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Mittwoch, 29. September 2021

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 29. Sept. 2021
  • 14 Min. Lesezeit


Rate mal, wer sich gestern eine Thaimassage geleistet hat, und sich heute kaum bewegen kann vor lauter Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen.

Man sagt ja, eine gute Thaimassage ist wie ein gutes Chili, sie brennt zweimal.

Denn meine ursprüngliche Vorstellung von - ich tu mir mal was Gutes, und lass mich durch eine Massage verwöhnen, da mein Nacken so schmerzt - zersprang schon innerhalb der ersten 5 Minuten in tausend Scherben, denn die überaus zierliche, junge, schöne Frau malträtierte mich mit erstaunlichen Bärenkräften, benutzte ausser ihren Händen noch ihre Fäuste, Arme und Ellbogen, sprang auch auf die Liege, um mich wie auch immer zu bearbeiten, was mir also schon währenddessen Schmerzenstränen in die Augen trieb. Aber jetzt, ein Tag danach, nach einer schon durch beginnende Schmerzen anstrengenden Nacht, spüre ich alles nochmal so schlimm.

Sunia hatte mich schon vorgewarnt:

„Da wirst du morgen einen schönen Muskelkater haben!“

„Ach was, ich hab mich ja durch mein Yoga heute morgen schon etwas aufgewärmt!“

Haha.

Was macht man denn jetzt am besten? Soll ich direkt nochmal dahin, weil diese Muskelverspannungen gerade aktiv sind, und man kann dann durch erneutes Durchkneten und Draufdrücken wie durch Zauberhand alles weicher und entspannter machen?

Oder ist das Blödsinn, alles würde nur noch schlimmer?

Ich hab so gar keine Ahnung vom menschlichen Körper.

Ein Glück hab ich die Yoga-Lehrer-Ausbildung nicht gemacht.

Ich hätte so versagt.

Als guter Yogalehrer muss man ein reiner Mediziner sein, alles genau begreifen, was ich nicht im geringsten tue.

Alle zwei Jahre muss ich für meinen Job eine Erste-Hilfe Fortbildung machen, jedesmal ist alles wieder komplett erstaunlich und völlig neu für mich.

Meine Meisterin hingegen weiß einfach alles, gibt mir konkrete Anweisungen für veränderte Asanas, die entweder regenerieren oder meine sämtlichen Baustellen aussparen oder entlasten. Ich würde als Lehrerin schon allein bei einer Schülerin wie mir in hellste Verzweiflung geraten, und meine hochverehrte Meisterin hat sogar noch mehr so Opfer wie mich unter ihren Fittichen.


Das war aber längst nicht das Einzige, das an meinem vorletzten Urlaubstag schiefging.

Mit dem Gefühl: der Sommer ist definitiv vorbei, morgen wird es regnen, alles würde noch trostloser, nicht nur das Wetter, auch das Tageslicht, oder mein Licht...kam es am frühen Abend auch noch zu diesem blödsinnigen Streit mit Tommy beim Backgammon Spiel, das wir in letzter Zeit manchmal während unserer kurzen Sette-Aufenthalte spielten. Als ich ihn das wiederholte Mal darauf aufmerksam machte, dass er jetzt besser noch nicht aufgeben sollte, weil er sonst doppelt oder gar dreifach verlöre, weil er noch nicht alle seine Steine in seinem Feld hatte, oder sich sogar noch in meinem Feld befand, regte er sich plötzlich total auf, das wäre totaler Quatsch, das hätten wir noch nie so gemacht, ich könne nicht immer die Regeln ändern wie es mir passe, er hätte einfach nur ganz lieb mit mir spielen wollen, entweder man gewinnt oder verliert, das ergibt bei Sieg immer einen Punkt. Doppelt, dreifach, was für ein Blödsinn, man müsse sich nicht an die internationalen Backgammon Regeln halten, man könne einfach sagen, wir machen das so. So wie sie beim Kicken auch kurz festlegen ob ein „Abseits“ überhaupt geahndet werden soll, oder ob man mit einem Tennisball spiele oder winzige Tore nutze, selbst wenn die offiziellen Fussball-Regeln das nicht erlauben.

