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Donnerstag, 24. März 2022

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 24. März 2022
  • 12 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Apr. 2022

Es ist Montag, der 21.03.22, wir haben 6:18 Uhr, Tommy schickt mir eine SMS, dass er schon unten vor der Tür steht. Seit gestern 22 Uhr habe ich nichts mehr gegessen, jetzt nippe ich an einem Jasmintee, rauche eine Zigarette, muss ja nüchtern bleiben, um 7:30 Uhr muss ich in der Klinik sein, dann werde ich zügig operiert, ich bekomme heute rechts ein neues Hüftgelenk. Ganz hübsch eigentlich, aus rosa Keramik und Titan.


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Jahrelang hatte ich diese OP vor mir hergeschoben, weil ich Angst davor hatte, weil meine Schmerzen mal mehr aber eben auch oft mal weniger wurden, und so aushaltbar.

Aber die letzten beiden Monate konnte ich kaum noch schlafen, wusste nicht mehr wie ich mich legen sollte, alles schmerzte, keine 2 Stunden am Stück konnte ich schlafen, tagsüber humpelte ich wieder öfters. Und andauernd hört man von allen, die eine künstliche Hüfte haben, oder von denen, die einen kennen, die eine künstliche Hüfte haben, wie toll man sich danach fühlt, wie ein neues Leben beginnt, wie alle es bedauerten, es nicht längst schon viel früher gemacht zu haben.

Mit meiner langjährigen Freundin Pipi hatte ich mich im letzten Jahr hin und wieder getroffen und ihr dabei auch eine CD mit meinen Roentgenbildern mitgegeben. Für ihren Mann Marc, ein orthopädischer Chirurg, der in Neuss bei Düsseldorf eine Praxis hat, und im angegliederten Krankenhaus operiert, er soll da doch mal bitte drüberschauen, und seine Meinung dazu sagen. Beim letzten Treffen mit ihr erzählte mir Pipi, dass Marc sagte:

“Die muss sich auf jeden Fall operieren lassen, und zwar bald!“

Okay, durch die Verbindung mit Pipi, sie ist meine Wunsch- und Wahlschwester, hatte ich Vorschuss-Vertrauen zu Marc aufgebaut, und entschied mich, mich von ihm operieren zu lassen. Er untersuchte mich montags und bot an mich freitags zu operieren.

Das ging mir zu schnell, ich schob es noch zwei weitere Wochen hinaus.

Der 21. März sollte es sein. Vorher musste ich noch zweimal nach Neuss in die Klinik fahren, einmal zum Vorgespräch mit dem Anästhesisten, und einmal zu einem Fucking PCR-Test, den ich nicht in Köln machen durfte, weil das der Klinik zu unsicher war, zu oft wären die Ergebnisse nicht rechtzeitig da gewesen, und man hätte dann die OP verschieben müssen. Das mittlerweile die Laborsituation völlig entspannt ist, und man als ganz Normalsterblicher sein Ergebnis schon am selben Tag erhält, spielte keine Rolle. Das war deswegen so ärgerlich, weil ich jedesmal mindestens eine Stunde Fahrt hin und eine zurück rechnen musste, wenn mich jemand mit dem Auto fuhr. Wenn ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln dahin musste, brauchte ich mindestens anderthalb Stunden. Für den Kack PCR-Test, den ich dort Freitag Morgen um 9 Uhr machen sollte, begab ich mich also kurz nach 7 Uhr auf den Weg und brauchte zurück zweieinhalb Stunden, weil die Deutsche Bahn ein paar Probleme hatte. Danach musste ich noch arbeiten. Dieser Facharzt-Termin wurde mir nicht angerechnet, und weil ich nach diesem überaus anstrengenden Morgen nicht meine ganze Schicht schaffte, also früher ging, entstanden Fehlstunden, was mir aber auch egal war. Denn jetzt war ich nur noch auf Horror, ich zählte die Stunden bis zum Essverbot, bis zur OP und sorgte mich über meine Zigarettenabhängigkeit, die ich ja nicht mehr bedienen könnte, nach der OP, und wer weiß wie lange. Also keinerlei Trost in einer weit von Köln entfernten Klinik, niemand käme mich da kurz besuchen. Was mir aber sehr recht war. Wenn es mir nicht gut geht, möchte ich eigentlich niemand sehen.

