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19. Mai 2022

  • Autorenbild: Mai Buko
    Mai Buko
  • 19. Mai 2022
  • 14 Min. Lesezeit

Nachdem Daniel mich wieder „gelympht“ hatte, wie er es nennt, oder wie die Physiotherapeuten untereinander reden, wenn sie jemandem eine Lymphdrainage verpasst haben, musste ich natürlich in kurzen Abständen immer wieder pinkeln.

Ich weiß auch nicht, wie es dazu kommt, dass wenn man im Grunde einfach nur liebevoll massiert wird, angefangen irgendwo am Hals, dann am operierten Bein, tatsächlich das überschüssige Wasser im Körper oder im kranken Bein, durch diese zarten Berührungen tatsächlich in form von Urin ausscheidet.

Der menschliche Körper, du faszinierendes Ding.

Schon allein, wie schnell ein tiefer Spalt im Fleisch (der Schnitt für die OP) oberflächlich, also erstmal die obere Hautschicht zusammenwächst und nix mehr rein oder raus lässt.

Toll. Ich konnte ja nach ungefähr 3 Wochen ins Wasser!

Vielleicht ist das aber auch alles nur Placebo, und ich muss immer so schnell und oft nach Lymphdrainagen, auch nach den maschinellen in der Reha, pinkeln, weil das jetzt so erwartet wird.

Aber eigentlich ticke ich so ja nicht. Sonst würden ja auch Akupunktur, Homöopathie und Horoskope bei mir funktionieren.


Heute wollte ich nur kurz in die Ausstellung von meinem alten Freund Marc Werkmann, der einen kleinen Bildband rausgebracht hatte, mit Fotos aus L.A., und einen kleinen alternativen Ausstellungsraum in der Nähe vom Klingelpütz gefunden hatte, indem er nicht nur seinen Release gebührend bekannt geben, sondern auch noch Gemälde und Fotoarbeiten ausstellen konnte. Übermorgen musste er abbauen, deshalb nahm ich gerne das Angebot an, dass wir uns um 18 Uhr dort treffen und er eine kleine Führung übernimmt.

Als erstes musste ich natürlich sofort pinkeln, bevor ich überhaupt in diese hübschen Ausstellungsräume kam, und dann war ich wirklich geflasht, ich wusste bis dahin gar nicht, dass er auch malt. Auch die Ausdrucke der Fotos, Pflanzen, die ganz psychedelisch anmuteten, alles war extrem beeindruckend, und ich konnte nichts weiter sagen, als oh! und ah! und dass ich sehr stolz auf ihn sei, wie schön ich das alles fände.

Als wir dann nach einer halben Stunde fertig waren, meinte er, er würde jetzt erstmal zu der Merlin Carpenter Ausstellung in die JUBG Galerie laufen, dort würde er Daniel und Assawin treffen um danach zur Eröffnung ins Atelier von Cosima von Bonin zu gehen, wo sie mit Julien Ceccaldi zusammen ausstellt. Was für ein Programm!

Da ich heute gut zu fuss war, also mit den Krücken in einem guten Flow bestens zurechtkam und keine weiteren Pläne hatte, gerne auch Daniel und Assawin treffen wollte, und weil das Wetter noch so schön war, es war warm und freundlich, und die Bilder von Marc hallten noch aufregend in mir nach, begleitete ich ihn kurzentschlossen quer durch die Stadt in die Galerie in der Albertus Strasse.

Da standen schon ein paar Leute die ich kannte, mit Weingläsern in der Hand lässig vorm Eingang. Man umarmte sich und plauderte, was zuerst befremdlich für mich war, weil niemand eine Maske trug, und ich schon sehr lange schon mal gar nicht so nah mit Menschen war. Ausser natürlich mit meinen engen Leuten, die man an einer Hand abzählen kann. Es war aber richtig nett, bestimmte Leute, die ich selbst schon vor Corona selten gesehen habe, jetzt zu treffen.

Es war sogar ein Künstler da, der vor fast zwanzig Jahren, als ich den „Raum für Kunst und Musik“ betrieb, als Student bei mir ausgestellt hatte, den ich aber erst erkannte, als er mir seinen Vornamen und als das nicht reichte, noch seinen Nachnamen nannte. Patrick Niemann. Er zeigte sich dankbar und respektvoll, erzählte mir seinen Werdegang, wohin es ihn überall getrieben hatte, und dass er seit wenigen Monaten wieder in Köln sei. Ich freute mich sehr und fragte ob er von der Kunst leben könne , was er bejahte.

