Pet Shop Boys Konzert
- Mai Buko
- 2. Juli 2023
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Juli 2023
Meine Freundin Carina aus Berlin erzählte mir, dass, als sie kürzlich nach Frankfurt zu einem Konzert von The Cure fuhr, es für sie schon beim Betreten der Halle sehr erfreulich war, wie sich das alte Publikum, das natürlich in unserem Alter war, als so herrlich sympathisch herausstellte. Und das heißt schon was, weil Carina, genau wie ich, sich eher missmutig, zynisch und ablehnend gegenüber fremden Menschen verhält.
Deshalb freute ich mich auch schon auf ein noch tolleres Publikum, als ich am Samstag mit Töchterchen Marie mit der Strassenbahn zur Lanxess-Arena, zum einzigen Pet Shop Boys Konzert in Deutschland fuhr.
Ich wusste, dass Neil Tennant und Chris Lowe einen Tag zuvor einen unangekündigten Kurzbesuch im befreundeten Plattenladen Kompakt gemacht hatten, man kennt sich seit Jahrzehnten, man schätzt sich, sie ließen sich mit DJ Michael Mayer zusammen fotografieren und Freikarten für's Konzert sprangen auch noch dabei raus.
Also wird auch sicherlich gleich die halbe Kompakt Belegschaft hier irgendwo anzutreffen sein, was schon mal beruhigend ist. Sunia informierte mich, dass sie eine der Personen ist, die überraschend heute auf die Gästeliste kam. Die beiden Martins hatten zufällig auch noch zwei Plätze in der RTL Loge ergattern können. Glück gehabt, denn das Konzert war schon vor langer Zeit ausverkauft.
Als wir aus der Bahn steigen und gemeinsam mit anderen Konzertbesuchern zur Arena hochkraxeln, schaue ich betreten zu Marie, wie unangenehm, wie peinlich, meine Generation, bzw. meine Fan-Genossen, die sehen alle so tragisch langweilig, so unfassbar uncool aus.
Das sind also alles Hardcore Pet Shop Boys Fans?
Solche wie ich, oder Carina, oder Tommy, oder Michael Mayer, Wolfgang Voigt und die Kompakt-Posse und so weiter?
Das also sind richtig schlaue, gute und interessante Persönlichkeiten über 50, die nicht in den Achtzigern oder meinetwegen in den Neunzigern hängen geblieben sind, aber da schon die einzig richtigen Musiken hörten, die wichtigen und guten Bands verehrten, die sich weiterhin ganz entspannt mit Popkultur befassen, aktuelle Musik kennen und schätzen (oder gar produzieren), die der Jugend und ihren Bewegungen vertrauen, die sich geschmackvoll kleiden und sich über relevante Themen unterhalten, also wahnsinnig inspirierende, reflektierte und liebenswerte Menschen?
Hm. Hätte ich jetzt hier auf dem Bürgersteig nicht erkannt.
Vielleicht waren diese Leute hier liebenswert, nein, bestimmt waren sie es, aber es gab nicht eine Person, männlich oder weiblich, mit der ich mich hätte unterhalten wollen. Und schon gar nicht über Musik.
Ich kam mir plötzlich in meinem dezentem, plissierten Silber-Lamé Rock ein wenig overdressed vor und in Anbetracht des Publikums hier entwickelte ich die Angst, dass nachher nur diese „Go West“ Stücke gespielt werden, die ich ja nicht so doll mag, die aber gerne auf so Ü 40 Parties gespielt werden, oder im Radio unter „das Beste aus den Achtzigern“ laufen. Nagut, das trifft wahrscheinlich auch auf mein geliebtes „West End Girls“ zu.