Schließlich hätten wir uns ja auch geeinigt, dass wir diesen Doppler-Würfel nicht nutzen, und er unterstrich diese Abmachung mit einer Geste:

„Guck, hier! Wir können den auch wegschmeißen! Spielt keine Rolle!“,

dabei tat er so als werfe er den Würfel auf den Bürgersteig.

"Dieser Scheißwürfel spielt ja auch bei uns keine Rolle, der ist nur bei Turnieren oder so interessant, der verändert ja nicht die Spielvorgehensweise. Aber es spielt durchaus eine Rolle, wie man die Felder zählt, in denen noch Steine liegen! Man spielt doch strategisch, und es stellt eine Taktik dar, ob man zum Beispiel den gegnerischen Stein solange wie möglich im eigenen Feld blockiert, oder ob man dafür sorgt, dass der Gegner nicht alle seine Steine heimbringen kann, damit es doppelt oder gar dreifach zählt. Sonst würde man ja einfach nur so würfeln und sehen wer zuerst seine Steine rausholt!"

"Ja, genau! Das reicht doch!"

"Nee, tut es nicht!"

Natürlich fiel mir spontan keine passende Analogie ein, wie seine ganzen Fussballbeispiele. Ausserdem belächelte er, wie immer, meinen Ausdruck „Strategie“, was ihn schon vorher, jedesmal wenn ich davon sprach, amüsierte, da er nicht an Strategie glaubt, sondern es für ein reines Glücksspiel hält. Nachdem er sich noch beschwerte, dass er noch nie so lange mit jemand über Spielregeln diskutiert hätte, es wäre unglaublich, wie ich da dran hänge, beendete er die ganze Sache mit:

„Man kann ja auch ohne "Konzept" spielen. Also sagen wir mal so, ich bin nicht interessiert an irgendwelchen Regeln, ich will es schlicht haben, möchte es so spielen, dass es nur um einen Punkt geht, egal wo man seine Steine noch stehen hat wenn man verloren hat. Alles andere ist einfach nicht wichtig.“

Ich war wirklich platt, und verstand nicht warum er sich da so sträubte diesen harmlosen Hinweis, diese simple Regel anzunehmen, er war ja vollkommen in Rage, und nicht ich hab da stundenlang drüber diskutiert, sondern er kam ja mit den tausend Fussballbeispielen und ließ mich kaum zu Wort kommen.

„Also gut, du siehst es so, und ich sehe es anders. Was jetzt? Was machen wir jetzt, Tommy?“

„Ganz einfach, wenn es mit diesen Regeln ist, dann möchte ich lieber gar nicht spielen. Wenn du es so spielen willst, mit diesen Regeln, dann musst du halt mit jemand anders spielen! Ich spiele dann lieber überhaupt nicht.“


Das erinnerte mich an einen ähnlichen Ausbruch von ihm vor Kurzem. Auch da war ich platt, wie uneinsichtig, wie scharf und streng er diskutierte, wie er mich persönlich angriff als ob ich da wunders was für einen Scheiß rede. Wir standen vor dem McDonalds am Rudolfplatz und es ging um die Heimfahrt in die Südstadt. Da er vor ein paar Tagen an einer bestimmten Stelle gestürzt war, schlug ich ihm eine Alternative vor, sodass wir da nicht mehr lang mussten, dieser Weg war sogar noch kürzer, sicherer und nur mit einer einzigen Ampelschaltung.

Er lehnte meinen Vorschlag sofort ab, und meinte:

„Diesen Weg gibt es nicht!“

"Doch, da vorne", ich zeigte mit dem Finger in die Richtung, "geht es lang, immer geradeaus."

„Du irrst dich!“

Auch da konnte ich ihm irgendwie nicht nahebringen, dass ich den Weg seit 40 Jahren fahre, und es sicher weiß. Er bestritt es einfach weiter.

Er googelte Straßen um mir zu beweisen, dass es diesen Weg nicht gibt, bzw. eine Strasse dann doch auf die bestimmte Stelle führe, die wir ja meiden wollten.

Mittlerweile hilflos vor dieser Flut an Fehlinformationen, bat ich ihn mir doch einfach zu vertrauen, das lehnte er ab, und schlug stattdessen einen Umweg vor, den ich nun gar nicht akzeptieren wollte. Warum sollten wir einen Scheiß-Umweg nehmen, nur weil er mir partout nicht glauben wollte?

