Donnerstag, 28. Oktober 2021
- Mai Buko
- 28. Okt. 2021
- 7 Min. Lesezeit
Nachdem ich mich wieder stundenlang, nein, tagelang von einem Thema zum nächsten katapultierte, von TikTok Phänomenen über "E-boys" bis zu amerikanischen Comedy-Bloggern, die alte US Trash TV-Formate kommentieren, über Youtube, Podcasts, Dokumentationen und Wikipedia-Einträgen, beschloss ich gestern nach dem letzten Thema, Impressionismus, angefangen mit dem Podcast des Städel Museums „Finding van Gogh“, in dem es um die Suche nach einem verschwundenem Gemälde ("Dr. Gachet") geht, um den Kunstmarkt im allgemeinen, und um die Lebensumstände des Malers, ich danach auf allen Kanälen in die Welt des Vincent van Gogh versank, um dann zu beschließen: ich werde meinen ersten Urlaubstag nutzen um in die echte Welt zu marschieren, naja, zumindest teilweise, um mir im Wallraf-Richartz Museum die aktuelle Ausstellung
„Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet“ anzuschauen.
Allein der Weg zum Museum, mit dem Fahrrad durch belebte Einkaufstrassen, ließ mein Herz ängstlich rasen, er konfrontierte mich so hart mit der realen Welt da draussen, voller wuselnder Menschen, die unkoordiniert vor mir kreuz und quer liefen, mich immer wieder zum Bremsen nötigten, obwohl ich mich eh schon vor lauter vorsichtiger Langsamkeit knapp an der Umkippgrenze befand.
Im Museum selber dann das totale Gegenteil, kaum ein Mensch, ausser den respekteinflößenden livrierten Angestellten, die mich mit ihrer dezenten und kultivierten Ausstrahlung neidisch auf ihren Job machten. Bei Begegnungen lächelten wir uns freundlich an, ah, noch ein verlorener Gast im Haus, dachten sie vielleicht, gleichzeitig spürte ich ihre Strenge, die mir unmissverständlich klarmachte, benimm dich, fass nichts an.
Einmal hielt ich mich länger in einem Raum auf, in dem gezeigt wurde, wie unterschiedlich die Strukturen bei unterschiedlichen Farbaufträgen sind, man wurde über eine Erklärtafel aufgefordert eine Gipsplatte zu berühren, die einen Ausschnitt des Gemäldes nebenan darstellte, man sollte über sie streichen um die Struktur und Richtung zu ertasten, was ich natürlich ausgiebig erledigte, und verfolgte dann ein Gespräch, das zwei Angestellte, die mich nicht sahen, ganz ungehemmt und lautstark führten. Der eine machte anscheinend jetzt Feierabend, und die Art wie sie sich ganz normal, ja fast vulgär unterhielten, auch noch in kölsch, zerstörte meine romantische Vorstellung von hochbegabten, detailverliebten, kunstbesessenen Feingeistern, gefangen in einem eher schlichten Beruf auf der Stelle.
Diese andächtige Stille in den Räumen und Sälen, empfand ich zuerst als herrlich, wenn dann mal andere Besucher aufkreuzten, flüsterten sie, was ich auch tat als mich plötzlich Tacky anrief, ein alter Schulfreund, mit dem ich in letzter Zeit wieder etwas Kontakt hatte.
Es war mir sogar etwas unangenehm, dass ich hier ans Telefon ging, es summte ja auch nur, ich hätte es ignorieren können, aber ich freute mich, als ich Tackys Namen auf dem Display sah, konnte nicht widerstehen, schaute mich um, kein Mensch weit und breit, trotzdem flüsterte ich und beendete das Gespräch schnell, als hätte ich etwas völlig Unangemessenes getan.
Als ob ich während eines Gottesdienstes telefoniert hätte.
bei diesem Gedanken war mir plötzlich klar, weshalb ich mich hier die ganze Zeit mit latentem Herzrasen durch die Räume begab, leicht zitternd manchen Gemälden näherte oder unsicher und kurzatmig in weiterem Abstand verschiedene Perspektiven einnahm:
die ganze Zeit hatte ich dieselbe irrationale Angst, die mich jedesmal beschleicht, wenn ich eine Kirche betrete.
Je größer die Kirche umso schlimmer. Im Kölner Dom, den ich weiß Gott wieviele Male besuchte, war es jedesmal kaum auszuhalten.