Die nächste Angst krabbelt mir sehr real, schnell und heiß, den Rücken hoch, als ich feststellen muss, für welche Plätze mir meine Kinder die Karten gekauft hatten, nämlich für die gegenüber der Bühne, an der Wand gegenüber, ganz oben, unterm Dach, über uns nur noch zwei Reihen, die Ränge so steil, dass mir vor Höhenangst schwindelig wird, ich von meiner Tochter an der Hand geführt werden muss, mit nasskalter Stirn und starrem Blick auf den Boden, bis wir die Sitzplätze (3. und 4. neben dem Gang) erreichen. Das Sitzen erleichtert es auch nur minimal. Unfassbar, Adrenalinpegel auf Alarm.
Jedesmal wenn neue Leute in unserer Reihe auf ihre Plätze wollen, müssen wir natürlich aufstehen, mein Blick fällt dann unkontrolliert über die hell erleuchtete, steil abfallende Schlucht bis in den Innenraum, dabei wird mir jedesmal so flau, dass ich denke, jetzt ist es soweit, jetzt falle ich in Ohnmacht, kippe vornüber, auf die Menschen, die ich wie eine Lawine alle mit in den Tod reiße. Arme Marie, denke ich weiter, „was für ein verkacktes Geburtstagsgeschenk“, denkt sie doch bestimmt, das sie und ihr Bruder sich für mich, zu meinem diesjährigen 61. Geburtstag ausgedacht haben.
Aber natürlich war es das nicht, es war ein wunderbares Geschenk, denn meine Kinder wissen: ich liebe die Pet Shop Boys seit „West End Girls“ und im Laufe der Jahre haben sie und mein damaliger Mann mir Versionen von dem Stück gebastelt und umgetextet:
„Mama ist das beste Görl“, es ist also auch eine tiefe familiäre Verbundenheit, die neben meinen verzückten Jugenderinnerungen für diese Liebe zu dieser Band eine Rolle spielen.
Marie und ich hantieren abwechselnd an meinem mitgebrachten, echt schweren, klobigem Fernglas rum, aber das bringt's irgendwie nicht, ich verstaue es wieder, sie holt sich einen Gin-Tonic.
Die Spannung steigt, es gibt keine Vorgruppe, es läuft Musik vom Band, zb. der PNAU Remix von „Cold Heart“ von Dua Lipa und Elton John, das ich ja auch ganz doll mag.
Jedesmal wenn ein Musikstück ausläuft, klatscht und jubelt die Menge, in der Hoffnung, dass es jetzt losgeht. Irgendwann geht es tatsächlich los, der Sound wird etwas besser, das Licht geht aus, Lichtgedöns an der Bühne, ich erkenne nix, aber die Höhenangst ist weg, weil es so dunkel ist, ich keine Tiefe mehr erkennen kann, ich bekomme Gänsehaut, die ganze Halle tobt, auf der linken großen Leinwand neben der Mini-Bühne (also aus unserer Entfernung aus gesehen) erkennt man Neil Tennant und auf der rechten Chris Lowe. Chris Lowe, wie üblich, nochmal mehr versteckt hinter der kryptischen Kopfdeko, wie süß.
„Suburbia“ ist das erste Stück, und schon kommen mir die Tränen. Marie ist sichtlich erleichtert, dass es mir gut geht, mir gefällt. Die junge schöne Frau rechts neben mir, wahrscheinlich eine Influencerin, zumindest macht sie recht professionelle Selfies auf denen sie influencermäßig guckt und dabei die Bühne im Hintergrund zu sehen ist, lächelt mich an, sie ist anscheinend auch berührt, wir sind uns nah.
So reiht sich ein Hit an den nächsten, mal Lieblingslied, mal nööö, nicht meins, und na klar, bei „Go West“ stehen alle auf, alle Vorstadtmuttis und Altherrenfussballvereinskerle, sorry, und grooven frenetisch mit. Die bestuhlten Reihen vor der Bühne verlieren sich im Getümmel, da stehen und tanzen und singen nun ungebändigt die krassen Fans. Marie versteht eh nicht, wie es sein kann, dass der Innenraum bestuhlt ist, und postet auf BeReal „Alte Leute Konzert“.
