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Sonntag, 27. Februar 2022

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 27. Feb. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Ich kann nichts dafür, ich bin so schlimm nah am Wasser gebaut, das ist fast peinlich.

Gerade heule ich, weil ich kurz die Sondersitzung des Bundestages anschaue, und es Standing Ovations für den Botschafter der Ukraine gibt, der auf der Ehrentribüne anwesend ist.


Jedesmal wenn es zu irgendeinem Akt von Solidarität kommt, hält mich nichts mehr.

Tränen sammeln sich, ich schluchze, Kloß im Hals.

Sei es auf Demos, wie letztens bei den Indern, sei es am vergangenen Donnerstag, an Weiberfastnacht, als die winzigen Kinder eines Kindergartens (unter 3 Jahren) mit ihren Erzieherinnen Hand in Hand durch den Garten unseres Heimes laufen und für unsere Bewohner Karnevalslieder singen, die (teilweise noch eingesperrt aufgrund von Quarantänemassnahmen) ergriffen an den Fenstern stehen, oder eben jetzt als ich mir auf YouTube diese Aufzeichnung ansehe, und alle Politiker aufstehen und den armen Botschafter, der sich nur noch gerührt ans Herz greift und sich in alle Richtungen verbeugt, zuklatschen.


Es ist zum Verzweifeln, der ganze Corona-Scheiß, der mittlerweile auch seit Wochen unser Haus heftig getroffen hat, es fast lahm legte, mit mehr als 12 infizierten Bewohnern (alle wieder wohlauf), aber in Quarantäne, und immer wieder so viele fehlende Mitarbeiter aufgrund von Krankheiten oder Quarantäne, dass unser System fast zusammenbrach, aber wir mit Einspringen, Urlaubs- und Frei-Abbrüchen der gesunden Mitarbeiter, und wann immer wir überhaupt noch jemand bekommen konnten: mit Hilfe von fremden Pflegern der Zeitarbeitsagenturen, es so gerade geschafft haben, die Bewohner vernünftig zu versorgen.

Wir vom sozialen Dienst springen täglich für die Hauswirtschaft ein, bereiten Frühstück, Mittag- oder Abendessen zu. Gruppenangebote sind im Moment nicht möglich, da wir die gesunden Bewohner nicht hausübergreifend vermischen wollen, alle sollen auf ihren Etagen bleiben, um weitere Infizierungen zu vermeiden. Wie die dementiell Erkrankten damit umgehen, kann man sich ja vorstellen. Vor allem die, die noch mobil sind, und „Hinlauftendenzen“ vorweisen, also andauernd auf Achse sind, Hauptsache raus hier, sind kaum zu besänftigen.


Karneval wurde teilweise wegen der Pandemie eh schon abgesagt, also keine Sitzungen oder Umzüge. Strassenkarneval, Kneipenfeiern usw, dürfen allerdings stattfinden, das Maskenverbot auf den Strassen ist für die jecken Tage aufgehoben, da greift man sich schon an den Kopf, aber nützt ja alles nix, und ich weiß nicht, wie ich eigentlich damit umgehen würde, wenn ich nicht in einem Altersheim arbeiten würde.

Würde ich feiern gehen?

Würde ich mich besaufen, rumknutschen, tanzen und laut singen bis ich heiser bin?

Keine Ahnung, aber so nerven mich alle Verkleideten, alle Karnevalshits die aus dicken Boxen aus jedem Kiosk, jeder Kneipe schallen, alles ruft Abscheu hervor, gleichzeitig fühle ich Milde, denke, ach, lass sie doch feiern, sie haben zwei Jahre Einschränkungen hinter sich, als würde mich das selbst ja gar nicht betreffen.


Und dann kommt an Weiberfastnacht morgens die Nachricht, dass Putin die Ukraine angreift.

Krieg.

Und die ganzen Nachrichten und Infos, die ich mir seitdem quasi nonstop reinziehe, verstärken meine Angst, verwirren mich immer mehr, meine Güte, was für Zusammenhänge, was für wirtschaftliche Konsequenzen die Sanktionen vom Rest der Welt auslösen werden, welche Rolle könnte eigentlich China spielen, die NATO, Waffenlieferungen, die Bundeswehr, SWIFT, Gas, Energie, Atombomben, 3. Weltkrieg, Selenskyj, ängstliche und weinende Flüchtlinge, Friedens-Demos überall, Brandenburger Tor und Facebook-Profile in ukrainisch-blau-gelb, Impfgegner gleich Putin-Anhänger, ein Fass ohne Boden, eine unberechenbare Situation, einzig und allein verantwortlich für diese Katastrophe, dieses unendliche Leid: ein verlogener, kaltherziger Irrer, dem man spätestens jetzt alles zutraut.


Selbst der asoziale Crackdealer aus dem Haus neben dem Sette kommt zugedröhnt an seine Haustür und grölt freudestrahlend wahrscheinlich so etwas wie „Hoch lebe Putin!“ in einer mir fremden slawischen Sprache als Tommy und ich gerade abseits von all dem Karnevals-Treiben und aktuellen Horror-Nachrichten entspannt unseren Sonntags-nach meinem Feierabend-Cappuccino trinken wollen.

Nur Achim weiß mal wieder von nix, kommt humpelnd und laut lachend auf uns zu und begrüßt mich überschwänglich mit „Mensch, Petra, da seid ihr ja auch wieder!“

Wenn er mich schon mit falschem Namen anspricht deutet es darauf hin, dass er auch schon wieder einiges gezwitschert, geraucht oder gesnifft hat. Wir versorgen ihn nicht nur mit Nestwärme und Geld, er bekommt auch mal wieder eine Maske zugesteckt.

Meine kleine Welt, alles wie immer.



Leider kann ich keine Videos mehr hier reinsetzen.

Daher:







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