Mir war seine Vehemenz und seine Aggression absolut unverständlich, sie verletzte mich.

Vielleicht war er ja noch etwas genervt, weil er eben auf mich warten musste, da ich vorher noch einen Hamburger geholt hatte, weil ich plötzlichen so einen Heißhunger darauf hatte.

„Dafür kommst du in die Hölle!“ sagte er, als ich ihn bat, bitte nur kurz bei McDonalds zu halten.

„Ja, ich weiß. Aber ich kann die letzte Dreiviertelstunde an nichts anderes mehr denken und habe so einen Hunger!“

Tommy hatte mich nämlich zu der Premiere eines wahnsinnig tollen Dokumentarfilms („Trans- I got Life“) eingeladen, zu dem ein gemeinsamer Freund die Musik gemacht hatte, und wir waren eigentlich noch ganz berührt von diesem Ereignis.

Ich hatte aber bis kurz vor Einlass arbeiten müssen und kaum was gegessen und nachdem der Film mit der anschließenden Diskussion mit allen Protagonisten und den Regisseurinnen vorbei war, mittlerweile hatten wir schon nach 23 Uhr, knurrte mir der Magen, und ich wusste dieser Höllenladen ist in der Nähe. Das war schon lieb von Tommy, dass ich da noch hindurfte. Aber dann verzögerte sich alles. Zuerst ging ich aus Versehen ins „Kentucky Fried Chicken“, und erst als ich in der Warteschlange endlich einen Blick auf die Karte über dem Tresen werfen konnte, fiel mir auf, dass ich hier falsch bin. Also wieder raus und in die Tür nebenan, zu McDonalds.

Dort geriet ich in ein ganz bizarres Szenario. Im Nachhinein glaube ich, dass alle Kunden auf irgendwelchen Drogen waren, Entscheidungsschwierigkeiten, Probleme mit Rabattgutscheinen, und überhaupt mit Lesen, und offensichtlich auch einige mit einem gewaltigen Nähe-Distanz-Problem. Der einzige Mensch hinter der Theke, der Bestellungen aufnahm, war mit allem überfordert, drehte sich immer wieder nach hinten und rief seinen Kollegen russische Anweisungen zu. So fasziniert ich von dieser Szene war, je länger sie sich hinzog, umso so unruhiger wurde ich, denn Tommy wartete ja draußen auf mich.

Draußen also mein eigentlich lieb gemeinter Vorschlag mit dieser coolen Abkürzung und dann seine zunehmende Aggression gegen mich.

Wie gesagt, vielleicht hatte ich seine Aversion allein schon damit provoziert, ihn so lange warten zu lassen. Aber die Unlogik und sein Widerstreben mir zu vertrauen, dann noch der Satz:

„Du willst ja doch nur wieder glänzen mit deinem tollen Weg, dass du es besser gewusst hast!“

ließ mich resignieren.

„Also gut, es hat offenbar keinen Zweck. Wenn du mir nicht glaubst. Dann aber bitte nicht den Umweg, ich will nur noch schnell nach Hause, dann fahren wir halt doch über die Hauptstrasse“

Er überlegte kurz.