David Ostrowski, ein Künstler, der es richtig gut geschafft hat, der früher auch bei mir ausgestellt hatte, und den ich regelmäßig aber zufällig meist im Settebello treffe, berichtete ich später von dem zufälligen Kontakt, und er stöhnte laut auf, als ich ihm erzählte, dass ich Patrick gefragt hatte, ob er davon leben könne. Eine Frage, die man nicht stellen dürfe, fand er.

„Ja, aber er kann davon leben! Und das ist doch toll, wieviele können das nicht? Wenn es gut läuft, sind sie jetzt Journalisten, Therapeuten oder Grafiker!“

„Obviously!“ David ist sichtlich fassungslos.

Oh Mann, er hat Recht.

„Oh Gott, du meinst, so wie man Frauen, die einen kleinen Bauch haben, niemals fragen sollte, ob sie schwanger sind?“

Das kenn ich ja selber nur zu gut. Es besteht jedesmal eine 50/50 Möglichkeit, dass man falsch liegt, und mit seiner depperten Frage wirklich Salz in offene Wunden streut.

„Genau!“

Tja, da hab ich „obviously“ Glück gehabt, dass es bei Patrick so gut läuft.

Zurück zur Ausstellung, es gab ein Buffet, dass unsere Freundin Charlotte mit leckerster Gazpacho und Quiche bestückt hatte, beides genehmigte ich mir zu einem Gläschen Wein. Die Bilder sprachen mich nicht an, ich habe irgendwie keine Erinnerung mehr an sie.

Total anders später bei Cosima.

Ihre Stoffwale sind herzzereissend! Clarita macht mich noch auf die Halstücher der Wale aufmerksam, die den dicken Kopf umschlingen und überraschend in einem Fächer enden. Herrlich. Aber sie hindert mich auch daran, die Wale zu berühren, zu streicheln, das darf man nicht.



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Dazu diese Manga-artigen Bilder und Objekte von Julien Ceccaldi. Das passte irgendwie gut zusammen. Ich sehe alles noch förmlich vor mir.


Aber was mich noch viel mehr umhaute war das Treffen von diesen unzähligen Leuten, die ich so lange nicht gesehen hatte. Und dass diese Treffen so unfassbar liebevoll oder lustig oder einfach nah waren.

Daniel Buchholz sah so gut aus, und war bester Dinge, Assawin natürlich auch, er sieht ja immer großartig aus, bringt Glamour in jeden Ort, so dass man sofort Champagner trinken möchte, Claudia, Claus, Michael, Rike, herrjeh, wie toll, es wurde sich andauernd gedrückt und geküsst. ICH wurde gedrückt und geküsst. Wie ungewöhnlich. Ich ließ alles zu, torkelte regelrecht wie in einem zärtlichen Rausch.

Dann ein weiterer Künstler aus meinem Raum für Kunst und Musik, Behrang Karimi, der mich völlig dankbar und supersweet Kai Althoff vorstellen wollte, den ich aber ja schon noch aus Schulzeiten kannte, der nach jahrelangem New York Aufenthalt zurück nach Köln, ausgerechnet in den mordslangweiligen Vorort zog, in dem ich aufwuchs und aus dem ich so schnell wie möglich geflüchtet bin.

Kai sang gut gelaunt immer wieder ein Karnevalslied von drei Tanten, das aber niemand kannte. Ausser Albert, er glaubte es zu kennen. Albert wiederum erkannte ich auch erst nach mehrmaligem Anschauen und dreifachem Versichern, dass er es wirklich ist.

In den Neunzigern wurde er unter dem Namen Arj Snoek als ein kleines Housemusic-Wunderkind gehandelt, für den ich, vom Label Ladomat 2000 beauftragt, ein Musikvideoclip drehen durfte. Da war er 16 Jahre alt! Und jetzt steht er hier als Mann mit Bart vor mir.

Im Video begleitete ich ihn damals ein wenig in seinem Alltag, und ausser ihm waren unter anderem auch Cosima und Justus Köhncke dabei.

Justus war heute auch aus Berlin angereist und legte nach Cosimas Eröffnung im Marsil auf. Im Marsil habe ich früher auch mal aufgelegt, der Laden, eigentlich ein Hotel, gehört einem lieben Freund von mir, Cyrus, der mir einst Eric für ein Wochenende auf's Auge drückte, aus dem ein halbes Jahr wurde, in dem Eric bei mir wohnte, und ich ihn damals Hans vorstellte, und daraus später mit Justus Whirlpool Productions wurde. Meine Güte was für eine Zeitreise.

