon in den 80ern kaum auszuhalten war, so dass das ein oder andere Pet Shop Boys-Stück es auch nicht retten könnte. Disco, Funk und dergleichen habe ich so durch, das hab ich ja schon alles erlebt, es war herrlich, ja, aber das brauch ich jetzt nicht mehr.

Mal zufällig zwischendurch, ja, Nostalgie, auch schön. Aber bitte nicht in Dauerschleife.

Und zuguterletzt: mit mehreren mir größtenteils unbekannten Menschen, womöglich alle in meinem Alter, sich in geschlossenen Räumen zu anderen Wildfremden gesellen, was für eine irre Vorstellung!

Und das auch noch, ganz unabhängig vom Musikgenre oder der Location, in Coronazeiten und Inzidenzen, die noch nie so hoch waren wie jetzt.


Dann gab es jetzt am Wochenende im Plattenladen eines Technolabels ein köstliches Geburtstagsessen eines lieben Freundes, der seinen Fünfzigsten groß feierte.

An meterlangen Biertischen versammelten sich die Leute, darunter sämtliche Musiklegenden.

Wir alle waren selbstverständlich mindestens doppelt geimpft (ich habe ja schon meine dritte, die „Boosterimpfung“, längst hinter mir) und alle frisch getestet.

Soweit alles safe, trotzdem fühlte ich mich anfangs etwas unwohl, es waren mehr Leute da, als ich erwartet hatte.

Da ja immer noch ein Drittel unserer Heimbewohner diese dritte Impfung noch nicht erhalten haben, also sehr empfänglich für Ansteckungen sind, und sie auch nicht mehr so geschützt sind vor schweren Verläufen wie noch vor zwei Monaten, und wir alle ja den Virus trotz allem in uns tragen und eben weitergeben könnten.

Ich bin echt wieder genauso nervös wie vor einem Jahr, aus Angst, ich könnte diejenige sein, die den Kackvirus in unser Heim bringt, und Bewohner daraufhin sterben könnten.

Nur dass ich diesmal Gesellschaft nicht meide, wie letztes Jahr, sondern daran teilnehme.

Und nach etwas Rotwein wurde meine Angst immer weniger.

Alkohol, dieser Teufel. Man wird einfach risikobereiter, hemmungsloser, genauso wie früher, wenn man dann doch, wider besseren Wissens, ungeschützten Sex hatte.

Jedenfalls unterhielt ich mich hier und da mit den Veteranen, was ich gar nicht böse meine, sondern liebevoll, und es ja interessant ist, sich mit Gleichaltrigen mit der gleichen Sozialisation, der gleichen Hingabe zur Musik auszutauschen, wie sie das denn jetzt so individuell wahrnehmen, als mittlerweile 60jährige.

Der Hauptprotagonist mit dem ich mich unterhielt, meinte, dass sich rein gar nichts geändert habe, er mache, wie schon immer, das was er für richtig hält, was die anderen denken sei ihm weiterhin scheißegal, seine Kunst bringe er wie immer nach draußen.

Ob er denn auch, wie ich, von der durchs Alter gewonnenen Souveränität profitiere, ob er jetzt weniger Selbstzweifel habe, der Gedanke „Hilfe, eines Tages fliegt alles auf, ich werde als Hochstapler enttarnt“ gar nicht mehr oder nur noch selten zum Vorschein komme, antwortete er gelassen, dass er Selbstzweifel nie gehabt habe, selbstkritisch sei er manchmal, ja, da rief ein anderer Musiker unseres Alters dazwischen: „Davor braucht er eh keine Angst zu haben, denn er ist ja kein Hochstapler!“

Das ist wohl deren beider schon ewig vorhandenem Selbstbewusstsein zu schulden, und ist unabhängig vom Alter.

Da musste ich lachen. Ha, das gibt's natürlich auch.

Ich jedenfalls, ich profitiere von dieser Altersweisheit, oder wie man das nennen soll, dieser Ruhe in mir selbst, die „ich muss niemandem etwas beweisen“-Nummer, die in mir ruht, ein Druck, der mich doch früher sehr geplagt hat, und jetzt kaum noch vorhanden ist.