„Der Klügere gibt nach. Also los, fahr vor, zeig mir deinen Weg!“


Wir fuhren den Weg, und Tommy vergrößerte dabei immer mehr den Abstand zwischen uns. Das war sehr ungewöhnlich, denn normalerweise drängelt er immer, überholt mich sogar manchmal, obwohl wir mal ausgemacht hatten, dass ich immer vorne fahre, wenn wir gemeinsam wohin fahren, weil er mir zu chaotisch, zu schnell und somit zu gefährlich fährt, er das jedesmal kopfschüttelnd verneint und mir im Gegenzug regelwidriges, anarchistisches Fahren unterstellt, weil ich manchmal (vorsichtig) auf Gehwegen fahre, oder nicht an (mir vertrauten) roten Ampeln anhalte. Das mache ich aber nur wenn ich weiß, dass es nicht gefährlich ist, wenn es uns Radfahrer nicht tangiert oder andere Leute nicht in Bedrängnis bringt. Mit diesem vielleicht nicht verkehrsregelkonformen, aber dennoch rücksichtsvollem Fahrstil fahre ich immerhin seit 50 Jahren unfallfrei. Bis auf den letzten blöden Sturz vor ein paar Monaten, bei dem ich eher einfach nur saudumm umgekippt bin, als ich im Stehen vom Bordstein rutschte. Ich rechne mit der Doofheit der anderen, und auch damit, dass sie mir die Vorfahrt nehmen, ich fahre stets defensiv, halte Abstand zu parkenden Autos (Vorsicht, die machen einfach die Tür auf!), halte vor Zebrastreifen, wenn Fußgänger da rüberwollen, fahre kein Zickzack zwischen Autos, zeige die Fahrtrichtung durch Ausstrecken meiner Arme an, reihe mich anständig in den Kreisverkehr und rase da nicht wie eine Irre rein, wie es die ganzen Lieferleute auf ihren Rädern oder die Radcowboys und Sportschlampen tun, die ich allesamt hasse und die unserem Ruf als anständige Fahrradfahrer extrem geschadet haben, und ich den verständlichen Hass auf sie auch noch andauernd zu spüren bekomme, indem mich Autofahrer bedrängen, abdrängen, beschimpfen.

Tommy hielt weiter den Abstand, selbst wenn ich abbremste oder sehr langsam fuhr, am Chlodwigplatz angekommen wartete ich dann auf ihn. Er fuhr an mir vorbei, schaute mich kurz an und wünschte mir beim Abbiegen noch eine gute Nacht. Ich rief ihm noch hinterher

„Gute Nacht! Danke für diesen schönen Filmabend!“

Weg war er.

Ich blieb verdattert da stehen, war verwundert, ging alles noch mal durch, was hab ich denn bloß wieder falsch gemacht?

Und jetzt, beim Backgammon, schon wieder diese für mich irrationale Abwehr, dieses Bestehen auf seiner Idee, seinem Willen.

Mir ist das zu anstrengend, ich verstehe es nicht aber beuge mich:

„Na schön, wenn du mich so erpresst, dann spielen wir halt so wie du willst weiter.“

Wir sind schließlich noch mitten im Spiel. Aber die Lust ist mir vergangen.

Erstens weil er ganz furchtbar argumentiert hat, und dabei böse, scharf und herablassend wurde, und es zweitens jetzt auch noch so dasteht, als hätte er die einzig wahre Lösung, und drittens weil das Spiel jetzt einen elementaren Reiz verloren hat.

Er lacht höhnisch.

„Nee, so nicht!“

„Was?“

„Ich erpresse dich doch nicht! Also echt! Du hast doch die freie Wahl, du kannst ja mit anderen so spielen, wie du willst. Ich möchte es halt einfach halten, schön spielen, einer gewinnt, einer verliert. Mehr nicht.“

Mir fehlen die Worte, schweige betreten einen Moment, bin völlig ratlos, dann schaue ich ihn an:

„Was willst du noch, Tommy? Wir machen es doch schon so wie du willst. Was noch?“

„Dass du jetzt nicht so gönnerhaft tust!“

Ich sage nichts und würfle. Einen 6er Pasch auch noch.

„Ich weiß zwar nicht ob du dran warst, aber na gut!“

Wir spielen das Spiel schweigend zuende, und noch eins hinterher, einmal erwähnt er noch ironisch „Oh, das wird doppelt gezählt!“ und gewinnt beide Male.


Es war so schön vorher, weil wir enormen Spaß an Beschimpfungen hatten, ich ihn mehrfach mit „Hurensohn“ anfauchte und fluchte was das Zeug hielt, er benannte die 5er Paschs nach mir, aber nachdem er einen Pasch nach dem anderen würfelte, und zwar in jeder Augenzahl, hießen sie alle nur noch „Tommys“. Wir verloren und gewannen ziemlich ausgewogen.

Meiner Vergesslichkeit ist es zu schulden, dass ich es nicht mehr auf die Reihe kriege, wieso das vorher nie zur Sprache kam. Es war so eine Selbstverständlichkeit für mich. Tommy fragte mich noch zwischen seinen aufgebrachten Plädoyers:

„Wie oft haben wir das gespielt, und das war nie Thema, hundertmal?“

Ich weiß es nicht.