Ich erinnere mich an Krankenhausaufenthalte, in denen es mir elend ging, ich Besuch bekam, und unter Druck stand den Gastgeber zu spielen, zu entertainern, dankbar zu sein. Das war ganz schlimm. Also kam die Entfernung zu Neuss, die sich im Vorfeld als negativ herausstellte zumindest in diesem Punkt wieder auf die Pluspunkte-Liste.

Es war superlieb von Tommy mich zu dieser nachtschlafenen Zeit dorthin zu bringen. Er hatte einen schicken BMW seines Car-Sharing Anbieters gemietet, 30 Euro kostete mich die Tour, aber Geld spielte ab dem Morgen eh keine Rolle mehr. Meine Nervosität konnte sich kaum noch steigern, eine Ungewissheit, nämlich ob ich tatsächlich ein Einzelzimmer, wie gewünscht, bekomme, oder ob ich doch mit zwei anderen Patienten ein Zimmer teilen muss, blieb bestehen, was zur megablöden inneren Unruhe führte. Das wäre mein Alptraum, ich kann es ja schon im echten Leben nicht ertragen, wenn einer mit in meinem Zimmer schläft. Es gibt nur ganz wenige Menschen, mit denen ich das kann. Das sind Marie, Josek, und Sunia.

Wenn ich mir vorstelle, wie ich mit meinem Reizdarm-Syndrom, meiner womöglichen Heulerei aufgrund der Schmerzen, zusammen mit fremden Leuten in einem engen Raum liege, die andauernd Besuch bekommen, laut telefonieren, oder nachts das Fenster geschlossen haben möchten, dann auch noch schnarchen oder selber jammern oder mir ihr Leben erzählen wollen, dann gruselt es mich, und ich fürchte, dann werde ich niemals gesund.

Aber es hat geklappt, Geld spielt, wie gesagt, jetzt keine Rolle mehr, 106,00 € pro Nacht privat zuzahlbar, natürlich gerne. Das wäre ein Großteil meines Urlaubs gewesen. Aber den opfere ich jetzt einfach mal.

Das Zimmer ist tatsächlich ganz entzückend. Erinnert null an ein Krankenhauszimmer, ist schlicht und elegant eingerichtet, mit Sesseln und Schreibtisch. Das Badezimmer und alles auf 5 Sterne Hotel Niveau.

Super, ich entspanne langsam. Nach zwei Stunden sind endlich meine aktuellen Blutergebnisse geklärt, sie hatten Bedenken, da ich Entzündungswerte aufwies, aber das habe ich ja oft, aber jetzt sind sie sich sicher, ja, sie operieren mich, ich bekomme endlich die Beruhigungsmittel und Blutgerinnungspillen, ziehe den OP-Kittel an (der weltweit anscheinend nur unter diesem einen Design, oder zumindest ähnlichem Design, geliefert wird) damit es bald losgehen kann.


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Holterdipolter werde ich über Flure und Aufzüge quer durchs Haus gefahren, mein Bett ist zu groß, passt nicht in den einen Aufzug, also zurück zu einem anderen. Es rumpelt und pumpelt, mir wird schwindelig, den Blick starr auf die Decke gerichtet, die Lichter und die gelochten Deckenplatten ziehen schnell über mir hinweg, Aufnahmen wie aus einem Film. Tausendmal gesehen, jetzt merkt man, wie schwindelig einem davon wird, wie hilflos und ohnmächtig man sich da fühlt, wie es eigentlich die Angst geradezu erhöht, vor dem was da jetzt kommt.

