Freitag, 7. Mai 2021
- Mai Buko
- 7. Mai 2021
- 13 Min. Lesezeit
Am Sonntag unternahm ich mit Britt eine wunderbare Fahrradtour entlang der Kölner Stadtgrenzen. Den Rhein hoch bis Weiß, dort mit der Krokolino-Fähre auf die Groov, von da den Rhein abwärts und über die Severinsbrücke wieder zurück.
Unglaublich wie ländlich es vor allem hinter Rodenkirchen wurde, Wiesen, Wälder, Felder, Kühe, Pferde, alles am Start.
Ursprünglich wollten wir nur nach Rodenkirchen um dort Minigolf zu spielen, mussten beide schon bei der Ankunft pinkeln, aber als wir sahen, dass die nur ein ekliges Dixieklo hatten, radelten wir erstmal noch ein Stückchen weiter und pinkelten im Wald. Britt war da ganz souverän, das mache sie immer so. Sie ist viel in der Natur, und pinkelt wohl dementsprechend häufig in die Wildnis, sie macht nämlich andauernd Ausflüge und dann auch noch tolle Fotos davon, das sehe ich auf Instagram.
Ich bin natürlich ziemlich aufgeregt, möchte beim Pinkeln nicht beglotzt werden in diesem doch eher lichten Wäldchen, denn andauend kommen Spaziergänger, Fahrradfahrer und Reiter vorbei. Aber Nostalgiegefühle hatten mich schon überredet, denn ich erinnerte mich sofort an früher, als wir andauernd irgendwohin pinkelten, und auch in der Stadt, wenn es nachts nicht anders ging, gingen wir fröhlich zwischen parkenden Autos in die Hocke. Das ging immer Zack Zack.
Doch jetzt merkte ich, dass ich nicht mal richtig in die Hocke gehen konnte, hatte ganz vergessen, dass meine Knie ja im Arsch waren. Das eine Knie war ein My beweglicher als das andere, so geriet ich in eine gefährliche Schieflage, mit einer Hand hielt ich mich sicherheitshalber an einem hängenden Ast fest, völlig darauf konzentriert mir nicht auf die Stiefel zu zielen. Vor lauter Anstrengung kam dann noch nicht mal so viel, als dass sich der Aufwand gelohnt hätte. Ich kann nämlich super einhalten. Stundenlang. Urin natürlich nur. Das Andere, wissen wir ja, ist da durchaus problematischer.
Also wieder zurück zum Minigolfplatz, Fahrräder abschließen, super, alles leer, kein Mensch auf dem Golfplatz, der ziemlich üselig aussieht, sehr wahrscheinlich haben die hier seit den Siebzigern nichts mehr unternommen, was mögliche Besucher vielleicht auch abschreckt, aber es ist ja auch Sonntagmittag, da sind die meisten bestimmt noch beim Sonntagsbraten, also Maske aufsetzen, Kleingeld suchen, und als wir am Eingangsbüdchen freudig zahlen wollen, sagt uns der Greis, der uns die ganze Zeit beobachtet hatte, dass sie wegen der neuen Corona-Massnahmen gestern schließen mussten. Mann, wie ärgerlich. Was soll denn hier passieren? An der frischen Luft mit Abstand. Und warum sitzt der Greis da bei geöffnetem Kiosk? Um Langnese Eis zu verkaufen? An wen?
Na gut, deshalb wurde es halt jetzt eine Fahrradtour.
Andauernd machte ich Fotos von den reizenden dörflichen und ungewohnt idyllischen Motiven, und daraus später eine Story für Instagram um meine tief empfundene Verzauberung zu teilen.
Ziemlich zu Beginn der Reise musste ich schon eine Immodium nehmen, weil klar war, dass ich den Tag sonst nicht ohne Katastrophen schaffe. Erstens hatten ja alle Gastronomiebetriebe zu, so dass ich notfalls kein Klo ansteuern konnte und zweitens wäre so eine Verrichtung im Wald mehr als unbequem und unschön, und drittens gab es ja nicht überall Wälder.
Aber wirklich überall war es interessant, manchmal stiegen wir vom Rad, bestaunten die Landschaft, die Häuschen die Tiere oder die weite Sicht über gelbe Blumenwiesen bis zum Horizont mit wahnsinnig viel Himmel und wechselnden Wolkenbildern.