Aber selbst heute, obwohl ich keine Künstlerin bin, überfällt mich, ganz selten zwar, dennoch die Befürchtung, dass alles auffliegt, dass ich gar nicht so toll bin, wie ich immer tue, dass ich gar nicht so empathisch bin, wie ich glaube, ich meine Bewohner ja doch nicht retten kann, ihnen nicht aus ihrer akuten Krise helfe, dass ich am Ende doch nur ein armer eitler Tropf bin.

Was ja allein schon dieser Text beweist. Wie geil bin ich eigentlich. Oder besser: wie geil stelle ich mich denn jetzt schon wieder dar?


Als das Essen vorüber war, bildeten sich überall Grüppchen, die sich angeregt unterhielten, und weiter Alk in sich kippten, ich verlor etwas die Lust, am Alkohol und an den Unterhaltungen.

Aksel, extra aus Paris angereist, eine große Freude ihn wieder zu sehen, sollte mit dem Geburtstagskind abwechselnd im nahegelegenen Club auflegen, wohin die Geburtstagsgesellschaft dann irgendwann folgen sollte.

Als er schon um halb elf aufbrach, weil er den Anfang gestalten sollte, schloss ich mich ihm und seinem dänischen Freund spontan an, weil ich nach zwei Jahren mal wieder Clubluft schnuppern wollte, und dies eine großartige Gelegenheit bot, da der Club ja noch leer war, und er sich aufgrund der Zwei G+-Regeln (geimpft oder genesen und getestet) und deren Kontrolle beim Einlass nur langsam füllen würde.

Zuerst legte Aksel so lahmes Ambientzeug auf, ich saß mit seinem Kumpel hinter ihm auf einem Brett über einer Heizung, die wie wahnsinnig böllerte und uns den Atem raubte, und dachte, ohjeh, hoffentlich zieht er das jetzt nicht stundenlang durch.

jemand drehte die Heizung unter uns ab, Aksel schloss noch irgeneindein Effektgerät ans Mischpult, und ziemlich bald kamen die Beats und tolle, mir völlig unbekannte Stücke dazu, das brachte mich schon zum Mitgrooven, nach dem dritten Stück ging es nicht mehr anders, ich musste auf die Tanzfläche, wo der Sound auch nochmal um einiges besser und heftiger war, und begann zu tanzen. Sein Kumpel folgte mir und wir waren mit drei, vier Gästen die einzigen auf der Tanzfläche, und verfielen ab da in einen regelrechten Tanzmarathon, wir umarmten uns, zeigten uns durch Gesten und Mimiken wie toll das gerade hier ist, schon allein weil mein Englisch immer wieder abkackte, um mich flüssig zu unterhalten fehlten mir einfach andauernd die richtigen Worte, aber der Däne verstand mich, wir verstanden uns, wir liebten, was Aksel da zauberte.

Es füllte sich tröpfelnd und bald berührten mich schon andere TänzerInnen am Arm oder am Rücken, was mich zuerst zusammenschrecken ließ , aber durch das darauf folgende sanfte gegenseitige Anlächeln dann auch schon normal wurde.

Angenehm dieses Halbdunkel, indem man nicht so genau das Alter erkennt. Hoffe ich zumindest immer, denn das ist schon, zumindest am Anfang ein doofes Unsicherheitsgefühl, womöglich als zu alt für den Club von den anderen wahrgenommen zu werden. Aber sobald ich loslasse und mich in der Musik verliere, ist mir das auch schon wieder scheißegal, sollen sich mich doch für eine kauzige Alte halten.

Wir beide, der ebenfalls weißhaarige Däne und ich, tranken nur Sprudelwasser, und doch fühlten wir uns high, er sagte, dass die Musik sehr "druggy" wäre, auch wie Aksel sein Effektgerät einsetzte verstärkte wohl dieses unglaubliche Schweben und Fallenlassen in Bewegungen, was ich seit Jahren nicht mehr gemacht oder erlebt hatte. Also schon vor Corona nicht mehr, wenn ich denn mal ausging.