Komme in einen Raum mit mehreren brusthohen Trennwänden, also so ein Art offene Kabinen, in denen Patienten in ihren Betten auf ihre OP warten. Man sieht sich da nicht, aber man hat den Blick über die Trennwände auf den ganzen Raum, sieht andere Türen, die sich selbstständig mit Raumschiff-Enterprise Geräuschen öffnen und schließen, man hört von hinten fiese Sägegeräusche, Pfleger und Ärzte laufen in sterilen Klamotten vorbei.

Marc kommt in voller Montur und fragt wie es mir geht, er wirkt locker und souverän, schaut mich beruhigend an. „Es geht gleich los!“

Ein Typ kommt zu mir, setzt mir einen Zugang für die Infusionen. Schon im Ansatz merke ich, der hat sie nicht alle, macht bescheuerte Witze,

„Sie wollen doch hübsch aussehen mit der neuen Hüfte!“

Hä? Nein! Was hat hübsch denn damit zu tun? Und warum legst du den Zugang an mein Handgelenk neben den Knochen? Das tut ja jetzt schon weh!

Ich reagier einfach gar nicht auf sein tuntiges Beschwichtigungs-Gelaber.

Dann komm ich in den OP-Saal, der Anästhesist spricht mich an, der Doof, der mir den Zugang so schmerzhaft gelegt hat, schließt Infusionen an und stülpt mir überraschend eine Atemmaske über, ich erschrecke mich und wehre ihn ab, schlage seine Hand mit Maske weg, er: „Keine Angst, atmen Sie dreimal ein, das ist nur Sauerstoff“

Ich spüre die Infusion, die in meine linke Hand fließt.

„Meine Hand wird ganz kalt!“ sag ich noch.

Ungefähr anderthalb Stunden später öffne ich im Aufwachraum meine Augen, orientiere mich, aha, die OP ist vorbei, da vorne laufen Schwestern, sie gucken mich an, sprechen zu mir. Das wiederholt sich mehrmals, dann bleiben die Augen geöffnet, die Person neben mir wird weggeschoben, auf's Zimmer wahrscheinlich. Ich will auch. Aber.

Ich weine.

Eine Schwester kommt und fragt was los sei, ob ich denn noch so angsterfüllt sei, und deswegen weine, es wäre doch jetzt vorbei.

Ich antworte ihr, nein, weil ich so schreckliche Schmerzen habe.

Sie spritzt eine Ampulle in meinen Zugang. Auch das wiederholt sich mehrfach, es schmerzt wie Hölle, ich weine, frage aber dann

„Darf ich bitte nochmal etwas gegen die Schmerzen haben!“

„Ja, natürlich, sofort. Solange Sie hier bei uns sind, kriegen Sie soviel Sie wollen.“

Ungefähr alle Viertelstunde lass ich mir etwas gegen die Schmerzen geben. Nach circa 2 Stunden, glaub ich, werde ich auf mein Zimmer gefahren.

Ab jetzt verwischen sich meine Erinnerungen an den Klinikaufenthalt zunehmend. Ich bin schließlich komplett auf Schmerzmittel.

Am Tag nach der OP, also am Dienstag, bin ich mit den Nerven so runter, weil ich nicht rauchen gehen kann, mein Schmacht hat sich so potenziert, ich kann an nichts anderes mehr denken. Marie, mit der ich heulend am vormittag telefoniere, kommt mich dann am frühen Nachmittag besuchen, sie nimmt diesen irre langen Weg in Kauf, sie ist das Liebste was man sich nur vorstellen kann, das bringt mich dann auch schon wieder zum heulen.

Ein Rollstuhl wird gebracht, ich da rein verfrachtet, und Marie fährt mit mir raus, ich stecke mir sofort süchtig eine Kippe an, das Glücksgefühl, bzw. der Entspannungsmoment setzt nicht ein, ich heule schon wieder weil es soviel schöner ist, dass meine geliebte Tochter grad bei mir ist. Sie kam diesen weiten Weg damit ich mir diesen peinlichen Suchtwunsch erfüllen kann, damit es mir hoffentlich besser geht. Das ist so verständnisvoll, so unglaublich liebenswürdig von ihr, das ist das Schönste, was mir gerade passiert, und nicht diese stinkige Zigarette, die mir mal wieder zeigt, wie erbärmlich man als Suchtbolzen ist.