Britt richtete vom Zaun aus einem Riesenpferd dessen Kopfbedeckung, denn es hatte irgendwie ein Ohr da drin verklemmt. Ich hätte nicht mal meinen Arm in Richtung Pferd bewegt, denn ich habe eine Heidenangst vor Pferden. Diese ganze Mädchen-Pferde-Liebe habe ich nie geteilt.
Leider aber alle meine Klassenkameradinnen. So kam ich nicht umhin einmal diesen Pubertätsquatsch mitzumachen, meine Freundinnen auf einen Pferdehof im Bergischen zu begleiten um dort nach ein paar kurzen Anweisungen auf einen Haflinger gepackt zu werden damit wir dann gemütlich ein wenig durch den Wald traben.
Als ich endlich drauf saß, auf diesem Gott sei Dank nicht ganz so riesenhaftgroßem Pferd, und die Zügel in die Hand nahm, erschreckte es sich aber und galoppierte auf der Stelle los. Womöglich roch es meine Angst und meine Unwissenheit, was ihm wohl wiederum Angst einflößte. Jedenfalls raste es schnaubend los, sprang über eine Hecke und steuerte auf den Wald zu, meine Freundinnen, starr vor Schock, checkten es nicht, aber dann kamen schon einige Reiter vom Hof hinter mir her. Im Wald peitschten mir schmerzhaft Äste ins Gesicht, denn das Pferdchen hielt sich nicht an freie Wege, und verlangsamte auch keineswegs sein Tempo.
Ich fiel und fiel nicht runter. Keine Ahnung wie ich das schaffte.
Aber irgendwann stoppte das Pferd abrupt vor einem Graben und ich flog über seinen Kopf hinweg in den Matsch. Ich wusste wirklich nicht wir mir geschah, hier stimmt die Redewendung eins zu eins, das doofe Pferd und die angerückten helfenden Reiter glotzen mich an, als wäre ich schuld.
Das war mein erstes und letztes Pferdeerlebnis.
Britt geht jedoch ab und zu mit einer befreundeten Pferdenärrin reiten und erzählt mir, dass sie letztens wirklich nur per Longe im Kreis geritten sei, und danach enormen Muskelkater hatte.
Und da kommt schon wieder ein Reiterpärchen auf ihren 5 Meter hohen Rossen vorbei.
Mir unbegreiflich, weshalb man diesen durchaus schönen und eleganten Tieren seinen Willen aufzwängt, anstatt sie schön in der Wildnis unter seinesgleichen herumtollen zu lassen. Oder meinetwegen hier in Weiß auf der Wiese lässt.
Ein Highlight war dann noch mit dieser kleinen putzigen Fähre nach Zündorf überzusetzen. Vom leichten Wellengang inspiriert waren wir uns einig, dass wir niemals eine Kreuzfahrt auf dem Schiff machen würden. Gefangen zu sein auf einem künstlich erschaffenen schwimmendem Dorf mit furchtbaren „Abwechslungen“ am Abend und schlimmen Passagieren, dazu genötigt zu werden unnötig zu konsumieren, ist für uns beide nichts.
Aber bei mir überwiegt natürlich hauptsächlich die Angst davor auf irgendeinem Schiff unterwegs zu sein. Ich kann ja nicht mal richtig schwimmen und kein Land sehen zu können, ist ein kaum auszuhaltender Paniktrigger.
Auch hier gibt es eine Erinnerung:
Als ich mit Anfang Zwanzig meine Ausbildung in einem Betrieb machte, der sich auf den Verkauf von Nachbauten sämtlicher Design-Klassiker spezialisiert hatte (aber auch die Originale günstiger besorgen konnte), mich das in eine neue Welt entführte, in die Welt der Möbel von Le Corbusier, Mies van der Rohe, Charles Eames und Eileen Gray, von Vitra, Cassina, Thonet und Alessi, was wirklich berauschend war, davon hatte ich vorher nichts geahnt, und ich es in Ordnung fand, diese wunderschönen Teile nachzubauen, damit es sich auch Normalsterbliche leisten können, lud uns der Boss des Imperiums mit mehreren Filialen in ganz Deutschland uns 5 Lehrlinge aus Köln, Berlin, Frankfurt, München und Stuttgart als Dank für unsere tolle Arbeit zu einem Segeltörn auf seine Yacht an die toskanische Küste in Italien ein, und auch um zwischendurch mal an Land zu gehen und die Produktionsstätten unserer Lieferstätten zu besichtigen. Ich hatte Tabletten gegen Seekrankheit dabei, weil ich naiv dachte, das könnte das größte Problem für mich werden. Aber tatsächlich beruhigten einen diese Pillen auch, was mir zugute kam, als wir gegen Ende unserer Reise zwischen noch nie von gehörten kleinen Inselchen in Seenot gerieten.