Es war herrlich. Unglaublich. Fantastisch.

Mein linkes Auge, das schon seit Monaten im Winkel entzündet ist und ich es gerade mal etwas geschafft hatte, dass es nicht ganz so nervt, triefte in einer Tour, vielleicht von der Klimaanlage oder was da die frische Luft reinpustete, ich konnte praktisch nur noch mit dem rechten Auge etwas erkennen, aber egal, meine Hüfte schmerzte nach einer Stunde, aber egal, mein rechtes Knie schrie um Hilfe, aber egal.

Nach ungefähr zwei Stunden trudelten dann die ersten Geburtstagsgäste ein, der Club war schon sehr gefüllt.

Tommy krähte ich direkt euphorisch entgegen, was ich für eine gute Zeit hier habe, und er beglückwünschte mich dazu, schimpfte mich aber auch umgehend aus, weil ich a) rauchte und b) Handyaufnahmen machte.

a) war am DJ-Pult erlaubt, und da stand ich halt gerade, und b) wusste ich nicht, dass Fotografieren verboten war, den anderen Gästen wurde offenbar die Kamera zugeklebt, und hat mich ehrlich gesagt auch nicht interessiert, ich schickte alle Aufnahmen zu Frank nach Hamburg, den ich virtuell schon beim Essen zu mir geholt hatte, weil ich mir anfangs ja noch etwas verloren vorkam, und dann wurde es zum Selbstläufer, er war halt dann bei mir und wir tauschten uns aus.

Als ich einmal vom Rauchen im Aussenbereich zurückkam, es war so ungefähr 2 Uhr, und da erst bemerkte, wie rappelvoll es jetzt schon im Club war, und es sich selbst neben dem DJ-Pult schon knubbelte, dachte ich, was mache ich hier eigentlich? Geht's noch?

Ich sammelte meine Klamotten und meine Tasche ein, bekräftigte mich innerlich, komm, du hast eh Schmerzen, sehen kannst du auch schon kaum noch was, das Beste hast du hier schon erlebt, jetzt sind alle anderen druff oder besoffen, es gibt sowieso keinen Platz mehr zum Tanzen, die ganzen jungen Leute, die zwar geimpft und so weiter sind, sind ja doch viel mehr unterwegs als zum Beispiel ich, und stellen eine wirkliche Gefahr dar, wie sie sich hier ansammeln und haltlos sind, das ist echt wahnsinnig gefährlich, was ich hier mache, nur weg hier.

Zuerst der Alkohol, der meine Bereitschaft in den Club zu gehen erhöhte, dann diese Musik, die mich so gefangen nahm und mich davon abhielt zu bemerken, dass es hier jetzt richtig voll geworden war.

Ich bereue nichts, muss ich gestehen. Weil es wirklich wunderbar war. Ich hoffe, es ist gut gegangen, lasse mich am Montag morgen sofort vor Dienstbeginn wieder testen.

Aber es zeigt mir auch, wie verführerisch und dadurch riskant so gesellschaftliche Ereignisse sind.

Und natürlich, der Tag danach: tot.

Die dringendsten Lebensmittel ließ ich mir von den Gorillas liefern, das Abendessen von Lieferando, ich war viel zu schwach, verließ nicht einen Moment meine Bude, muckelte mich ein, gab mich dem Bingen von „Love on the Spectrum“, einer Dating-Show auf Netflix, die mir Frank empfahl, in der Autisten nach dem richtigen Partner suchen, und die sehr respektvoll gemacht wurde, ausserordentlich rührend ist und zu Herzen geht, das ist jetzt genau das Richtige. Und auch schon wieder ein Blick in eine fremde Welt.