Weil der Laden ja anfangs noch leer war, ich also wegen meiner Behinderung und Krücken keine Angst haben brauchte, versprach ich Justus mit ihm als Vorhut dorthin zu gehen. Daniel, Kai und Albert waren auch in dieser Vorhut. Es war so eine schöne Stimmung, jeder Kontakt mit wem auch immer, etwas später kamen immer mehr aus der Ausstellung dazu, Cosima verteilte Stempel auf unsere Hände, womit wir freien Zugang zu allen Getränken hatten, alle waren fröhlich, es fühlte sich alles so leicht an, alle sahen auch noch so toll aus, Cosima allein mit ihrem lavendelfarbenem Haar und dem umwerfenden Kilt, den sie sich aus mehreren Schottenmusterstoffen hat anfertigen lassen, was 4 Monate dauerte, wie sie erklärte, Marc, Michael, Gigi, alles tanzte um mich rum, ich auf einem Barhocker, was sich als optimale Steh- oder Sitzhilfe für mich herausstellte, tanzte auch, mehr mit den Armen als mit den Beinen, aber ich konnte es wieder fühlen...

Dieses Gefühl an diesem Abend, es war wie verliebt sein.

Wirklich!

Zuerst dachte ich, ich hätte mich in Albert, der ja nun sagenhafte 42 Jahre alt war, spontan verliebt, weil ich die meiste Zeit neben ihm an der Bar saß, und wir uns herrlich unterhielten, lachten, Fotos machten, eine schöne warme Zeit hatten. Aber es ging wirklich über Albert hinaus, es war das Ganze, es waren alle, alle die so lieb zu mir waren, ich konnte spüren, dass man mich mochte, dass man sich freute mich zu sehen. Wie fantastisch. Was für ein großartiges Gefühl.

Das hatte ich über zwei Jahre nicht mehr. Wer weiß vielleicht schon länger. Denn vor Corona bin ich ja auch seltener ausgegangen, und wenn, dann war es vielleicht normal zu fühlen, wie Menschen sich über mich freuten, so dass es mir gar nicht bewusst war, dass ich es nicht genügend wertschätzte, und über die Corona Lockdown-Zeit auch nicht vermisste, und ich als Mitarbeiterin in einem Haus in dem Risikopatienten leben, besonders konsequent blieb, als längst schon überall Lockerungen vorgenommen wurden.

Erst jetzt, wo ich nun seit zwei Monaten aufgrund meiner Hüft OP nicht arbeitsfähig war, zuhause vor Langeweile und Ungeduld schmorte, bereit für jede Abwechslung war, weswegen ich in Flip-Flops und casual look nur mal eben kurz Marcs Ausstellung anschauen wollte, und dann sowas von bereit war, mich ohne mich aufzuhübschen in ein Menschengetümmel zu begeben, was ich eben vor 2 Monaten niemals getan hätte.

Und dann von der Freude und der Liebe der vielen tollen Menschen, die ich traf, so überschüttet wurde, alles ohne Maske, ohne Abstand, im Gegenteil.

Da war Corona für mich vorbei.

Also, so vorbei, wie für viele meiner Freunde schon seit längerem.

Die testeten sich nicht mehr andauernd, nur noch bei Kontakt und Verdacht, man traf sich zwanglos mit vielen Menschen zuhause, in Cafés, Restaurants, Clubs.

Jetzt war ich auch so eine.

An diesem Abend, in dieser Nacht, in der ich Corona vergaß, fühlte ich mich wie verliebt, leicht und fröhlich.

Das konnte eigentlich nicht mehr getoppt werden, aber es wurde getoppt.


Und zwar an meinem Geburtstag.

Ich hatte einfach das ganze Peppe gemietet, das natürlich sehr klein ist, dem Besitzer für einen Mittwochabend einen Umsatz von 25 Leuten versprochen, von denen ich zumindest das Essen, also Vorspeisen und 4 abgesprochene verschiedene Pastagerichte, selber bezahlen wollte, und einen Teil der Getränke, mein Budget belief sich auf 600 Euro. Natürlich war es mir wieder unangenehm, nicht alle komplett einladen zu können, aber ich hatte wirklich nur meine engsten Leutchen eingeladen, und das waren dann halt schon über 25, und das kostet. Josek und Carina aus Berlin und Gisa und Frank aus Hamburg konnten leider nicht kommen. Die finanzielle Beteiligung meiner Gäste an den Getränken war dann also ein Kompromiss, mit dem ich leben konnte.