Als wir irgendwo auf dem Festland in einem kleinen Örtchen gerade mit dem Abendessen fertig waren, angeduselt noch irgendwo weiter saufen gehen wollten, obwohl wir mittlerweile auf dem Boot mit seinen beruhigend schwankenden Bewegungen besser zurechtkamen als an Land, wo wir anfingen uns selbst zu schaukeln, weil die statische Starrheit des festen Bodes unter den Füßen plötzlich so unnatürlich wirkte, ein Unwetter aufzog. Nur zur Sicherheit wollte der Chef vorher nochmal im Hafen nachschauen, ob mit dem Boot alles soweit klar ist. Doch es wurde immer stürmischer und als wir ankamen prallte das Boot ungeschützt, trotz der vielen Fender, durch den vom Sturm aufgepeitschten Wellengang immer heftiger gegen die Kaimauer und drohte komplett zu zerschellen. Es krachte und schon war ein riesiges Loch vorne am Bug. Wir sollten schnell an Bord, damit wir die Yacht dort wegbringen und versuchen wollten in Strandnähe das Unwetter auszuhalten.
In wenigen Minuten waren wir machtlos dem Aufruhr der Elemente ausgeliefert.
In Schwimmwesten an Maste und andere feste Gerätschaften geklammert und festgebunden, verharrten wir eine Nacht in diesem sagenhaften Sturm, ohne Geschrei, ohne Panik, eine Ruhe herrschte da, vor Kraftlosigkeit und aber auch weil uns allen klar war, dass unser letztes Stündlein geschlagen hatte. Diese Ruhe, die werde ich nie vergessen, weil sie einem das Sterben so angenehm gemacht hatte, das Leben so belanglos erscheinen ließ und die eigene Wichtigkeit so profan, ich war nicht mal traurig, dass ich jetzt sterben musste.
Dabei war es ausserhalb unserer inneren Wahrnehmung ohrenbetäubend laut, das war ein wahnsinniger Orkan, es war kalt und nass, Donner und Blitze, es ruckelte und schepperte ununterbrochen, Zeug flog rum und weg, das ganze Endzeit-Programm, wir schleuderten mit dieser Yacht wie das sogenannte Nußschälchen auf den sich manchmal über uns brechenden Wellen. Jeden Moment würden wir umkippen, jeden Moment würden wir von Bord gespült. Ich sah nicht zu den anderen, denen es ja genauso ging, still und in sich gekehrt.
Bei Sonnenaufgang wurde es wieder ruhig, wir hatten alle überlebt, niemand war über Bord gegangen. Es gab zwar einige Schäden, das große Segel war zerfetzt, der Motor kaputt, und ein paar Löcher am Bug noch vom Hafen, aber uns war nichts geschehen.
Wir waren abgetrieben und kein Land war zu sehen, nur ein kleines Segel funktionierte noch, so dass wir nur langsam voran kamen und irgendwann eine winzige Insel auftauchte, und als wir anlegten bekreuzigten sich die Bewohner, dass jemand das Unwetter auf See überlebt hatte, war ein Wunder.
Hier auf der kleinen Fähre auf dem Rhein, auf dem ich mir jedesmal vormache, wenn ich denn mal eine kleine Bootstour unternehme, sollten wir jetzt kentern, würde ich es bestimmt noch mit meinen rudimentären Schwimmkünsten ans Ufer schaffen. Was sehr wahrscheinlich aber mittlerweile nicht mehr klappen würde, da ich mich vor lauter Arthrose ja kaum an Land fortbewegen kann, wie soll das dann erst bei diesen gefährlichen Strömungen, tonnenschweren vollgesogenen Klamotten, Hyperventilation usw. vonstattengehen?
Auf Krokolino und mit Britt an der Seite fühle ich mich jedoch sicher und es dauert eh nur 3 Minuten, da legen wir schon wieder an und schieben unsere Räder über den Steg.