Am Nachmittag drehe ich durch. Eine Schwester „half“ mir grob auf eine Liege, damit ich geroengt werden kann, ich schreie auf vor Schmerzen, mein fassungsloser Blick trifft auf ihren verständnislosen.

Da schießen mir vor Wut die Tränen in die Augen, und ich erkläre ihr im vorwurfsvollem Ton:

“Das ist extrem schmerzhaft!“

„Ich weiß, ich arbeite hier seit Jahren.“

„Und warum sind Sie dann so? Warum vermitteln Sie mir dann, dass ich mich hier irgendwie anstelle?“

„Das tue ich nicht, tut mir leid, dass Sie das so sehen!“

Während der Aufnahmen rollen mir die Tränen übers Gesicht.

Als sie mir nach dem Roentgen aufhelfen will, rufe ich reflexartig:

„Nein!“

Sie hält die Hände hoch, als ob ich sie mit einer Pistole bedroht hätte, schaut mich wieder entgeistert an, und meint:

„Ich will Ihnen nur helfen!“

„Nein, danke, Sie haben mir eben weh getan. Ich schaff das schon.“

„Ich hab Ihnen nicht wehgetan, Sie haben sich fallen lassen!“

„Jaja, ich bin natürlich schuld, verstehe. Danke, nein.“

Mühselig drehe ich mich von der Liege langsam in den Stand und setze mich in den Rollstuhl.

Weiterhin Tränen in den Augen, vor Wut.


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Ich kenne solche Schwestern, arbeite schließlich in einem Altersheim. Menschen in pflegerischen Berufen sind nicht automatisch altruistische, liebevolle, und vor allem sensible Personen. Da sind halt alle Arten von Persönlichkeiten vertreten, und leider auch diese groben, empathielosen „Ich tue hier das, was gemacht werden muss, Zeit ist Geld, voran jetzt, zack zack“- Leute.

Jedenfalls bringt mich das alles um den Verstand, ich verlange nach mehr Schmerzmittel, Marc schaut irgendwann nach mir, bestimmt heule ich ihm was vor, ich erinnere mich kaum, bekomme jedenfalls dann Oxycodon.

Am nächsten Tag, Mittwoch, gehe ich am Nachmittag mal selbstständig runter eine rauchen. Auch hier schmeckt sie nicht sonderlich, und wieder kein Entspannungsgefühl. Nur ein Machtgefühl, weil ich es allein schaffte, mich hierhin zu bewegen um zu tun, was ich tun will. Ich darf ab heute auch alleine auf Toilette gehen. Die Bettpfanne ist seit gestern aus dem Spiel, das war vielleicht ekelhaft, in Begleitung durfte ich dann auf's Klo, das war schmerzhaft, das Laufen und das Setzen, und das abputzen gestaltete sich fast als unmöglich. Herrjeh. Was für ein Krüppel ich bin.

Mittlerweile bin ich auf Tilidin und weiterhin Novalgin umgestellt. Meine Kinder lachen sich kaputt, „Oxys“ und „Tillis“ sind gerade hoch im Kurs bei den Kids (also nicht bei meinen, eher allgemein), und ich bekomme sie umsonst.

Am Donnerstag gehe ich vormittags wieder runter um zu rauchen, und als ich merke, dass sie etwas besser schmeckt als gestern, da überlege ich.

Entweder rauche ich jetzt direkt noch zwei, drei Zigaretten, dann schmecken sie wieder, wie früher, und alles ist wie immer.

Oder, ich lass es jetzt einfach sein.

Ich war seit Jahren nicht mehr so nah dran, so kurz davor, ich nutze die Chance, und lass dies meine letzte Zigarette sein! Yeah!

Ich rauch sie nicht mal zu Ende, drücke sie im Aschenbecher aus und schleppe mich siegessicher wieder zurück auf mein Zimmer.