Marie kam etwas früher mit ihrem Freund bei mir vorbei um mir falsche Wimpern anzukleben, denn ich hatte mir gewünscht, an meinem 60ten endlich mal lange Wimpern zu haben. Dann kamen noch David, Mateo, mein Neffe, und überreichten mir die ersten Geschenke. Kurz bevor wir zum Restaurant losgehen wollten, meinte David, komm, setz dich nochmal.

Er hatte ein Notebook auf meinen Tisch gestellt, ich fragte scherzhaft:

„Hach, ich krieg noch einen neuen Computer?“, setzte mich, erkannte auf dem Bildschirm eine Tonspur, dachte, ach, wie süß, dann haben sie doch noch eine Version von „West End Girls“ von den Pet Shop Boys für mich aufgenommen, denn das hatte ich mir mal für meinen 60sten Geburtstag gewünscht: ein Remake von dem Stück, das mein Mann, als wir noch eine glückliche kleine Familie waren, eins meiner Lieblingsstücke mit den beiden Kindern, Marie war höchstens 4 und David 9, eingesungen hatte.

David drückte auf „Start“ und die ersten unverkennbaren Klänge begannen, wurden leiser, und plötzlich erschien auf dem schwarzen Bildschirm ein Bild, ich sah Jürgen, einen sehr alten Freund von mir, der erzählte, wie wir damals zusammen beim Duran Duran Konzert in der Sporthalle waren.

Ich zuckte augenblicklich zusammen, was für ein Schock, es war gar keine Tonspur, sondern ein Film! Sofort war mir klar, was jetzt da läuft, und was meine Kinder da gemacht hatten, und sofort schossen mir die Tränen in die Augen. Immer wider bei jedem, den sie ausfindig gemacht hatten, jeder Beitrag einer Freundin oder eines Freundes rührte mich zu Tränen, manche erkannte ich gar nicht vor verschwommenem Blick. Ich zitterte am ganzen Körper, Marie und David saßen neben mir, und hielten jeweils meine Hand.

Unglaublich, sowas Tolles! Das wird mich mein Leben lang glücklich machen!

Wie haben sie nur all die Kontakte bekommen?

Von Josek, der für mich mit seinem Ben ein Lied singt, von Rocko mit Perücke, der mir frech zum 80. Geburtstag gratuliert, von Michi, die ein bezauberndes Lied für mich singt und Texttafeln in den Raum schmeißt, von Carina mit Hecki in der Autowaschanlage, Robert zaubert ein Plakat für mich, Heiko, der eine Handbrause als Mikrofon nutzt und sich beim Singen nass spritzt , Pipi, die sich sexy und betrunken über ein Wiese wälzt um mir zu gratulieren, Melodie und Martin, die mit ihren Kindern völlig hysterisch einen Technogruß senden, der als Hidden Track ganz am Schluss erscheint.

Moni, Alex, Rebi, Britt, meine Nichte aus Brüssel. Es ist so unglaublich!

Natürlich waren Meret mit kompletten Anhang, Tommy und Sunia auch mit Beiträgen am Start.

Meret hat auch noch um andere Leute aufegerissen, wie zum Beispiel den Typ, mit dem ich mal kurz zusammen war, nach der Scheidung, weil ich ihn so hübsch fand, und er mich jedesmal fragte, wie mein Tag war und wie es mir ginge, Clarita meinte damals fassungslos, das könne doch nicht ausreichen um mit so einem Schluffi zusammen zu sein. Das ging auch tatsächlich nur ein paar Wochen. Und genau darüber unterhielt ich mich kürzlich mit Meret, sie traf ihn zufällig kurz danach in ihrem Viertel, zögerte keine Sekunde, belaberte ihn, filmte ihn, wie er für mich herzliche Glückwünsche aussprach.

Oder Cyrus, der sich nie auch nur fotografieren ließ, es gibt wirklich so gut wie keine Fotos von ihm aus den letzten 25 Jahren, und jetzt spricht er hier die liebsten Worte für mich in die Kamera.

Meine beiden süßen Kinder performen am Ende des Videos dann auch noch einen kleinen Auftritt, in dem sie tatsächlich eine neue Version für mich von West Ende Girls gesungen haben.