Am Montag habe ich immer noch Bauchweh, die setzten gestern beim sonntäglichen Ausflug schon ein, weil ich ja die Immodium akut genommen hatte. Ist ja klar, da kämpften zwei gewaltige Mächte in mir, einerseits die lähmende Kraft des Opioids, und andererseits meine widerborstigen sich brutal wehrenden Bakterien.
„Halt, Stopp, hier kommt keiner mehr durch! Immer mit der Ruhe!“ - “Halt die Fresse! Platz da, lass uns raus, Freiheit!“
Morgens noch, ich hatte dienstfrei, zuerst kurz Meret in ihrem Vorgarten besucht, und anschließend schnell zu Sunia, ein weiteres Käffchen trinken und plaudern.
Auf dem Rückweg schrei ich schon bei jeder Erschütterung des Sattels, wenn ich über eine Unebenheit fahre, laut auf. Am Abend dann Fieber und solche Schmerzen, dass ich mich nicht mehr bewegen und nur noch gekrümmt im Bett liegen kann. Dienstag früh rufe ich in meiner Arztpraxis an, bitte um Rückruf meines Arztes, da ich nicht persönlich kommen kann, weil ich vor Schmerzen gelähmt bin. Als er anruft, erkläre ich ihm die Situation, die kennen wir beide nur zu gut, das kann nur wieder mal eine Entzündung sein. Divertikulitis. Habe ich manchmal.
Marie, die mittlerweile zu mir gekommen war um sich um mich zu kümmern, hatte mir eine ungebrauchte Packung eines 3 Tage-Antibiotikums mitgebracht. Die soll ich aber nicht nehmen, sagt der Doktor, sondern eine Antibiose, zwei verschiedene Antibiotika, die er mir jetzt verschreibt, und Marie das Rezept holen soll, aber wenn es mir schlechter gehen sollte, dann schleunigst ab ins Krankenhaus, denn das ist nicht ungefährlich. Ansonsten komme ich sobald es mir möglich ist, damit er mich noch untersucht.
Herrjeh, das nun wieder.
Die Hardcore Tabletten, die ich beide dreimal täglich einnehmen muss (und das bei meiner Psycho-Unfähigkeit Tabletten zu schlucken) aber dafür zuhause bleiben kann oder lieber im Krankenhaus das Zeug bequem per Infusion bekommen, was ich auch gut kenne. Ich kann mich nicht entscheiden was schlimmer ist, beschließe dann erstmal es zuhause zu versuchen. Für die Tabletteneinnahme habe ich mir jetzt auch einen Trick erarbeitet mit dem ich die Karwenzmänner runterkriege: eine Pille mit Apfelsaft in den Mund, Kopf in den Nacken legen, Mund öffnen, bis der Schluckreflex einsetzt, und ab das Teil.
Von lieb gemeinten Tipps wie ich die Pillen einnehmen könnte (in Banane/Yoghurt verstecken, pulverisieren, usw.) bitte ich abzusehen. Hab alles durch, funktioniert nicht.
Gestern morgen ist mir eine Pille im Hals stecken geblieben, ihr bitterer Geschmack und das knubbelige Gefühl im Rachen ließen sie mich fast wieder auskotzen. Ich kämpfte würgend und röchelnd, es ist noch mal gut gegangen.
Überhaupt, es geht mir heute am Freitag schon viel besser. Fieber habe ich auch keins mehr.
Am Anfang meines Leids rief mich Tommy an, als ich begann zu erklären, wie schlecht es mir geht, dass ich mich echt kaum bewegen kann, jeder Weg zur Toilette eine schmerzhafte Tortur ist, unterbricht er mich und meint:
„Schon gut, mach dir keinen Druck, ich rechne vor Sonntag nicht mit dir.“
Gemeint waren unsere Sette-Cappuccino-Meetings.
„Nee, ist klar, ich meinte nur, weil ich deswegen nicht einkaufen gehen kann, wollte ich dich fragen, ob du mir morgen eventuell ein paar Dinge besorgen kannst. Ich habe zum Beispiel kein Toastbrot mehr.“
„Ja, klar, melde dich!“
Ich entdecke aber auf ein Neues wie toll Lieferservices sind, und wie unabhängig man dadurch bleibt. Lebensmittel lasse ich mir von den Gorrillas bringen, eine längliche Wärmflasche und einen Drehverschlussöffner (jetzt krieg ich nicht mal mehr die Wasserflaschen auf) von Amazon, und einen neuen Fernseher liefert mir Mediamarkt.