Heute, im Sette bei der Nachbesprechung der Party mit Tommy kamen wir auch auf eine Unterhaltung, die Sunia mit einem dieser Urgesteine während des Essens führte. Sie bezeichnete seine Ausführungen als Opa-Speech, weil er sowas in der Richtung sagte, dass es heute gar nicht mehr so richtig eine Feierkultur gäbe. Er würde ganz bestimmt keinen Technoclub mehr betreten. Es würde sich alles so vermischen, man würde sich auf die Zülpicherstrasse und die Ringe einigen (was ja der Kölner Ballermann ist), es gäbe eigentlich nur noch Kommerz, die Jugendkultur brächte nichts Eigenes oder Neues hervor undsoweiter undsoähnlich.

Schon gerieten Tommy und ich in ein Streitgespräch, weil ich die wenigen Zitate so verstand, als wäre die Endaussage „früher war alles besser“, was sich für mich tatsächlich auch nach Opa-Speech anhörte. Tommy wiederum erklärte mir, dass ich alles falsch verstanden habe, darum ginge es gar nicht, es gehe um den kulturellen Raum, der fast gar nicht mehr vorhanden sei, viele junge Freunde von ihm sagen ja dasselbe, es gäbe irgendwie keine Möglichkeiten mehr, und wie sehr sie es bedauern zum Beispiel nicht auf den Parties gewesen zu sein, die unter anderem Tommy früher veranstaltete.

Er, und auch das Urgestein, erklärte er mir, betrachteten es eher als eine soziologische Beobachtung.

Ich hatte einen anderen Blick, vielleicht einfach nur meinen emotionalen Blick dadrauf, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen.

Nämlich dass ich denke, dass es noch nie Raum für Jugendbewegungen gab, und verglich das mit unseren Anfängen Anfang der 90er, okay, wir waren da keine Jugendlichen mehr, aber wir veranstalteten eigene, anfangs illegale Parties auf irgendwelchen Geländen für diese neue Musik damals, House-Music, Underground und Subkultur.

Wir hatten uns den Raum einfach genommen, so wäre es schon immer gewesen, und nichts anderes täten die Jugendlichen heute auch, wir kriegen es nur nicht mehr so mit, weil wir uns ja auch in einer bestimmten Blase befinden.

Vor Corona durfte ich noch einen solchen Zweig kennenlernen, als mich mein lieber und viel jüngerer Kollege Malte mit auf illegale, streng geheime Raves nahm, deren genauen Ort man erst kurz vorher nur per Nachricht bekam, wenn man die richtigen Leute kannte.

Das war der Wahnsinn, was die da aufgestellt hatten! Und eine Energie! Ich hab die ganze Zeit beim tanzen nur schreien wollen. Oder auch die Techno-Parties im autonomen Zentrum auf der Luxemburgerstrasse, auf die wir gingen. Da war niemand, den ich nur im entferntesten kannte, und das will was heißen.

Da allein gab es also schon Leute, die sich kümmern, die etwas vorantreiben. Etwas eigenes.

Und auch meine Tochter Marie erzählte mir von solchen illegalen Events, die sich zwar während Corona innerhalb der eigenen Community nicht eins waren, wie umgehen mit den Lockdownbestimmungen, oder anderen Einschränkungen, wenn sie doch generell nichts von Verboten halten. Aber sie sind da! Es gibt sie. Die Jugend, die weitermacht.

Und ganz ehrlich, so was wie „Fridays for Future“ hat keine der letzten Jugendbewegungen auf die Beine gestellt.

Politisch, musikalisch oder überhaupt kulturell habe ich keinerlei Zweifel dass da was passiert, wenn ich auch nur selten was mitbekomme, halt dann, wenn es vielleicht schon ein wenig aus dem Untergrund heraus getreten ist. Und dann feiere ich das.

Manchmal bekomme ich aber auch etwas mit, während es passiert, zum Beispiel als der großartige junge Kölner Künstler Julius Vapiano sich seinen Raum über Facebook geholt hat, und mich mit seinen „Taste like Ashes“ - Texten umgehauen hat.

Seit Corona ist ja überall etwas die Pausetaste gedrückt worden, aber keine Stopptaste, kein Stillstand.

Es bleibt aufregend, und ich bin gespannt.





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