Am Nachmittag bekomme ich aus dem Nichts plötzlich keine Luft mehr, mein Herz rast, ein enger Gurt schnürt meinen Brustkorb ein, kalter Schweiß auf der Stirn.

Ich beobachte das ungefähr 15 Minuten, bis ich mir sicher bin, dass es jetzt doch lebensgefährlich ist, Komplikationen nach der OP, keine Seltenheit, Überanstrengung nach Physio und eigenständige Bewegungsversuche, Thrombose, wer weiß, sehr wahrscheinlich sterbe ich jetzt jeden Moment.

Ich drücke dann doch leicht panisch die Schwesternklingel.

Sie kommt ziemlich bald, ich erkläre ihr, was gerade los ist, sie geht schnell raus und kommt mit vollem Programm zurück, der fahrbare Blutdruckmesser- Apparat wird angelegt, ein weiterer Assistent misst meine Temperatur, kontrolliert am Finger Sättigung, ein Arzt kommt, fragt leicht genervt was los ist.

Schwester: „Sie hat Herzrasen und Atemnot.“

Arzt: „Werte?“

Schwester: „Alles normal.“

Arzt zu mir: „Was haben Sie heute gemacht? Sich überanstrengt?“

Ich: „Ich weiß nicht.“

Schwester: „Sie sagte, dass sie unter Depressionen leide, hatte früher Angstattacken.“

Ich: „Früher! Ich hab aktuell keine Depression. Und schon lange keine Angstattacken mehr.“

Arzt: “Was heißt lange? Heute morgen? Vor einer Woche? Vor einem Jahr?“

Ich: „Vor 10 Jahren?“ Bin selber nicht mehr ganz sicher, kommt mir ewig vor.

Arzt: „Und dann, was wurde gemacht?“

Ich: „Wenn der Notarzt kam, spritzte er mir Valium. Ansonsten hatte ich auch Tavor.“

Arzt zu Schwester: „Geben Sie ihr Tavor!“

Arzt zu mir: „Gute Besserung. Auf Wiedersehen!“

Alle verlassen mit den ganzen Instrumenten die Szene.

Ach du jeh, es war also tatsächlich eine Panikattacke.

Wie krass. Wieso das denn?

Naja, immer noch besser als wirklich in Lebensgefahr gewesen zu sein.

Die liebe Schwester kommt erneut, hat die Tavor dabei und eine Infusion, die sie mir durch meinen Zugang einflößen will.

Der tut seit Tagen höllisch weh, der Trottel hatte den ja an meine Handgelenk gelegt, genau an die Stelle, die geknickt wird, wenn man die Krücken festhält. Das erschwerte schon die ganze Zeit meine Versuche an den Krücken laufen zu lernen, andauernd piekste und drückte es, es brannte, tat halt weh. Meine Bitte den Zugang doch einfach zu ziehen, weil ich ja doch nichts mehr darüber bekomme (leider, denn ich hab ja weiterhin Probleme dicke Pillen zu schlucken, deshalb wurden die Ibuprofen-Monster schon gegen Diclofenac-Zäpfchen ausgetauscht, und für die Schmerzen bekam ich Novalgin-Tropfen) wurde bisher abgelehnt, man behalte den Zugang „für den Fall der Fälle...“

Okay, jetzt war dann halt ein Fall der Fälle, es wurde mir Flüssigkeit über die Infusion zugeführt.

Das brannte sofort. Immer wieder schaute ich auf mein Handgelenk, der Arm wurde zusehends dicker.

Ach was, ich bin bestimmt auf Tavor und fantasiere.

Aber es tut auch weh.

Komm, stell dich nicht so an.

Der Arm wird echt dicker, sieh doch mal hin, fass den anderen Arm an, zum Vergleich.

Nagut.

Nach 15 Minuten rufe ich erneut die Schwester, entschuldige mich gleich für den Aufwand, als sie wieder sehr schnell am Start ist, sie sieht sich den Arm an, „Ach du jeh!“, zieht sofort den Zugang raus, die Flüssigkeit hatte sich wirklich im Unterarm verteilt.