Weil ich so ohne Ende Zeit im Bett verbringe, mich aufs Lesen leider nicht konzentrieren kann, ich also angefangen habe zur Ablenkung in meinen Wachphasen wieder richtiges TV zu gucken, („Goldjungs“, jetzt in der ARD Mediathek, kleiner Tipp am Rande) bemerke ich wie sehr der blöde Kasten nervt, der auch schon nur ein altes Erbstück ist, das ich seit Jahren auftrage.
Ein Smart TV muss her, mit allem Pipapo! David kennt sich da aus, er recherchiert für mich von Zypern aus und findet diesen Apparat für 199 Euro, den ich in der Nacht noch bestelle und der 2 Tage später neben meinem Bett steht. Puh, mit seinen 32 Zoll ist er doch verdammt groß. Meine Güte, ich muss bis an den äußeren Rand des Bettes rutschen, damit ich nicht von diesem Riesenbild erschlagen werde. Und David wollte, dass ich einen noch größeren bestelle, der sei doch viel zu klein.
Nach dem umständlichen Programmieren und nervigem Passwörter eingeben habe ich nun 349 Kanäle und direkten Zugang zu Netflix, YouTube und Amazon prime . Uff.
Aber die tausend Fernsehkanäle sind erstmal interessanter.
Auf einem Sender bleibe ich hängen: HGTV. Haus und Garten TV.
Ich schaue bis tief in die Nacht eine Sendung nach der anderen, in denen die ganze Zeit abgerissen, saniert und renoviert wird. Ich bin so gefangen in diesem Thema, dass ich noch vorm Einschlafen beschließe meine Wohnung zu renovieren.
Heute morgen messe ich von Bauchweh gekrümmt die Stellen aus, die ich mit bis an die Decke gehenden Wandschränken bestücken will, fertige massstabsgerechte Zeichnungen an, recherchiere Materialien und deren Kosten und habe jetzt für drei Projekte, die mein Leben vereinfachen würden, den perfekten Plan. Dazu extrem preiswert und easy. Ich könnte es glatt selbst machen, wenn ich ein Auto, passendes Werkzeug, Kraft und Zeit hätte.
Mittags sind meine euphorischen Pläne wegen Unumsetzbarkeit aufgrund von fehlendem Personal zu resignierten traurigen Gedankengängen verkommen.
Selber kenne ich keinen einzigen Menschen, der handwerklich zu so was fähig ist, oder wenn, dann hätte dieser jemand keine Lust oder Zeit das für mich zu tun. Was verständlich ist.
Und Bekannte von Freunden, die dafür eh bekannt sind solche Tätigkeiten zu übernehmen, sind aufgrund von Coronazeiten (jeder nutzt den Stillstand für Renovierungen, Ausbauten und dergleichen) mindestens bis Herbst ausgebucht, wie ich bei meinen hysterischen Nachfragen erfahre.
Wo sind die Kraftmeier-Studenten, die sich nichts mehr in Bars und Restaurants dazu verdienen können, wo sind die Jungs und Mädchen, die etwas Geld gebrauchen könnten, die gierig auf etwas Arbeit sind? Nichtsnutze. Mannomann.
Tommy ruft am Nachmittag wieder mal an, er ist fertig mit den Nerven. Er hatte am Montag seinen neuen Job (eine halbe Stelle im Kulturmanagementbereich) begonnen, der natürlich online bewältigt werden muss, und die Einarbeitung stellt sich als große Herausforderung dar. Dazu macht er noch einmal wöchentlich nachmittags eine Fortbildung per Zoom über Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen, und die Video-Konferenzen mit seinem Fussballverein bleiben weiterhin anstrengend. Aber was ihn nun richtig killt sind seine Computerprobleme, nichts klappt, zu wenig Speicherplatz, Passwörter werden nicht akzeptiert, Markierungen nicht gesetzt, der ganze Nervkram halt, den Computer so auffahren können, wenn sie einen in den Wahnsinn treiben wollen.
Jetzt legt er sofort los, jammert ohne Unterbrechung. Ich versuche zwischendurch zu trösten, zu relativieren, das wird schon, das braucht Zeit, aber er leidet, und das ist nicht zu ändern.
"Ich will nicht mehr. Ich weiß nicht was ich jetzt tun soll!"
"Tu dir was Gutes. Geh raus und hol dir ein Törtchen bei Pottwal!"