Seitdem wir kürzlich angefangen hatten, stand es heute 3:3. Also 6 Spiele.

Davor hatten wir vor zwei Jahren das letzte mal gespielt, abends in unserem Griechenland-Urlaub. Da hat er aber so oft verloren, dass er bald keine Lust mehr hatte, weil ich mich so diebisch freute. Das waren bestimmt insgesamt auch nicht mehr als 10 Spiele gewesen.

Macht ungefähr 16 Spiele, kann es sein, dass es bis dahin einfach nie zu der Situation kam, dass ich ihn auf die Dopplung oder Verdreifachung hinweisen musste, weil seine Steine nie so gefährlich standen, oder haben wir wohl darüber gesprochen und er hat es vergessen, verdrängt, weil er so oft verärgert über meine Freude war?

Das Problem ist, im Zweifelsfall bin ja immer ich die Vergessliche, die Demente. Dafür bin ich schließlich bekannt. Auch wenn es sich im Nachhinein schon ein paarmal rausgestellt hat, dass ich nicht falsch lag.

Wie dem auch sei, das war jetzt alles egal, weil die Diskussion darüber ein Level erreicht hatte, das unerträglich war.

Ich spiele hin und wieder mit unserem lieben Bewohner Herrn H., wir spielen ungefähr gleich gut, und uns ist das Punktezählen klar, mit Britt habe ich in letzter Zeit auch schon paarmal gespielt, und für sie ist das auch selbstverständlich.

Ich fühlte mich unschuldig, dazu nicht ernst genommen und herablassend behandelt.

Dabei kann ich sogar noch nachvollziehen, was Tommy damit meint, wenn er das Spiel so downgraden will, und dass es doch in unserer Hand liegt, ob wir so oder so spielen, aber... es macht doch so gar keinen Sinn! Er warf mir in diesem Zusammenhang auch noch furchtbaren Ehrgeiz vor.

Das verletzt mich immer sehr, wenn er mich dann so persönlich attackiert.

Wie eben auch bei dieser Heimweg-Geschichte.

Allerdings finde ich „Ehrgeiz“ ist nicht der richtige Begriff. Das ist im Spiel etwas anderes, etwas teuflisches, meinetwegen eine Besessenheit, über die nur richtige Spielernaturen verfügen. Natürlich wollen alle Menschen gewinnen, ist ja klar. Verlieren will niemand, Spielmenschen können da auch recht manisch werden. Mein Vater hat jedesmal das Malefiz-Spiel vom Tisch gefegt, wenn meine Mutter gegen ihn gewann.

So schlimm ist es bei mir nicht, ich dreh nicht wirklich durch, wenn ich mal verliere, manchmal kann ich mich dann auch selber über mich lustig machen. Oder meine Verlierer-Position, die sich schon während eines Spiels abzeichnet, lustig oder dramatisch zelebrieren.

Ich liebe es einfach über alle Maßen zu spielen, bin geradezu süchtig, wenn man meine Handy-Geschicklichkeits-Spiele dazuzählt.

Ich habe nie Rücksicht auf meine kleinen Kinder genommen, wenn ich mit ihnen spielte, vereinfachte keine Regeln und ließ nie jemanden gewinnen, auch nicht wenn ich mit meinen dementen Bewohnern spiele, ich helfe ihnen schon mal, aber lasse niemanden absichtlich gewinnen. Früher war ich in einer Spielgruppe mit Freundinnen in denen wir regelmäßig das türkische Spiel Okey spielten, mit knallharten Regeln und um Geld. Das mit dem Geld wurde mir zum Verhängnis, ich stieg dann irgendwann aus. Ich liebe Spielhöllen, habe im „La Strada“ Pacman, Donkey Kong und Space Invader gespielt, nach der Schule in der „Bauernstube“ beim Flippern Rekorde gebrochen. Mit meiner Familie, also meinen Kindern, meinem Neffen und meiner Nichte machten wir regelmäßig (bis Covid kam) ausufernde Spieleabende. Ich liebe alle Arten von Spielen, Gesellschaftsspiele, neue und alte, Klassiker wie „Mühle“, „Schach“, selbst „Mensch ärgere dich nicht“, „Gobang“, "Scrabble", Kartenspiele, „Skat", Konsolenspiele, „Supermario“, Gameboy „Tetris“, ich kann gar nicht alles aufzählen, was ich je alles gespielt habe oder noch spiele. Backgammon spiele ich seit der Zeit als ich Anfang der 80er im Poppercafé Legrand jobbte und den Profis aus dem Rotlichtmillieu dabei zuschauen konnte wie sie um große Mengen Geld spielten.