David hat sich da hauptsächlich um alles gekümmert, die Leute angeschrieben, den Schnitt gemacht.

Ich muss jetzt schon wieder heulen, wenn ich nur an all das denke!


Die meisten dieser tollen Menschen werde ich gleich im Restaurant treffen.

Wir machen uns also auf den Weg. Die falschen Wimpern hängen jetzt natürlich schon etwas schepp. Das wird im Laufe des Abends nicht besser, wie ich jetzt schon mal spoilern darf.


Meret hat mit Sunia die Deko übernommen, Happy Birthday steht da in rosa Glitzer-Ballons groß an der Wand.


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Zwei lange Tische sind drinnen hübsch für uns gedeckt, draußen, es ist der erste Tag, der mal wieder so richtig heiß ist, über 30 Grad, sind schon einige versammelt, die Umarmungen und Küsse hören gar nicht auf, wie schön, dass sie es alle geschafft haben, und alle sind gespannt auf das 15 minütige Video.

Das Essen ist lecker, der Wein schmeckt, David kümmert sich um alle Kommunikationen mit den Kellnern und dem Koch, ich soll mich um ja nichts kümmern, völlig gelöst meinen Geburtstag genießen, das ist so wundervoll.

Ich fühle mich wieder so geliebt, alles ist wieder so leicht und beschwingt, ich bin wieder ganz verliebt, in meine kleine Familie, in meine Freunde, die, die besten der Welt sind, und kann es gar nicht glauben, dass ich das überhaupt verdient habe.

Es ist alles noch intensiver als kürzlich auf Cosimas Eröffnung, eigentlich möchte ich die ganze Zeit heulen vor Glück.

Und dann gibt es die Bescherung.

All diese Freunde haben zusammengelegt, und auch hier wurden wieder Kontakte geknüpft, WhatsApp-Gruppen gegründet, Meret hat wohl hauptsächlich das Geld eingetrieben, und mit Sunia diese ganzen Gutscheine, den wunderschönsten Blumenstrauß, die köstlichsten Marmeladen von Le Moisonnier, von Chanel den blauen Nagellack namens „Rythm“ und den Gesichtsschaum besorgt. Frank ist auch gekommen, endlich kann Sunia ihn mal sehen, er war mein erster richtiger Freund, oder wie er meint, nicht nur der erste sondern der beste. Mit seiner Frau schenkt er mir den Duft „Chance“ von Chanel.

Meine Liebe zu Chanel habe ich nie verheimlicht.

Moni schenkt mir aus ihrer aktuellen Kollektion einen wunderschönen Wickelrock, Britt, erinnerte sich an meine Vorliebe für Adidas und schenkte mir eine glänzende leuchtend rosa-orange-farbene lange Sporthose, ganz süß: in Größe 38 und superslim (da diäte ich mich aber noch rein), Marc schenkt mir eines seiner wunderschönen Blumenbilder aus seiner Ausstellung, Herold und Clarita überreichen mir ein Buch von Henry Miller, das ich noch nicht kenne, gespickt mit 5 Euro Scheinen, die ich ja sammle. Alle kennen mich so gut, ich ertrinke in Geschenken.

Überall in der Südstadt, wo ich gerne hingehe, oder es tolle Dinge gibt, haben sie mir unzählige Gutscheine besorgt: für alle meine Lieblings-Restaurants, für Cafés, den neuen Blumenladen, für mein Sonnenstudio, das tolle Strumpfgeschäft und eine ayurvedische Massage ist auch dabei. Meine Güte, da muss ja ein Wahnsinnshaufen Geld zusammen gekommen zu sein!

Da ist sogar noch Geld übrig, das jetzt in die Getränkekasse wandert als David sich um die Rechnung kümmert.

Ich bin so überwältigt.

Es ist wirklich der Wahnsinn, der rührende Film für mich, meine lieben Kinder, meine lieben Freunde, die tolle Atmosphäre hier, die ganze Liebe, die ich spüre, diese ganzen Geschenke und Gutscheine...

Ein Großteil kommt noch mit zum Café Kult um noch einen letzten Cocktail zu trinken, auch diese Runde kann ich aufgrund des Geldsegens übernehmen.

Die ganze Zeit trank ich Weißwein, jetzt einen Cosmopolitan, später als wir ins Keimaks gehen, die gerade schließen wollten, aber uns paar Männiken lassen sie noch auf einen Drink rein, trinke ich einen köstlichen Gimlet.