"Pottkind heißen die. Und dann? Dann sitz ich da alleine. Du bist nicht da und Paolo arbeitet eh nur noch in der Sette-Filiale am Chlodwigplatz, da kann man sich ja nirgends hinsetzen. Grausam ist das da am Chlodwigplatz, das hält doch keiner aus."
Ich weiß dann auch nicht mehr weiter, bin eh noch erschöpft vom letzten Klogang und muss mich wieder hinlegen.
Schaue mir in der arte Mediathek zuerst die David Bowie Doku an, und dann mehrere Fashion Dokus, wie "Catwalk-Scandals". Anschließend noch wahnsinnig interessante Beiträge über nachhaltige Architektur und Design, vor allem die Folge "Design ist niemals unschuldig" fasziniert mich, ich bin ganz begeistert, tolle Sachen aus Licht oder Algen, lerne Victor Papanek kennen, ein Visionär aus den Siebzigern, total inspirierend. Sehr beruhigend zu sehen, dass es auch aktuell solche Menschen gibt, die sich schlau und kreativ um unsere Zukunft kümmern.
Mein Tag Nacht Rhythmus ist eh nicht mehr vorhanden, deshalb macht es nichts wenn ich vor Aufregung immer weiter gucke. Morgen schlafe ich bestimmt auch wieder tagsüber das ein oder andere Mal.
Ein doofer Vogel krächzt im dunklen Hinterhof, das macht er schon seit ein paar Nächten, manchmal sind sie zu zweit oder dritt, die Geräusche sind furchtbar, und alles mitten in der Nacht. Was ist da los? Muss unbedingt Carina mal fragen.
Immer mehr "normale" oder jüngere Menschen können geimpft werden, die Hausärzte machen's möglich. Aus meinem engeren Kreis werden allein nächste Woche Tommy, Clarita, Gisa und meine Katzennachbarin mit Biontech geimpft.
Bei mir im Seniorenheim hat sich die Lage etwas entspannt. Es gibt nur noch 2 Positive, die Quarantäne und Besuchsverbote sind für die restlichen Bewohner aufgehoben. Sogar Gruppenangebote werden wieder veranstaltet. Kollege Herbert schickt mir den Plan, den Adele als meine Vertretung gemacht hat. Ich werde am Donnerstag, am Vatertag, mit meinen Bewohnern Mandalas malen, sehe ich. Herrlich, ich freue mich schon.
Ausserdem ist die Lieferung angekommen, wir können unser neues Büro einrichten und endlich umziehen. Ich kann es kaum abwarten ab Dienstag wieder zur Arbeit zu können.
Nur mein Papa macht mir Sorgen. Herbert schickt mir Videos, damit will er mir eine Freude machen, und zeigen wie gut er sich in meiner Abwesenheit um meinen Papa kümmert, er reicht ihm Getränke an, und Papa saugt am Strohhalm, ohne ersichtliche Mimik. Dass er nur noch als Körper besteht, der, Gott weiß warum, immer noch funktioniert, und nichts mehr, rein gar nichts von ihm übrig ist, er weder Freude noch Schmerz noch irgendein Gefühl zeigt, macht mich fertig. Er schaut durch mich durch, wenn er mal nicht schläft und hat keinerlei Lebensqualität mehr. Dass er sich vor wenigen Wochen noch sichtlich über Cola freute oder lachte, wenn ich blöde Verrenkungen für ihn machte, er mir auf französisch antwortete, zeigte, dass es sich noch lohnt für ihn, dass er noch Bock hat. Durch die Getränke und Mahlzeiten, die ihm angereicht werden, und die er nur noch mechanisch zu sich nimmt, bleibt er am Leben. Am liebsten würde ich das sein lassen, aber das darf man nicht, das wäre aktive Sterbehilfe und ist verboten. Wenn Herbert mir also wieder ein Video schickt, ahnt er nicht, wie sehr mich das traurig macht.
Aber etwas Schönes ist auch passiert: Anouk hat gestern ihr Baby bekommen, ein hübscher Junge. Ich bin so gerührt, dass ich weine, als sie mir ein Foto des Neugeborenen schickt.
Da bin ich oldschool, wenn es um frische Babys geht, heule ich los.
Bussi an Gisa und danke für diesen Musiktipp, schade dass ich dein wunderschönes Bild von der Katze hier nicht platzieren kann.
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