Das alles spielte natürlich beim Disput mit Tommy keine Rolle, das kann höchstens erklären, warum mir diese Kack-Regel so selbstverständlich ist und weshalb ich jeden Reiz eines Spieles auskosten möchte und folglich Babyvarianten ablehne. Aber deswegen werde ich noch lange nicht persönlich!

Diese beiden Ereignisse mit Tommy, in denen er mich mit seinem sturem Widerstand erschreckte, er mich mit seiner Vehemenz und seinem aggressives Verhalten, das persönlich wurde, verletzte, lassen mich vermuten, dass da etwas anderes dahintersteckt.

Nämlich ein weiteres Spiel, ein Machtspiel, nur dass ich von diesem Spiel nichts ahnte während es ablief.

Irgendwas triggert ihn dermaßen, dass er dann so böse und persönlich wird.

Ich weiß, ich bin klugscheißerisch, darunter müssen auch oft meine Kollegen leiden, und das ist schon nervig und mag auch provozierend wirken Aber Tommy ist es ja auch, und das sind wir vor allem immer, da müsste er also täglich ausrasten. Doch wir nehmen es meistens mit Humor, die Rechthaberei des anderen, oder battlen wer noch einen draufsetzen kann.

Vielleicht nervt ihn meine Besserwisserei doch so sehr, sei sie noch so naiv und ohne Kalkül herausgepurzelt, wie bei dem Heimweg-Vorschlag oder bei der Backgammon-Regel, dass manchmal ein Tropfen genügt um das Fass zum überlaufen zu bringen.

Und der Tag war noch nicht zu Ende.

In dieser bedrückten Stimmung fuhr ich nach diesen beiden letzten stillen Spielen zu meiner nächsten Verabredung, mit Britt, ins „Daur Lang“, ein indonesisches Restaurant am Volksgarten, an dem ich oft vorbeifuhr aber noch nie da war. Vorher war dort ein gutbürgerliches Restaurant, da gingen Tommy und ich hin und wieder mal hin, schon allein wegen des bezaubernden Aussenbereichs.

Die Temperaturen sind ja mittlerweile vor allem abends enorm gefallen, aber in warmer Kleidung kann man sich noch draußen hinsetzen und das taten Britt und ich dann auch auf dieser wunderschönen Terrasse mit dem riesigen alten Baum und der Lichterkette, ließen aber später einen Heizstrahler über uns anwerfen, was nicht nur wärmte sondern alles nochmal in ein gemütliches oranges Licht tauchte.

Britt ist ja wieder mit ihrem Ex zusammen und sie sind sehr verliebt. Andauernd verreisen sie an schöne Orte in Italien oder in der Schweiz, und machen vorn dort aus „Homeoffice“. Es ist wirklich beneidenswert, was sie sich für schöne Zeiten machen, und wie gut sie offenbar zueinander passen. Eine wirkliche Happy-End Lovestory, so wie es aussieht.

Britt strahlt aus jeder Pore, da verblasst selbst die schmerzhafte Zahn-OP, die sie gerade hinter sich gebracht hat. Dazu fällt ihr das Nicht-Rauchen Gebot des Chirurgen so leicht, so dass sie jetzt seit einer Woche rauchfrei ist, und es ihr nicht das Geringste ausmacht!

Die Glückliche!

Das wünsche ich mir auch so brennend.

Stattdessen zünde ich mir eine Zigarette an.

Ich weiß auch nicht mehr wie es dazu kam, ich erzählte und erzählte, und auf einmal landete ich bei dem Moment, als vor vierzehn Jahren meine Mutter starb. Ich beschrieb, wie ich in ihrem Krankenhausbett halb auf ihr lag, ihre Hand in meiner, den Blick unverwandt auf ihre Halsschlagader, die so langsam pochte, dass ich jedesmal dachte, das war dann wohl der letzte Schlag jetzt, und dann kam nach einer Ewigkeit wieder einer.