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War ja klar, die ewigen Bewegungen des Gelenks hatten das kleine Plastikteil gedrückt und verrutscht, was an sich ja schon schmerzhaft ist. Ich hasse den Doofmann, der mir das gelegt hat noch mehr. Ausserdem habe ich bis heute zwei Narben von dem verkackten Zugang.


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Man glaubt ja nicht, wie oft man das Gelenk bewegt, selbst wenn man sich nicht auf Krücken stützen muss. Man glaubt ja sowieso nicht, wie hilflos man ist, wenn man sich nicht anziehen kann, wenn man nichts transportieren kann, keine Tasse Kaffee, keine Zeitung, wenn man bestimmte Bewegungen einfach nicht ausführen kann oder darf.

Die Physiotherapeutin heißt wie ich, ist sehr nett, lobt mich über den grünen Klee.

Aber natürlich bin ich misstrauisch, das sagt sie nur, damit ich nicht heule.

Aber ich schaffe jetzt schon Treppen.

„Mit dem kranken Bein geht es bergab, mit dem gesunden bergauf“

Diesen Merkspruch, mit welchem Fuß man anfängt hoch oder runter zu gehen, schreib ich mir auf.

Denn ich stehe jedesmal wie ein Volltrottel vor der Treppe und weiß nicht mehr wie anfangen. Irgendwie fühlt es sich an, als müsste ich Tanzschritte lernen.

Das war ja auch noch nie was für mich. Tanzschule? No way! Ich kann mich nicht nach Anleitung bewegen, bzw. diese Anleitung auswendig lernen. Ich trete jedem auf die Füße. Kann mir ja eh nix merken. Nee, das ist nichts für mich.

Es müsste so sein wie manchmal bei Yoga. Da folge ich den Anweisungen meiner Meisterin auf's Wort, jede Mikrobewegung führe ich aus, und als ob sie es geahnt hätte, ach, natürlich ahnt sie alles, was man falsch oder noch nicht ganz richtig gemacht hat, und schiebt sofort ein „Den Bauch dabei einziehen“ „Steiß nach unten!“ oder „Atmen nicht vergessen“ hinterher. Aber so wie meine geliebte Meisterin in meinem Alltag nicht bei mir ist, mir morgens nicht zur Seite steht, wenn ich alleine ein paar Übungen machen könnte, könnte, weil ich es meistens dann doch sein lasse, oder wenn ich dann mal allein übe, sehr schnell damit fertig bin, weil mich niemand kontrolliert und verbessert.

Ich muss aber im Gegensatz zu Yoga alleine eine Strecke gehen können, und ich muss Treppen rauf und runter laufen können, sonst bin ich ja total gefangen. Also sag ich mir (bis heute) leise vor: „Kranker Fuß bergab, gesunder bergauf“

Abends kommt Marc vorbei, ich entschuldige mich für den Vorfall am Nachmittag, ich wüsste auch nicht, was da mit mir los gewesen sei, doch er ignoriert das komplett, oder ich hab vergessen, was er daraufhin sagte, denn da bin ich ja sehr wahrscheinlich noch voll auf Tavor und nicht ganz zurechnungsfähig. Ich weiß nur, dass er anbietet, dass ich morgen nach Hause könnte, wenn ich wollte.

Huch! Echt? Schaff ich das denn schon?

„Treppen kannst du, deine Werte sind in Ordnung. Warum nicht? Zuhause ist es doch schöner als im Krankenhaus, oder?“

Weiß nicht, hier ist es doch ganz hübsch, und alle helfen einem, ich bin doch allein zuhause, habe Angst, aber billiger ist es auf jeden Fall, jede Nacht, die ich nicht hier verbringe sind 106 euro weniger. Das sag ich natürlich alles nicht, sondern nicke zustimmend.

Alles klar, morgen, am Freitag vormittag, also nach Hause. Er schreibt mir noch einen Transportschein für eine Taxifahrt nach Köln aus.




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