Ich würde gerne etwas für Carina, die jetzt am liebsten hier mit mir dabei wäre, in meine Instagram Story posten, habe aber kein Netz. Filme aber trotzdem immer wieder zwischendurch, singe mit, seufze, das hört man später auch auf den völlig verwackelten Aufnahmen, da ich mich beim Tanzen mit einer Hand immer an der Rückenlehne festhalten muss, weil ich sonst fürchte die tiefe Schlucht hinab zu purzeln.
„My Heart Starts Missing A Beat“
Gänsehaut, als das Publikum bei „Domino Dancing“ alleine, ohne Neil, textsicher singt. Er kommentiert mit: „Wunderbar!“. Toll!
Marie holt sich einen zweiten Gin-Tonic. Ich trinke weiterhin nichts, aus Angst sonst womöglich auf's Klo zu müssen, und mich dann allein die steilen Hänge runter zu den Toiletten durchzukämpfen. Nö.
Erst nach 5 Stücken oder so sind andere Musiker und Musikerinnen auf der Bühne zu erkennen, werden erst gegen Ende von Neil Tennant vorgestellt.
Die Stimme von Neil Tennant ist so toll, so unverwechselbar. Seufz. So wie David Bowies Stimme unverwechselbar war. Beide Stimmen liebe ich so sehr, und sie sind so absolut alterslos (aber auch andere die mich seit meiner Jugend begleiten, wie beispielsweise die von Stevie Nicks, Green Gartside, Neil Young oder Chaka Khan) und gehen mir so dermassen zu Herzen, dass ich allein deswegen schon wieder heulen muss, als er „What Have I Done To Deserve This“ mit einer Sängerin aus seiner Tourband anstimmt.
Großartig!
So wie der Sound von Chris Lowe, der ist auch alterslos, wahnsinnig frisch, wirklich grandios. Es wirkt nicht ein einziges Mal peinlich, altbacken oder krampfhaft. Nur der Sound-Sound in der Arena ist nicht ganz so gut wie erhofft, es hätte etwas klarer, fetter und auch gerne noch etwas lauter sein dürfen, da war ich vom Deichkind Konzert hier drin, kurz vor Corona, Besseres gewohnt. Aber vielleicht liegt das auch einfach nur an meinem Standort, da oben unter'm muffigen Dach, bei Deichkind durfte ich mit in die Kompakt-Loge.
Die Visuals sind minimalistisch, sehr geometrisch, grafisch oder wie man das nennt, auf jeden Fall beeindruckend und unterstreichen dezent, eben nicht bombastisch und überzogen, die Musik.
Manchmal ziehen sich die Pet Shop Boys ein bisschen um, andere Hüte und Käppis, andere Mäntel, während Chris Lowe jedesmal wie Chris Lowe aussieht, erinnert mich Neil Tennant manchmal an jemand anders, mal an meinen Bruder, einmal an Hella von Sinnen, einmal an den KI Pabst.

Womöglich sind Neil Tennant und Chris Lowe tatsächlich die ältesten hier drin. Also mit nur wenigen Jahren Vorsprung. Unter die Visuals werden immer mal wieder alte Aufnahmen von den beiden gemischt, jung und hübsch waren sie.
Aber wer nicht, hier in der Arena?
Wir verblühten Schönheiten, wir Vorstadtmuttis, Fussballcracks, Technofreaks, Sozialarbeiterinnen und in den Medien Schaffende.
Als Zugabe kommt endlich „West End Girls“ und als letztes Stück „Being Boring“.
Die Tränen laufen ungeniert, das macht nichts.
Marie und die Influencerin (als Beispiel für junge Hipster) sind längst überzeugt:
Das hier ist richtig und wichtig.
Nostalgie ohne Folklore oder nostalgisch zu sein, einfach 40 Jahre feinste Popmusik mitten ins Herz.
Mai Buko is back! 🎉