Meine Geschwister, mein Vater, alle anwesend.

Zwei Stunden vorher war eine Pfarrerin da gewesen, die meine Mutter segnete, und uns bat loszulassen und es doch laut auszusprechen, dass sie gehen darf.

Nacheinander bückten wir uns zu unserer Mutter, die mit geschlossenen Augen völlig ausgezehrt von ihrer jahrelangen Krankheit so winzig und so fremd da lag und kaum noch atmete.

„Mama, du darfst gehen!“

Nur mein Vater weigerte sich,

„Nä, dat sag ich in keinem Fall! So nen Blödsinn!“

Und dann bricht mir die Stimme weg, als ich ihr von dem Moment, den Sekunden erzähle, als ich meinem verhassten Vater alles verzieh, was er je mir oder meiner Mutter angetan hat, als ich sah, wie er ihr zärtlich ins Ohr flüsterte:

„Ming Kätchje! Ming kleines Kätchje! Du darfst gehen!“

dabei fiel sein Gesicht in sich zusammen, wirklich, man konnte es sehen, er wurde grau und sah ganz elend aus. Ich weinte zitternd als ich das sah, und ich weinte jetzt beim Indonesier während ich das alles Britt erzähle und konnte es gar nicht mehr aufhalten.

Als alles raus geweint war und ich erzählte, dass Mamas Halsschlagader dann tatsächlich kurz nach Papas Flüstern aufhörte zu pochen, fragt Britt noch nach und ich erzähle ihr noch mehr von unseren Familienverhältnissen, Hintergründen, von den grausamen Misshandlungen unter denen ich als Kind leiden musste, von dem Familiengeheimnis, ich könnte ein Kuckucksei sein, von den Geschwisterrivalitäten, dem Hass meiner jüngeren Schwester auf mich, ich erzähle wie mein Vater zum Pflegefall wurde, wie sich alle gegen mich stellten, mir nichts zutrauten, sich aber mein Verhältnis zu ihm Tag für Tag besserte und ich ihn schlussendlich nach drei Jahren gegen den Willen meiner Schwestern nahezu entführte um ihn zu mir ins Pflegeheim zu holen, weil er zuhause unter der Betreuung der ekelhaften männlichen Pflegekraft beinahe verendet wäre. Ich erzählte, wie nahe wir uns seitdem kamen, wie ich erleben durfte, dass er mich schätzt, wie ich ihn belauschte als er mit einer Pflegerin stolz über mich sprach, wie er lachte, als ich ihn ausschimpfte, weil er tatsächlich mein biologischer Vater ist, ich hatte nämlich heimlich einen Vaterschaftstest ohne seine Einwilligung gemacht, ich schimpfte lachend, dass er sich und mir und uns allen viel Leid hätte ersparen können, wenn er dies nach meiner Geburt oder irgendwann später gemacht hätte. Oder wie ich ihn täglich im Krankenhaus besuchte, als er einmal wieder kurz vorm Tod war, und wie er..., da brach schon wieder meine Stimme weg, ich heulte erneut und zeigte Britt, wie mein Papa meine Hand nahm und sie küsste. Denn das hatte er noch nie getan, mich geküsst, oder umarmt, oder mir gesagt dass er mich liebt, oder irgendetwas anderes nettes.

Und wie schön das sei, wie glücklich ich sei, dass ich all das noch erleben durfte, bevor er stirbt.

Verheult und verrotzt ging dieser anstrengende Tag zuende, ich entschuldigte mich andauernd bei Britt, ich wüsste auch nicht was da gerade mit mir durchgegangen ist, aber sie fand das gar nicht schlimm, war verständnisvoll und lieb. Sie hatte mir auch noch eine selbstgemachte Weinbergpfirsisch-Marmelade (siehe Foto) mitgebracht, die sie mir zum Abschluss schenkte. Wenigstens etwas gutes noch.





1 commento


Thomas von Klettenberg
Thomas von Klettenberg
03 ott 2021

👍🏽❤️👍🏽❤️👍🏽

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