Diesem Thrill etwas ganz Hohem und Merkwürdigem ausgeliefert zu sein, versteckte Türen, geheime Gänge, gruselige Katakomben, goldene Särge, anstrengende Skulpturen und Gemälde, die bedeutungsvolle Stille, die Anwesenheit von unerklärlicher Macht, etwas Uraltem und irgendwie nicht Vergänglichem zu begegnen, ließ mich immer wieder ehrfürchtig erschaudern. Und diese Angst, beziehungsweise mich dieser Angst auszuliefern, zog mich schon seit Kindesbeinen an.
Ähnlich wie nachts über einen Friedhof zu spazieren.
Was ich allerdings nur einmal in meinem Leben gemacht habe, in der neunten Klasse mit Freundinnen und in Begleitung einer Mutter, die unsere pubertäre Lust auf so einen Nervenkitzel offenbar verstand, und uns deshalb in sicherer Entfernung folgte und sehr wahrscheinlich nur kontrollieren wollte, dass wir ja keinen Blödsinn machten. Ich erinnere mich aber nur noch daran, dass wir hauptsächlich kicherten. Was ja schon derbe respektlos war, in meiner damaligen Vorstellung.
In Kirchen würde ich nie kichern, glaube ich.
Obwohl, wenn ich in einer albernen Laune bin, so wie letzte Woche, als ich mit Anouk und ihrem Baby über den Südfriedhof spazierte, weil es so herbstlich schön dort war, und wir einigen ehemaligen Bewohnern unseres Heimes einen Besuch abstatten wollten, ich anfing fremde Friedhofsbesucher zu grüßen. Das kann man durchaus so machen, ist gar nicht mal so ungewöhnlich, aber ich sagte „Grüß Gott!“, was Anouk sofort nervös machte, was ja mein Anliegen war, sie kann man so herrlich schnell aus der Fassung bringen, was immer ein großer Spaß ist, unvergessen unser Einkauf in einem riesigen Kaufhaus, wir mussten ein paare Dinge für's Heim besorgen, sie, die kleine, zierliche, junge Frau, mit vor Scham hochrotem Kopf nur noch schnell da wieder rauswollte, weil ich, die alte grauhaarige Frau, immer so tat, als sei sie meine Mutter, ich sie andauernd ganz normal mit "Mama" ansprach und irgendeinen Scheiß fragte, was Kinder halt so fragen, und sich manche Käufer schon anfingen nach uns umzudrehen.
Wenn ich also in so einer albernen Stimmung aus irgendeinem Grund mit jemand, am besten wieder mit Anouk, in eine Kirche gehen würde, dann könnte es sein, dass ich sie wieder nervös machen möchte, und bei Erfolg natürlich kichern würde.
Ich hatte mir immer schon gewünscht diese blöde Angst in Kirchenzu überwinden, am besten durch ein besseres Kennenlernen, durch Gewöhnung an Souveränität gewinnen. Wenn man etwas durch und durch kennt, es alltäglich und vertraut wird, verliert man die Angst. So wie die Kellergewölbe des Stadtgartens, die ich zuerst gruselig fand, aber durch unzähliges Betreten, sei es bei meinen Jobs als Türsteherin fürs Tommys Clubnächte im Studio 672, oder meinen Backstageaufenthalten während anderer Veranstaltungen, komplett verlor. Oder der kleine alte Dorf-Friedhof auf dem meine Mutter liegt. Anfangs war es sehr aufregend, wenn ich sie besuchen ging und mich um die Grabpflege kümmerte, andauernd war ich auf alle Arten von Schrecken gefasst, zuckte regelmäßig zusammen, wenn ein Blatt vom Baum fiel oder ähnlich belanglose Dinge passierten, dann fing ich an mit ihr zu sprechen, leise zwar, aber bald riß ich auch Witzchen, "Hey, was macht der Wurm da? Ist der von dir?", zeigte ihr die neuen Pflanzen oder Blumen, immer schön bunt, ich kannte auch die Gräber nebenan, der ganze Weg durch die Gräber bis hin zu ihrem wurde mir sehr vertraut, nach einer Zeit fühlte es sich nur noch ein bisschen morbide an, und irgendwann war es soweit, ich hätte mich nachts auf oder neben das Grab meiner Mutter legen können, das sagte ich ihr auch.