Oh Gott, ich werde schlafen wie ein Stein. So volltrunken und so selig voller Glück.


Zuhause im Bett wälze ich mich aber von links nach rechts, kann nicht einschlafen, bin unruhig. Verstehe nicht was los ist, warum schlafe ich nicht ein? Hä? Ich höre Podcast, aber döse immer nur kurz, bin wieder wach und unruhig. Merkwürdig.

Als das Telefon klingelt, weiß ich es plötzlich.

Es ist das Heim, der Pfleger ist ganz nervös, ich weiß, was er mir sagen wird, ich bin ganz ruhig und helfe ihm,

“Hey Christopher, ich bin's doch!“

„Es tut mir so leid, dein Papa ist gerade gestorben.“


Die letzten beiden Tage war ich täglich mehrere Stunden bei ihm, es war klar, dass es jetzt schneller gehen könnte, er bekam seit Montag zusätzlich zum Fentanyl Morphium. Ich sang Lieder für ihn, hielt seine Hände, küsste seine Stirn, er hielt Blickkontakt, drückte meine Hand.

Natürlich hatte ich auch wieder allen gesagt, wenn sie sich verabschieden möchten, sollten sie bald kommen, Marie, eine Nichte und mein Bruder kamen auch noch am Montag. Am Dienstag, der Tag vor meinem Geburtstag, sagte ich ihm nicht nur, dass ich mich an alles erinnere und ihm verzeihe, dass ich ihm eigentlich schon lange verziehen habe, ich sagte ihm auch, dass, wenn er für immer gehe, bitte nicht morgen gehen soll, da er sonst meinen Geburtstag ruinieren würde. Aber dann entschied ich mich um, ich sagte ihm, wenn er also morgen, an meinem Geburtstag gehen würde, dann würde ich es halt als Geschenk sehen. Er soll gehen, wann es für ihn am besten ist. Wir lieben ihn, und er lebe in all seinen Kindern und Enkeln weiter, er dürfe wirklich gehen, ich bin sowieso in Gedanken bei ihm.


Als ich so unruhig nach meiner Feierei im Bett lag, war er bei mir, ich spürte, dass was war, aber ich checkte nicht was.

Als das Telefongespräch beendet war, überkam mich eine Ruhe.

Jetzt war es geschehen, er war wirklich gestorben. Krass. Jetzt ist er wirklich tot. Ich habe nun keine Eltern mehr.

Er hat noch gewartet bis meine Party zu Ende ist, er hat mich geschont, das war sein letzter Liebesbeweis. Er hat tatsächlich Rücksicht genommen, und er war bei mir als er diese Welt verließ. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Natürlich konnte ich jetzt erst recht nicht richtig schlafen und fuhr dann morgens mit dem Taxi ins Heim.

Als ich ihn dann sah, in seinem Bett, so klein, so gelb, so tot, da kamen die Tränen.

Ich heulte und schluchzte, und sprach zu ihm, und immer wieder heulte ich, hielt seine kalte Hand, und sagte ihm, dass seine Hand so kalt sei. Und dass er jetzt wirklich weg sei, und wie krass sich das anfühle, und wie schade, dass er so spät erst zu mir gefunden hatte, oder ich zu ihm, und wieviel Spaß wir noch hatten, und wie schön, dass er meine Seele noch erkennen konnte.

Eine halbe Klopapierrolle verbrauchte ich als Taschentuch, so viel heulte ich. Dann wurde ich ruhig, und konnte auch bald wieder scherzen mit ihm. Verglich seine Hautfarbe mit der der Simpsons, ich wusste, dass er jetzt irgendwo mit mir grinst, auch wenn er die Simpsons nie gesehen hatte.


Die Liebe, die ich in den letzten Tagen so wundervoll spüren konnte, bei den Ausstellungen, auf meinem Geburtstag, wo sie mir doch überall entgegentrat, sie trug mich jetzt und auch die nächsten Tage.

Ich wandelte wirklich wie auf Wolken, wie berauscht, so viel Glück und Liebe und die letzte Nachsicht und Nähe meines Papas.

Ich bin froh, dass er es geschafft hat, ich bin traurig, dass er fort ist, ich bin glücklich, dass ich spätestens hier im Heim meinen Frieden mit ihm machen konnte und mir seine Liebe auch nochmal durch seinen sehr speziellen Abgang für immer gewiß ist.




1 Comment


cristina.dahn
cristina.dahn
Jul 11, 2022

♥️♥️♥️

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