Als ich vor ca. 20 Jahren am Brüsseler Platz neben St. Michael wohnte, entschied ich mich dem Chor beizutreten, der dort probte. Das war ganz praktisch, weil ich ja nur aus meinem Haus stolpern musste, um dorthin zu gehen, und weil ich gelernt hatte, dass gemeinsames Singen bei Depressionen hilft, weil es Endorphine ausschüttet, wollte ich mir was Gutes tun. Das mit den Glücksgefühlen beim Singen kann ich immer noch durch die Erfahrungen mit meiner Dementen-Singgruppe im Heim bestätigen.
Und andererseits wollte ich auch durch die Gewöhnung an die Kirche, das völlig normale Betreten der Empore usw., meine Angst vor dieser Kirche verlieren.
Beim Dom bin ich nämlich gescheitert, er ist einfach viel zu groß und gewaltig, ein paar Ecken kenne ich zwar ganz gut mittlerweile, aber im Großen und Ganzen laufe ich da immer noch zitternd umher.
Diese kleine Kirche namens St. Michael schien mir ein gutes Überwindungsprojekt.
Es lief auch ganz gut, zumindest konnte ich mich bald dem Altar ohne Atemnot nähern, sogar die ersten Stufen zu ihm hoch erklimmen, berühren des Altars hätte ich mich noch nicht gewagt, aber es kam dann leider zu einem öffentlichen Auftritt unseres Chores auf dem Brüsseler Platz, was ein Graus in jeder Hinsicht war. Ich hatte ja nicht nur Angst vor Kirchen, sondern vor tausend anderen Sachen, zum Beispiel davor von mehr als drei Augenpaaren angeschaut zu werden.
Obwohl ich Glück hatte, da ich mit meiner Stimmlage Alt nach hinten positioniert wurde, also kaum gesehen wurde, konnte ich aber genau sehen, wie sich einige meiner Freunde unter dem Publikum versammelten. Wir sangen furchtbares Zeug, Popsongs, auch aus „Sister Act“, okay, das ist schon peinlich genug, aber als ich sah, wie sich Meret vor Lachen kaum halten konnte, sich umdrehen musste und den Platz verließ, mir schlagartig klar wurde, das jeder Chor natürlich jede Möglichkeit eines Auftrittes wahrnehmen würde, und es nicht bei diesem einen bleiben würde, war meine Mitgliedschaft in diesem Chor zu Ende. Damit auch mein Nebenprojekt „Überwinde deine Angst vor Kirchen“
Im Museum gestern verspürte ich also die gleiche Angst, die mich seit jeher in Kirchen ritt.
Diese andächtige Ruhe, die teilweise voluminösen Bilder, das ganze Wertvolle, das Bedeutende dieser unterschiedlichsten Kunstwerke, der Respekt davor, das Gefühl von vielen Verstorbenen oder deren Lebensgeschichten umgeben zu sein, und letztendlich das Alleinsein, was dem Mittwochmittag und der Coronazeit geschuldet war, all das hatte ja auch was schwer Sakrales und machte dieses beklemmende Gefühl so intensiv für mich, wie ich es niemals vorher in einem Museum verspürt hatte.
Wie auch, normalerweise sind die ja immer gerammelt voll, da hab ich eher Angst vor lauter Menschen keine Luft mehr zu bekommen.
Okay, ich bin meistens tatsächlich ein wenig aufgeregt, wenn ich ein Museum betrete, mir ist immer ein wenig feierlich zumute, aber bei bestimmten Arbeiten wird mir so warm uns Herz, dass ich nicht die geringste Angst verspüre, sondern nur Liebe oder was auch immer für eine Art von Ergriffenheit. Nur bei den alten Meistern, da verspürte ich schon immer ein wenig Furcht.
Das lockte mich als Kind ins alte Wallraf-Richartz Museum, als es noch am Wallrafplatz beheimatet war und es das Museum Ludwig noch gar nicht gab. Ich schaute mir begeistert die alten Schinken an, Rembrandt, Dürer, Rubens undsoweiter, war begeistert wie toll die malen konnten, wollte auch so toll malen können, und hatte gleichzeitig Angst vor diesen Farben, den Motiven und der mächtigen Kraft, die sie ausstrahlten. Moderne Kunst interessierte mich da noch nicht. Nicht weil ich sie nicht verstand, die alte Kunst verstand ich ja auch nicht, ich verstehe bis heute meist nichts, lass mich nur von meinen Gefühlen leiten, und da kann jedes Zeitalter meine Seele erreichen. Bei meinem jetzigen Museumsbesuch waren es mal wieder die Impressionisten, die mich beruhigten. In die Seerosen von Monet hätte ich reinkrabbeln wollen.
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